Robert Heymann

Christines Weg durch die Hölle


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an zum Orkan. — Schrille Schreie dazwischen.

      Feuer! Ein düsterer, brauner Kopf in der Türfüllung.

      Schüsse. Wieder Schüsse.

      Christine springt auf, vor den Geliebten.

      Christine deckt Michael mit ihrem Körper.

      Da verstummen die Schüsse. Da wird es still. Und die Stille schreit Christine das Entsetzliche zu: Lebend wollen sie das Weib haben, lebend!

      „Nicht lebend!“ schreit Christine mit wahnsinnigen Augen.

      Michael ist kühl wie ernst auf dem Exerzierplatz. Er hat seine Kugeln gezählt.

      Noch zwei.

      Die Tür bricht entzwei.

      Da wendet er die Waffe gegen Christines Stirn — und — senkt sie.

      Denn plötzlich, wie von Geisterhand verweht, ist der Spuk verschwunden.

      Die Angreifer sausen hinab. Unten wird gekämpft. Ein schweres Maschinengewehr arbeitet.

      Die Weissen aus dem Panzerzug sind gekommen. Der Kampflärm ist bis zu ihren Patrouillen gedrungen.

      Trotzdem die Machnoleute überrumpelt sind, gelingt es den Weissen nicht, sie richtig zu fassen. Ehe der Hauptangriff erfolgt, sind sie schon auf und davon. Ihre kleinen Pferdchen jagen, den Bauch fast im Schnee, dahin und schleppen Maschinengewehre und Mannschaften mit sich hinaus in die grosse Landschaft der Ukraine, in die undurchdringlichen Wälder, in die endlosen Ebenen.

      Als die Offiziere sich endlich den Weg über die Trümmer und Leichen gebahnt haben, sehen sie im obersten Stockwerk an der Treppe den Sieger, eine bewusstlose Frau im Arm. Wie eine Standarde weht ihr Haar im Wind.

      Sie bringen warme Decken. Setzen das Paar in einen Schlitten. Und während in der Ferne der Kampf verklingt, fliegen Michael und Christine einem neuen Leben entgegen. Der Panzerzug steht auf den Schienen wie ein Untier aus grauer Vorzeit. Die Soldaten haben sich zu beiden Seiten eingegraben. Die Geretteten werden mit Jubel empfangen. Michael wird verbunden. Der Kommandeur des Zuges bittet ihn in seinen Wagen.

      Es sind noch einige Passagiere da, Kaufleute, gerettete Gutsbesitzer.

      Christine erwacht in einem wohlig geheizten Raum, lächelt und schläft wieder ein.

      3

      Einige Kaufleute hatten sich im Gefühle völliger Sicherheit zu weit von Odessa fortgewagt. Sie wollten Luxusartikel an die Bauern verkaufen und verborgenes Gold herauslocken. Aber einige wurden ermordet, andere retteten mit Mühe ihr nacktes Leben in den Panzerzug No. 12.

      Nun lag das Ungetüm da, ständig unter Dampf, vorne die riesengrosse Lokomotive, und ihr Panzer berührte beinahe die Schienen.

      Hinter ihm stand ein Wagen, langgestreckt wie ein lauerndes Raubtier, mit vielen Schiessscharten für die Gewehrschützen, und daran schlossen sich Pullman-Cars für die Passagiere, einige Karren mit Kanonen und Gepäck.

      Vor der Lokomotive aber, umweht von Dampf und Rauch, war ein Panzerturm. Aus seiner Drehkuppel drohte eine Kanone, aus den Seitenwänden sahen die messingnen Maschinengewehre heraus.

      Als der Zug mit einem kurzen Ruck anfuhr, erwachte Christine. Der französische General liess Michael noch nicht von seiner Seite. Er wollte hundert Auskünfte haben, er bewunderte diesen russischen Grafen, der unter so fürchterlichen Verhältnissen mit seiner jungen Frau bis jetzt ausgehalten hatte, und er erwies sich so schlecht unterrichtet über die Verhältnisse unter den Bolschewisten, über ihre Truppen und Bewaffnung, dass Michael ihm lange Vorträge halten musste, die der General immer wieder mit einem verwunderten Kopfschütteln beantwortete. In Odessa, in Nikolajew und in Cherson gingen Gerüchte um von einer wohlbewaffneten, nach Hunderttausenden zählenden Armee, und in der Phantasie der französischen Truppen waren die Bolschewiki reissende Wölfe von unmenschlicher Grausamkeit, während die Deutschen glaubten, sie wären durch die Kraft ihrer Idee, die ihnen Heldenkräfte verlieh, unbesiegbar.

