Hans Leip

Die Lady und der Admiral


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war.

      Und er freute sich, dass ein Wind aufkam, der geeignet war, die Gedärme zu beunruhigen. Und als alles drüber und drunter lag zwischen den düsteren, fauligen, mit zerrissenen Segelbahnen notdürftig abgeteilten, von Ratten und Kakerlaken reichlich bevölkerten Schiffsräumen, da sagte er offen und laut, dass dies alles ein Paradies sei gegen die Kerker zu Neapel oder Messina. Und dass es einen gerechten Ausgleich gebe.

      Der sterbenskranken Königin in der elenden Kajüte des Kommandanten Voinowitsch blieben diese Reden nicht verborgen, aber hier war ihre Macht zu Ende, und Lord Nelson war zu erfahren in den internationalen Möglichkeiten auf See, als dass er unnötige Worte verschwendete. Es hiess ausharren. Und der Wind blies aus allen Trompeten. Die Adria schäumte wie ein tollgewordener Waschbottich. Als sollte die ganze schmutzige Wäsche der Jahrhundertwende in eins gewaschen werden.

      Die Hamilton wimmerte, Capaci würde das Schiff absacken lassen. Der kleine Lord, noch munter, sah sich daraufhin an Deck die Boote an. Sie waren allesamt wie Teesiebe. Capaci dennoch sah nicht aus, als würde er mit ihnen als Opfer seiner Überzeugung und seiner Rache sterben. Und der Privatmann Nelson prüfte strengen Auges die Segelstellung und hätte gern das Kommando übernommen.

      Aber der Hund von Capaci verfolgte den mastaufgewandten Blick des kleinen Admirals, kam freundlich die Schanze entlang und sagte höflich: „Hier gibt’s nicht zu henken, Herr Engländer!“

      Erinnerung an einen gehenkten alten Mann.

      Das machte unserm Helden kummervoll zu schaffen und warf ihn in die Hängematte, und er bekam seinen halbjährlichen Krampfanfall, und sein Magen erinnerte sich an jenen Manzanillazweig, der einst zu Westindien heimtückisch in der Pfütze hing, aus der er seinen Fieberdurst löschen wollte. Und Caracciolo erschien ihm und baumelte wie ein Hampelmann herab und streckte ihm die Zunge aus.

      Caracciolo war ein alter Herr gewesen, einst Chef der neapolitanischen Admiralität, des Umsturzes verdächtig, den hatte Lord Nelson an die Rah knüpfen lassen und danach, mit drei 32pfündigen Doppelkopf-Kanonenkugeln beschwert, dem Meer übergeben. Der Mann war ein Fürst gewesen und so alt wie Sir William, vornehm und weisshaarig und war wieder an die Oberfläche gekommen und verfolgte ihn oft im Traum.

      Ein Diamant und ein Herzogtum.

      König Ferdinand von Neapel aber verlieh dafür den Titel Herzog von Bronte an Nelson und einen Ehrendegen mit vielen kleinen und grossen Diamanten. Der grosse Diamant war gelblich, und der Degen stammte von des Königs Vater aus Spanien und hatte sozusagen Neapel erobert und gebühre nunmehr dem Wiedereroberer. Das Herzogtum Bronte, nahe dem Berg Ena in Sizilien, nach einem der Zyklopen benannt, was schmeichelhaft gedacht war für den einäugigen Helden, brachte angeblich zwei- bis dreitausend Pfund Sterling jährlich ein. Nelson hatte einen Verwalter bestellt, welcher ersah, dass es dort etwa soviel koste wie es einbringen sollte.

      Bronte bedeutet Donner, und dasselbe bedeutet der Name von Nelsons liebstem und ihm nicht mehr gegönntem Schlachtschiffe Foudroyant. Es waren grosse Namen, jedoch die Gelegenheit, ihnen nachzueifern, war spärlicher geworden, die See war ruhig, und der Lorbeer wuchs nur auf den Bäumen, und auch Sir William und Lady Emely hatten gefunden, dass die Zeit des Ruhmes dahin sei.

      Verflucht! Die Russen sind schuld! Nelson brüllte es seiner armen Seele zu. Die Russen hatten ihn im Stich gelassen. Er hatte selber zu wenig Schiffe, der Zaun zwischen Alexandrien und Toulon war zu dünn, der Satan Bonaparte wischte hindurch. Die verfluchten Russen! Auch vor Malta. Die Russen. Auch bei Neapel, was sie ja statt seiner hätten zurückerobern können. Auch jetzt. Diesen elenden sogenannten Fregatten Russlands waren sie ausgeliefert, nichts anderes hatte man ihnen gegönnt, der Königin, einer Königin! Und den Hamiltons. Und ihm.

      Sturm in der Adria.

