den Kopf, und die tiefe Stirnnarbe von damals brannte rot. Ob es wahr sei, fragte er, dass der zehnjährige Sohn des französischen Oberbefehlshabers am Gefecht teilgenommen habe und umgekommen sei. Der treue Brace antwortete: „Jawohl, Euer Gnaden. Er hielt sich ja noch am Mast im Wasser und rief nach seinem Vater, und dann ist er uns ja aus den Augen gekommen.“
Der Sarg im Hafen.
Den andern Morgen trieb im Hafen von Triest ein schwarzer Sarg, mit Blut besudelt, und ein Segel war darauf errichtet, auf dem stand: Caracciolo. Als die Behörden seiner endlich habhaft wurden und ihn öffneten, lag darin ein erwürgtes Lamm.
Es war aber nicht der Sarg Nelsons gewesen, der vielmehr mit dem Gepäck ins Hotel geschafft worden war.
Und die behördliche Entrüstung verfügte alsbald, dass der am Abend unterbliebene Kriegssalut nunmehr nachzuholen sei von allen auf der Reede liegenden Schiffen und von den Batterien des Kastells, der Mole und beim Lazarett, was um elf Uhr denn auch ausgeführt wurde.
Inzwischen hatte sich der englische Konsul zu Triest, Herr Andersson, eingefunden und bot seine Dienste an. Auch Kapitän Messer, ein Engländer, der eins der russischen Schiffe geführt hatte, kam und erkundigte sich nach dem Wohlergehen seiner Passagiere Frau Cadogan und Fräulein Knight und sagte, Graf Voinowitsch wolle sich nicht sehen lassen, denn er sei gebürtiger Dalmatier und hatte geschworen, die Küste nicht eher zu betreten, als bis Triest entweder wieder dalmatinisch oder russisch sei.
Und ehe nicht die unschuldigen Revolutionsopfer zu Neapel gerächt sind! habe der Leutnant Capaci hinzugefügt. Und der Sarg im Hafen wäre nur ein Zeichen.
Ich glaube, dieser Herr, erwiderte die Hamilton rasch, ist ein gewaltiger Idealist und wird sein Leben Wohl auf den Schiffsplanken beschliessen.
Quarantäne, Pass und deutsche Ordnung.
Auch der Quarantänearzt erschien und erklärte, dass eigentlich alle ein paar Tage laut Vorschrift hinter den Eisengittern im neuen Lazarett zur Beobachtung zu weilen hätten.
Herr Tyson durfte dann mit den Pässen weggeschickt werden, und Fräulein Knight wurde ihm als Dolmetscherin mitgegeben. Denn sie war von einem Schweizer Pastoren erzogen und hatte Deutsch gelernt.
Der Passbeamte war ein munterer Wiener, der die Sache scherzhaft nahm, was versöhnlich wirkte, obwohl es ein Glück war, dass Fräulein Knight nicht ganz hinter den Dialekt kam. Und er machte es etwa folgendermassen:
Nelson, a zierlich’s Mander’l, klaa aba dinna wia Bunapate. Des macht des Salzwassa. Des zehrt! Lord vom Nil, Herzog von Bronte. Bronte? Liegt des irgndwo da drunen? Des bronte ihn wohl zu g’fährlich? Des macht die Liabe. Die zehrt aach.
Vornauman Horatio. Ah: Hurräsche? Des hängt mit Hurra z’saum. Guat. —
Da englische G’saundte? Ah so, mit’m Dichter Milton verwandt. H. Milton oder des verlorene Paradies. Muass mehr Bachhenderln und Eiernudeln essen, asunst wird er’s bald g’funden ham. — Sei hochverehrte Gnädige? A bissel gspreizt. Muass fier zwo reich’n. Die Muse des Helden von Abukir. Gaunz Aabukirre. Na is net bees gemaant.
Misses Ca-dogan. Ah, wia se sag’n: Kätteken? A oide Katz. Wird ka Mauserl mehr in Östreich jag’n. — Miss Kniet? Vua wem? Vuam gross’n Nelson natierli. Entschuldigns scho, biettscheen!— Miss Neid! Auf wem denn scho? Auf die dicke Lady? Aba i biettscheen! Se hat a Gsichterl wia de Dame, de da auf’m Thron zwisch’n de zwa Hofmuseen sitzt und es Steiruada in da Haund halt.
Anno 1764. Na, was siech i, Lady Emma is scho sechsadreiss’g Joahr alt? I hab glaubt neinadreiss’g. Is kei Kunst aus de Oins a Vier ze machen. Genehmigt. Kavalierikät muass sei. Und des Fräuln Neid um drei Joahr öta? Nau, des soi nix sag’n, ka Grund zum Neid, Fräuln. Berühmtheit is net so wichtig wia unberiehrt sei. — A, Mister Tyson. Nicht Dieson? A recht: Es haasst Der Sohn oder Nelson. Nässen? Ah biettscheen. Nelson von nass. Des Meer, i vasteh, des is net wenicha. — Dei Sohn? Ah, biettscheen, Teisn. Ei der Teisn! Oeuf, oeuf le mil! — Ah, nau, Mister Brace. Bratsche? Spüht woi de Begleitung. Englisch g’sprochn Blees? R wie L, Blees mir’s Liacht aus, Blees! Jetzt wird’s Nacht. — Fatme. A Negerweiwerl? A Nigger? A Nickerchen. Natierli, derf ni in Kopf schittln. Gebuan? Ah, so net gebuan. Ka Geburane. Schwuaz gebuan. — Und a Dienaschoft, Neapolitano? Dama stempen. Viecha stempen ma stad. Alsdann, her mit der Stempülje! Biettscheen, Fräuln Neid, Herr Teisn, Ihr Diener. Da saan de Bähsse.
