Es betrifft den Brief. Der Hauptmann muss ihn ja wieder aus seinem Versteck in seinen Besitz bringen!
Gräfin Kusmetz ...
Mac ist schon draussen. Eilt vor das Ankleidezimmer der Gräfin.
Horcht. —
Christine steht vor dem Ankleidespiegel, legt Rot auf und drückt den geblümten Seidenmantel an die Brust.
Da geht die Tür auf. Sie steht Alexeij im Spiegel.
Blitzschnell gleitet sie zum Fenster. Der Mantel schleift nach. Da steht sie silhouettenhaft gegen das sterbende Licht, schlank und rassig in blauer Wäsche.
„Hauptmann Odojewskij — ich befehle Ihnen —“
Alexeij dreht den Riegel hinter sich um.
„Gräfin, ich muss Sie noch einmal sehen — allein sprechen — nur einige Worte. —“
Christine stampft zornig, bleich mit dem Fuss auf.
„Hauptmann Odojewskij, ich hielt Sie trotz der letzten Vorfälle für einen Mann von Ehre!“
„Ich will wissen, ob ich Ihnen vollkommen gleichgültig bin.“
Er geht spielerisch zum Toilettentisch.
„Gleichgültig, mehr als gleichgültig — ich verachte Sie, Alexeij Odojewskij! Gehen Sie!“
„Nein,“ sagt Alexeij gelassen und spielt mit der Puderdose.
„Und ich bin Ihnen nicht gleichgültig. Man verachtet nur Menschen, die einem nicht gleichgültig sind. Ich will Ihnen ja nur dies sagen — unter vier Augen — dies eine ...
Ich liebe Sie —“
Da wird die Klinke der Tür niedergedrückt. Aber die Tür gibt nicht nach.
„Mein Mann,“ sagt Christine leise. „Sie haben mich kompromittiert. Sie machen mich unglücklich!“
Sie kämpft mit Tränen.
Der Hauptmann hält noch immer die Puderdose fest. Es ist die gleiche, die er im Kupee des Panzerzuges in Händen hielt. Auf dem Grunde, ganz von Puder bedeckt, ist eine kleine Spule aus Stroh. Odojewskij nimmt sie an sich.
Das Krachen der Tür verschlingt den leisen Aufschrei der verwirrten Frau. Mac dringt ein. Im selben Augenblick fliegt ihm die Puderdose an den Kopf. Staub — heftiger Schmerz in den Augen — er steht nichts mehr.
„Goddam,“ murmelt er, mit den Armen fuchtelnd, und wirft einen Buddha vom Schreibtisch.
Graf Kusmetz, von dem Lärm angelockt, stürmt herein.
Alexeij hat den Brief während der Reise, als er ihr galant die Dose hielt, im Puder versteckt, sagt sich Mac und reibt stöhnend die Augen. „Ich Narr! Das konnte ich mir doch denken!“
„Was sagen Sie?“ fragt Graf Michael und deckt mit dem Körper seine bebende Frau, die endlich den Kimono übergeworfen hat.
„Erklären Sie, Mr. Lee, was ist hier vorgegangen?“
„Erst Wasser,“ stöhnte Mac. Herbeigerufene Miliz-Soldaten treten ein. Die Direktoren des Hotels folgen.
Die Szene ist erfüllt von gestikulierenden Menschen.
Mac Lee schreit die Soldaten an: „Verhaften Sie ...“
Hauptmann Odojewskij will er sagen. Da stürzt schreckensbleich ein Angestellter herein.
„Herr Direktor — ein Mord —“
Er muss erst Atem holen.
„Der Herr von Nr. 19 — Hauptmann Odojewskij.“
„Was? Was ist los?“ schnauzt der führende Offizier.
„Erschossen!“
Christine presst die Hand gegen die Brust.
Das Zimmer ist schon leer. Unter Führung Macs eilen die Soldaten, die Direktoren und Graf Michael nach Zimmer 19.
In Zimmer 19 liegt starr und regungslos — — —
„Das ist doch nicht Hauptmann Odojewskij,“ sagt Mac.
„Das ist doch —“ stammelt mit schief zurückgelegtem Kopf der erste Direktor — „unser neuer Zimmerkellner,“ ergänzt der lautlos hinzugetretene zweite Direktor.
„Verstehen Sie das?“ sagt der erste Direktor zu dem zweiten.
Die Soldaten suchen das Zimmer ab. Alles ist durcheinandergeworfen. Umgestürzt. „Es hat ein heftiger Kampf stattgefunden,“ sagt der führende Sergeant. „Ihr Hotel scheint eine Verbrechergesellschaft zu beherbergen.“
Der erste Direktor widerspricht heftig, und es entspinnt sich eine erregte Diskussion.
Mac kniet neben dem Toten.
„Knock out,“ sagt er anerkennend.
„Wie meinen Sie?“ fragt der Sergeant.
„Er ist knock out geschlagen,“ wiederholt Mac. „Da sehen Sie —“
Der Tote bewegt sich.
Alles drängt hinzu. Aber der Hieb sass zu gut. Der Mann bleibt bewusstlos.
Hauptmann Odojewökij hat ihm die Zähne ausgeschlagen, denkt Mac Lee. Er ist so erregt, dass er es halblaut vor sich hinsagt.
„Nicht möglich! Einem Kellner?“ bemerkte der Sergeant. „Warum? Wer ist dieser Hauptmann?“
„Kellner!“ sagt Mac Lee leise. „Kellner! Er ist einer der besten Männer des französischen Nachrichtendienstes! Verstehen Sie, Sergeant? Mit solchen Zwischenfällen muss man rechnen. Er scheint auch Wind bekommen zu haben, was der Hauptmann vorhat!“ Mac legitimiert sich. Die Miliz zieht sich zurück. Alle gehen.
Mac Lee steht noch lange vor dem Regungslosen.
Lange.
Lässt ihn nicht aus den Augen.
Dann untersucht er seine Kleider genau, sehr genau. Naht für Naht. Mac Lees Finger zittern vor Aufregung. Er fühlt einen harten Gegenstand unter dem Hemd.
Fühlt noch einen Gegenstand.
Einen Dritten.
Reisst mit einem Ruck das Futter auf — und hält drei Perlen in Händen.
Drei wertvolle Perlen.
Köstlich schimmernd im Licht.
Seine Augen schmerzen.
Er atmet schwer.
Und schwer hebt der „Tote“ die Hand und stützt sich mühsam auf einem Ellenbogen auf.
Aus verschwollenen Tränensäcken starren zwei tiefliegende, gelbbraune Augen hasserfüllt auf Mac.
Der Detektiv birgt die Perlen in der Tasche.
„Wieder munter?“ fragt er gallig.
„Ja.“ Und mit einem schnellen Blick zur Schulter:
„Sie haben mir die Perlen genommen.“
„Abgenommen.“
Der Mann macht einen verzweifelten Versuch, hochzukommen, und steht endlich mit taumelnden Beinen.
Lehnt sich an die Wand.
Mac Lee schiebt die Unterlippe vor. „Viel zu schwach für einen Boxkampf mit Odojewskij,“ meint er französisch.
„Ja.“
„Hast tüchtig eins abgekriegt.“
„Der Satan ...“
„Du bist Franzose?“ fährt Mac Lee in leichtem Gesprächston fort.
„Nein. Ungar.“
„Russe, Mann.