      Das Schiff tanzte wie ein weggewehter Strohhut. Keiner ausser den Matrosen, der sein Inneres bei sich behielt. Selbst die Ärzte lagen Gott weiss wo und konnten sich und andern nicht helfen. Da gedachte die Königin an die Flucht nach Palermo, Weihnacht vor zwei Jahren; da war ihr kleiner Sohn Prinz Albert gestorben. Es hatte sie wenig gerührt und er erschien ihr jetzt, sie zu ängstigen. Sie verlangte nach frischen Feigen, womit die Sizilianer alle Krankheiten heilen. Aber es gab keine, und sie glaubte, sie müsse nun ebenfalls sterben.

      Aber auch Capaci erschien und war lebendig und sprach mit Kardinal Ruffo und wärmte alte Geschichten auf aus der Revolution, beispielsweise die Taten eines Priesters namens Rinaldi, gegen den Rinaldini wirklich nur ein kleinerer war, der mit eigener Hand sechs „Jakobiner“-kinder in Stücke gehauen, zwei Revolutionären die Bäuche aufgeschlitzt und den Arm eines am langsamen Feuer geschmorten Republikaners verzehrt habe und noch dazu eine königliche Auszeichnung empfangen; und auch die Sache mit dem Gelehrten und Malteserritter Dolomieu, der zu Messina sass und mit angebrannten Hölzchen seine Naturgeschichte der Mineralien auf die Blattränder einer Bibel schrieb. Die Dolomiten heissen nach ihm. Ein Franzose, ein Forscher und Revolutionär, den man auf der Fahrt von Malta nach Marseille als Schiffbrüchigen aufgefischt und aufs Grausamste eingekerkert hatte. Denn man schob ihm zu, Malta an Bonaparte verraten zu haben. Und auch, dass gewisse Geheimverträge zwischen Neapel und Russland betreffs Malta durch ihn gescheitert seien.

      Was war mit Malta?

      Malta. Es war ein wunder Punkt für den armen Nelson. Als Bonaparte nach Ägypten fuhr, hatte er es im Vorbeigehen den Ordensrittern abgekniffen. Nun belagerte England es gemeinsam mit Russen, Türken und Portugiesen seit Jahr und Tag. Und Nelson hatte in treuer Einigkeit mit den Hamiltons die nette Insel unter der Hand an Neapel versprochen. Denn Königin Karoline hatte gesagt, dass Karl V. Malta den Johannitern zum Ersatz für das verlorene Rhodos gegeben habe. Seine Nachkommen aber seien die Könige von Neapel. Das wollte man in London nicht recht einsehen.

      Grossherr des Malteserordens aber war plötzlich Zar Paul I., der seinerseits das liebliche Eiland als Sommerfrische und russischen Flottenstützpunkt begehrte und sich herbeiliess, Lady Hamilton zur „Petite Dame de Croix“ zu machen, indem er ihrer durch Nelson unterstützten Legende von einer nie angekommenen Getreidelieferung für die armen hungernden Ritter Glauben schenkte, wohl wissend, was Weiber vermögen, obgleich er wirren Geistes war. Dolomieu aber und Capaci hatten Wind von diesen Schiebungen.

      Man muss Dolomieu freilassen! riet der neapolitanische Revolutionär dringlich. Ruffo entgegnete übelriechend und achselzuckend: Wir werden dem Verlangen Russlands nachgeben und ihn dem Zaren ausliefern, mit einem kleinen Hinweis auf den Anreger.

      Das brachte den Kapitänleutnant in russischen Diensten Capaci in Zwiespalt. Mit Petersburg war nicht zu spassen. Er schwieg und ging. Setzte aber den Kurs ein wenig querer gegen die See, so dass alle es spürten und des Jammerns und Stöhnens kein Ende war. Und auch dem Äffchen, dem Papagei und dem Hündchen ging es nicht gut; denn niemand dachte daran, sie zu füttern.

      Freunde.

      Mit Nelson im selben Verschlag lag Sir William; den überkam ein altes Gallenfieber, und die Ärzte, die Bootsmann Brace im wahrsten Sinne an den Haaren herbeizog, gaben alle Hoffnung auf. Und wieder erschien Capaci wie ein böser Geist und gemahnte Sir William an die Brüderlichkeit aller Wissenschaft, und wenn ein gewisser Hamilton über die Vesuvausbrüche und über die Entdeckungen zu Pompeji geschrieben habe, so habe ein ebenso gewisser Dolomieu über die kalabrischen Erdbeben und über die Arten der Gesteine geschrieben, und Sir William wie auch Lord Nelson sollten ihm versprechen, darauf hinzuwirken, dass der Mann freikomme und nicht wie Caracciolo unschuldig verrecken müsse.

      Sir William lag, da eine hinreichende Hängematte nicht aufzutreiben ging, mit hochgezogenen Knien in einer Art Bett, das genau so wenig für seine Länge berechnet war. Gaetano hatte es kurzerhand aus Nelsons Sarg zurechtgemacht. Und Nelson erspähte es in seinem Leiden und sagte auf englisch durch das Gewinsel des Schiffes: „Alter Junge, am Ende dieser Fahrt werden wir mager genug sein, gemeinsam Platz zu haben in meiner Totenkiste. Versprechen wir diesem räudigen Zuchthäusler was er will. Wir sterben für Gott, König und Vaterland.“

      „Und