Die anatomische Landkarte.
Man nahm die Karte vor, eine bemalte europäische Karte, in der die roten Töne vorherrschten, da sie französischen Ursprungs war und die Verfertiger den Traum der Revolution schon bis Russland hinein über die bunte Flickenkiste gehaucht hatten. Der zerrissene Kontinent lag da recht eingeweidehaft in der spritblauen Seeschüssel. Lady Hamilton umrandete England mit einem schwarzen Stift und behauptete kühn, dass es trotz seiner giftgrünen Farbe das Herz Europas sei der Form nach.
Sir William stimmte zu, lächelte aber mit spöttischer Sportsmannsfalte: Herz Albion stehe leider auf dem Kopfe, und er möge nicht sagen, was Italien ihm dünke, und ob Skandinavien etwa das Gehirn, Russland die Lunge, Spanien die Milz, die Schweiz der Magen, die Niederlande die Nieren, der Balkan das Gedärm, Frankreich die Galle und Deutschland die Leber sein solle?
„Warum denn nicht?“ lachte sie, nicht wenig erbaut über ihre anatomische Anregung.
„Und wir sollen wie eine Laus über diese Leber kriechen?“ seufzte Nelson schwermütig. Und nahm den Stift aus Lady Emmas Hand und zeichnete den Reisekurs mit dicken Strichen hinein: Palermo — Livorno — Florenz — Ancona — Triest — Wien — Prag — Dresden — Magdeburg — Hamburg —Cuxhaven — Yarmouth. Die ganze Linie sah aus wie ein melancholisches Profil, dem Nelsons nicht unähnlich, Palermo als Halstuchperle, Livorno als Gurgel, der Mund in Triest, die Nase in Wien, das Auge in Dresden, bei Hamburg lag die Sorgenfalte der Stirn und in Yarmouth der kitzlige Scheitelpunkt.
Sir William darf nicht sterben.
Und immer blies noch der Wind, zäh brausend, nach Langusten und Lemonen duftend, Wind der Adria. Grund genug, die festliche Illumination der Stadt hinauszuschieben. Man glaubte schon, dass man die Kosten sparen wolle oder könne. Die Königin war jedoch noch nicht fort. Sie lag zu Bett — Nachwirkungen der Reise — und war so krank fast wie Sir William. Doch eher als er erhob sie sich und ging zu der San-Pietro-Kirche, um Gott für mancherlei zu danken und zu bitten. Und wie das Volk so ist, wenn Höhere noch Höheren sich neigen, es jubelte begeistert.
Doch der Hamilton schlug das Gewissen. Wie sollte es sein, wenn ihr Gemahl schon auf der Reise starb? Mit Trauerkleidern macht man schlecht Empfänge, der Rausch des Ruhmes verhält sich vor den Witwen, Festen hat man fernzubleiben, essen darf man wenig, trinken nichts, Attitüden, Gesang sind unmöglich, die freimütige Begleitung, die Vertrautheit, das enge Seite an Seite mit Nelson müsste sofort gegen jeden Ton sein und vorbei: „Mein Gott, du darfst nicht sterben!“ weinte sie an Sir Williams Lager.
„Du meinst, noch nicht!“ meinte er müde, aber das alte gepfefferte Lächeln ringelte schon wieder in wenigstens einem seiner Mundwinkel. Und da er Nelson zur andern Seite seines Bettes erkannte, griff es auch auf die andere Gesichtshälfte über, und er sagte mit Anstrengung, da die beim Sprechen sich notwendigerweise stoppende Luft auf seine geschwollene Galle drückte: „Ich werde mich bemühen, Kindlein! Haben wir den guten Jungen Horatio nun schon aufs Land geführt, so wäre es gemein, ihm die Freude zu versalzen, wo er doch kein Salz liebt ausser in der See.“
„Nein!“ lächelte sie unter Tränen: „Eine Verführung in Trauerkleidern können wir ihm nicht zumuten!“
Aber Nelson mochte nicht auf den leichtfertigen Schwung eingehen, obwohl er ihre Gefasstheit bewunderte. Ihm war höllenschwer. Er hatte immerhin eine Frau in London. Und sein Entschluss, Lady Emma gleich nach dem Tode ihres Mannes als sein Eigentum zu erklären, stand fest bei ihm wie ein Bugsprit bei Windstärke eins, mochte die Welt knistern wie sie