Johann Wolfgang von Goethe

Faust. Der Tragödie erster Teil


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      Dem Wurme gleich ich, der den Staub durchwühlt,

      Den, wie er sich im Staube nährend lebt,

      Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt!

      Ist es nicht Staub, was diese hohe Wand

      Aus hundert Fächern mir verenget?

      Der Trödel, der mit tausendfachem Tand

      In dieser Mottenwelt mich dränget?

      Hier soll ich finden, was mir fehlt?

      Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,

      Dass überall die Menschen sich gequält,

      Dass hie und da ein Glücklicher gewesen? –

      Was grinsest du mir, hohler Schädel, her?

      Als dass dein Hirn, wie meines, einst verwirret

      Den lichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,

      Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret!

      Ihr Instrumente freilich spottet mein

      Mit Rad und Kämmen, Walz und Bügels:

      Ich stand am Tor, ihr solltet Schlüssel sein;

      Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.

      Geheimnisvoll am lichten Tag,

      Lässt sich Natur des Schleiers nicht berauben,

      Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,

      Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.

      Du alt Geräte, das ich nicht gebraucht,

      Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte;

      Du alte Rolle, du wirst angeraucht,

      Solang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.

      Weit besser hätt ich doch mein Weniges verprasst,

      Als mit dem Wenigen belastet hier zu schwitzen!

      Was du ererbt von deinen Vätern hast,

      Erwirb es, um es zu besitzen!

      Was man nicht nützt, ist eine schwere Last;

      Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.

      Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?

      Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?

      Warum wird mir auf einmal lieblich helle,

      Als wenn im nächtgen Wald uns Mondenglanz umweht?

      Ich grüsse dich, du einzige Phiole,

      Die ich mit Andacht nun herunterhole!

      In dir verehr ich Menschenwitz und Kunst.

      Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,

      Du Auszug aller tödlich-feinen Kräfte,

      Erweise deinem Meister deine Gunst!

      Ich sehe dich: es wird der Schmerz gelindert,

      Ich fasse dich: das Streben wird gemindert,

      Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach.

      Ins hohe Meer werd ich hinausgewiesen,

      Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füssen,

      Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.

      Ein Feuerwagen schwebt auf leichten Schwingen

      An mich heran! Ich fühle mich bereit,

      Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen

      Zu neuen Sphären reiner Tätigkeit.

      Dies hohe Leben, diese Götterwonne!

      Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?

      Ja, kehre nur der holden Erdensonne

      Entschlossen deinen Rücken zu!

      Vermesse dich, die Pforten aufzureissen,

      Vor denen jeder gern vorüberschleicht!

      Hier ist es Zeit, durch Taten zu beweisen,

      Dass Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht:

      Vor jener dunklen Höhle nicht zu beben,

      In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,

      Nach jenem Durchgang hinzustreben,

      Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt,

      Zu diesem Schritt sich heiter zu entschliessen,

      Und wär es mit Gefahr, ins Nichts dahinzufliessen!

      Nun komm herab, kristallne, reine Schale!

      Hervor aus deinem alten Futterale,

      An die ich viele Jahre nicht gedacht!

      Du glänztest bei der Väter Freudenfeste,

      Erheitertest die ernsten Gäste,

      Wenn einer dich dem andern zugebracht.

      Der vielen Bilder künstlich-reiche Pracht,

      Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,

      Auf Einen Zug die Höhlung auszuleeren,

      Erinnert mich an manche Jugendnacht.

      Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,

      Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen:

      Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht;

      Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.

      Den ich bereitet, den ich wähle,

      Der letzte Trunk sei nun mit ganzer Seele

      Als festlich-hoher Gruss dem Morgen zugebracht!

       Er setzt die Schale an den Mund.

       Glockenklang und Chorgesang

      chor der engel . Christ ist erstanden!

      Freude dem Sterblichen,

      Den die verderblichen,

      Schleichenden, erblichen

      Mängel umwanden!

      faust . Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton

      Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?

      Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon

      Des Osterfestes erste Feierstunde?

      Ihr Chöre, singt ihr schon den tröstlichen Gesang,

      Der einst um Grabesnacht von Engelslippen klang,

      Gewissheit einem neuen Bunde?

      chor der weiber. Mit Spezereien

      Hatten wir ihn gepflegt,

      Wir, seine Treuen,

      Hatten ihn hingelegt;

      Tücher und Binden

      Reinlich umwanden wir –

      Ach, und wir finden

      Christ nicht mehr hier!

      chor der engel. Christ ist erstanden!

      Selig der Liebende,

      Der die betrübende,

      Heilsam- und übende

      Prüfung bestanden!

      faust . Was sucht ihr, mächtig und gelind,

      Ihr Himmelstöne, mich am Staube?

      Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind!