die unverständlichen Beziehungen, die der Mensch nicht mehr durchschaut, in denen er sich, seine Gewohnheiten und seine alten Werte nicht mehr wiederfindet. Seine Arbeit wird eine Ware, der Mensch selbst eine ›Sache‹.«3
Frühes Geld bestand aus allem möglichen, von Muschelschalen bis Vieh. Allmählich bildeten sich Gold- und Silbermünzen als die praktischsten allgemein akzeptierten Zahlungsmittel, Wertaufbewahrungsmittel und als Wertmaßstab heraus.
Weil dieses Geld leicht zu lagern war, konnten fleißige Menschen erheblichen Reichtum anhäufen. Aber der konzentrierte Reichtum lockte auch Diebe an. Für Händler war Diebstahl ein besonders großes Problem: Daß sie Geld mitnehmen konnten, ermöglichte ihnen, für den Einkauf seltener Gewürze oder Stoffe große Entfernungen zurückzulegen, aber unterwegs lauerten häufig Straßenräuber, bereit, mit vorgehaltenem Messer die Geldbörse zu fordern. Solche Probleme führten zur Erfindung des Bankwesens – Gold- und Silberschmiede, die regelmäßig mit großen Mengen Edelmetallen zu tun hatten (und gewohnt waren, die Edelmetalle in gesicherten, gut bewachten Schatzkammern aufzubewahren), erklärten sich bereit, auch die Münzen anderer Leute zu lagern, und gaben dafür Quittungen aus. Diese Quittungen konnten dann wie Geld behandelt werden, wodurch das Geschäftemachen leichter und sicherer wurde.4
Schließlich erkannten im Mittelalter die Goldschmiede-Bankiers, daß sie die handelbaren Quittungen für mehr Gold ausgeben konnten, als sie in ihren Schatzkammern hatten, ohne daß es jemand merkte. Sie liehen die Quittungen als Darlehen aus und erhoben dafür eine Gebühr in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des Kredits.
Zunächst betrachtete die Kirche es als Sünde, aus Krediten Profit zu schlagen – es war Wucher –, aber die Bankiers fanden ein Schlupfloch in der kirchlichen Lehre: Es war erlaubt, die Kosten in Rechnung zu stellen, die bei der Kreditvergabe anfielen. Sie nannte man Zinsen. Allmählich weiteten die Bankiers die Definition von »Zinsen« aus, bis das eingeschlossen war, was früher »Wucher« geheißen hatte.
Die Praxis, Quittungen für Gold auszuleihen, das nicht wirklich existierte, funktionierte gut, solange nicht viele Inhaber solcher Quittungen ihre Scheine auf einmal gegen Gold oder Silber eintauschen wollten. Zum Glück für die Bankiers kam das so selten vor, daß schließlich das Ausstellen von Quittungen über mehr Geld, als an Einlagen vorhanden war, gängige und akzeptierte Praxis wurde; das Verfahren hieß Mindestreserve-Bankwesen.
Die Tatsache, daß immer mehr Geld im Umlauf war, erwies sich in der historischen Phase, als all das passierte, als Vorteil für Händler und Fabrikanten – in einer Zeit, in der unerhörter neuer Reichtum geschaffen wurde, vor allem durch die Eroberung von Kolonien und durch Sklaverei, aber dann auch durch die Ausbeutung der enormen Kraft fossiler Brennstoffe.
Als letztes Hindernis, daß Geld als Schmiermittel für Geschäfte dienen konnte, blieb seine Bindung an Edelmetalle. Solange Scheine gegen Gold und Silber eingelöst werden konnten, stellten die in den Schatzkammern lagernden Mengen an Edelmetallen zumindest eine theoretische Begrenzung für den Prozeß der Geldschöpfung dar. Von Zeit zu Zeit tauchten Papierwährungen auf, die nicht durch Edelmetalle gedeckt waren, wie erstmals in China im 13. Jahrhundert unserer Zeitrechnung; Ende des 20. Jahrhunderts waren sie beinahe weltweit die Regel.