      Christine setzte sich auf. Man hatte sie in einem Abteil allein gelassen. Plötzlich zogen die Bilder der letzten Stunden mit rasender Schnelligkeit an ihrem Geiste vorüber. Ihre Erinnerung, gekräftigt in der Geborgenheit ihrer neuen Umgebung, tastete weiter.

      Und da fiel ein Feuerreif über sie, ihr Herz presste sich zusammen wie unter einem unerträglichen Druck, sie schrie auf.

      Mit einem Mal sah sie die Katastrophe im Wirtschaftsgebäude vor sich, sie entsann sich, dass sie mit dem Hauptmann Alexeij Odojewskij verschüttet worden war, dass man sie ausgegraben hatte, dass aber niemand um das Schicksal des Offiziers wusste, dass sie nichts von ihm gesagt hatte, nichts hatte sagen können, weil ihr Kraft und Erinnerung gefehlt hatten.

      Was wird er denken! Was wird er von mir denken, wenn er noch am Leben ist? sinnt Christine. Er wird mein Verhalten für Rache nehmen — eine furchtbare Rache, deren ich nie fähig wäre ...

      Vielleicht liegt er noch irgendwo unter den Trümmern, der eisige Sturm fegt darüber weg, der Schnee deckt ihn zu. Sie zuckte unter peinigenden Gewissensbissen, aber sie wusste nicht, was sie beginnen sollte. Inzwischen rollte der Zug weiter und weiter, sie entfernte sich immer mehr von dem Schauplatz der Tragödie, und je weiter sie fuhren, desto entsetzlichere Bilder gaukelte ihr die Phantasie vor.

      Es kam hinzu, dass sie den Hauptmann nicht hassen konnte, trotz seines verächtlichen Verhaltens. Vielleicht, dachte sie — mit der unklaren Logik einer Frau, der das Laster nur schattenhaft bekannt ist — vielleicht wollte er mich wirklich nur mit Gewalt aus dieser Einöde schaffen, weil er sah, dass ich verloren war. Die Ereignisse haben ihm ja recht gegeben, und ich kann Michael trotz seines Heldenmutes von einer gewissen Schuld nicht freisprechen. In solchen Gedanken starrte sie vor sich hin.

      Die Bremsen ziehen plötzlich an. Luft zischt. Türen werden aufgeschlagen. Abgerissene Worte flattern gegeneinander.

      Eine kleine Station. Überall Militär: Petljurasoldaten, Freiwillige Denikins, Franzosen, Engländer.

      Christine fährt hoch. Sie will Michael rufen. Aber Michael befindet sich noch immer im Wagen des Generals.

      Die Waggontüre wird aufgerissen. Ein Herr stürzt herein.

      Ehe Christine einen Gedanken fassen kann, reisst er sich die Pelzmütze ab. Einen Augenblick starrt sie fassungslos in ein blutverkrustetes Gesicht. Die Augen brennen aufgeregt, der Mund lächelt. Sie erkennt Hauptmann Odojewskij.

      Ein wundersames Glück überkommt sie. Sie ist also nicht schuldig an dem Tod eines Menschen. Er ist gerettet! Er ist nicht, von ihr verleugnet, elend zwischen Eis und Trümmern gestorben!

      „Kein Wort,“ sagt der Hauptmann rasch. „Jede Sekunde ist verlorene Zeit. Ich werde verfolgt!“

      „Verfolgt?“

      „Ein Irrtum! Man bezichtigt mich der Spionage. Der Stab des Ukrainischen Direktoriums ist wieder einmal von Raserei befallen!“

      „Aber das ist ja Unsinn ... ich werde sofort Michael rufen.“

      „Zu spät, Gräfin! Ihr Gatte kann nichts tun. Wir befinden uns noch auf einem Boden, wo nur Petljura befiehlt. Der Verhaftungsbefehl kommt von dem Hetman selbst. Der französische General ist hier machtlos. Erst in Odessa können mich die Franzosen schützen! Gräfin, Sie müssen mir helfen, ich habe keinen Ausweis.“

      „Ja, aber — —“

      „Schnell.“ Er wirft einen Blick auf den matt erleuchteten Bahnhof hinaus. Der Zug steht. Stimmen nähern sich.

      Christine denkt angestrengt nach. Blitzschnell. Die Tür neben ihrem Wagen wird eben zugeschlagen.

      Da sieht sie Michaels Pelz neben sich hängen. Ein Griff in die Taschen. Ja, hier sind Papiere! Er wird sicher im Gefolge des Generals nicht nach einer Legitimation gefragt werden.

      Impulsiv reicht sie dem Hauptmann einen militärischen Ausweis. Odojewskij, der sich schon zum Sprung aus dem Fenster bereit machte, nimmt das Dokument an sich. Mit Gedankenschnelle