Neben mehr abstrakten Formen von Währungen erlebte das letzte Jahrhundert auch die Entstehung und Verbreitung von immer raffinierteren Anlageinstrumenten. Aktien, Anleihen, Optionen, Futures, Wetten auf steigende und fallende Kurse, Kreditausfallversicherungen und anderes ermöglichen es Investoren, mit der Bewegung von Preisen realer oder virtueller Anlagen und Waren Geld zu verdienen (oder zu verlieren) und ihre Wetten zu versichern – sogar ihre Wetten auf die Wetten anderer Investoren.
Das wahrscheinlich berüchtigtste Investitionsmodell wurde von Charles Ponzi ersonnen, einem italienischen Einwanderer in die Vereinigten Staaten, der 1919 damit begann, Anlegern zu versprechen, sie könnten ihr Geld innerhalb von 90 Tagen verdoppeln. Ponzi erzählte seinen Kunden, die Gewinne stammten aus dem billigen Einkauf von internationalen Antwortscheinen in verschiedenen Ländern und ihrem Wiederverkauf zum Nennwert in den Vereinigten Staaten – ein formell legales Verfahren, das infolge von Währungsdifferenzen Gewinne von bis zu 400 Prozent pro Antwortschein bringen könne. Allerdings sagte er seinen Kunden nicht, daß jeder Antwortschein einzeln eingelöst werden mußte, so daß der damit verbundene bürokratische Aufwand erhebliche Kosten verursachte, wenn größere Mengen von Antwortscheinen (die pro Stück nur ein paar Pennies wert waren) gekauft und eingelöst wurden. Tatsächlich bezahlte Ponzi nur seinen frühen Investoren Geld aus den Beträgen, die spätere Investoren einbrachten. Sein Verfahren war ein Weg, Reichtum von vielen zu wenigen umzuverteilen, und dabei schöpfte er für sich selbst großzügige Summen ab, wenn das Geld durch seine Hände ging. Auf dem Höhepunkt seiner Machenschaften strich Ponzi rund 250 000 Dollar pro Tag ein (Millionen in heutigem Geldwert). Tausende verloren ihre Ersparnisse, viele verkauften ihre Häuser oder belasteten sie mit Hypotheken, um investieren zu können.
Einige wenige Kritiker (vorwiegend Anhänger einer mit Gold gedeckten Währung) haben das Mindestreserve-Bankwesen als eine Art Ponzi-System bezeichnet, und es ist tatsächlich etwas daran.5 Solange in einem Land die Realwirtschaft mit Waren und Dienstleistungen wächst, erscheint eine Ausweitung der Geldversorgung gerechtfertigt, ja sogar nötig. Doch Währungseinheiten sind im Kern Ansprüche an Arbeit und natürliche Ressourcen – und wenn die Ansprüche zahlreicher werden (mit dem Wachstum der Geldmenge) und zugleich die Ressourcen abnehmen, werden die verbleibenden Ressourcen schließlich nicht ausreichen, um alle Forderungen aus der vorhandenen Geldmenge zu befriedigen. Die Forderungen werden an Wert verlieren, unter Umständen dramatisch und plötzlich. Wenn das geschieht, werden Papier- und elektronische Währungssysteme, die auf der Geldschöpfung durch das Mindestreserve-Bankwesen beruhen, ähnliche Folgen zeitigen wie ein kollabierendes Ponzi-System: Die große Mehrheit der Beteiligten wird viel oder alles von dem verlieren, was sie zu besitzen glaubte.
1.1WARUM WURDE WUCHER GEÄCHTET?
Tim Parks schreibt in seinem Buch Das Geld der Medici:
»Mit der Erhebung von Zinsen verändert sich das [Funktionieren der Wirtschaft]. Durch die Verzinsung ist Geld nicht einfach nur eine stabile Metallware, auf die man sich als Tauschmittel geeinigt hat. Auf lange Sicht vermehrt es sich, und zwar ohne jede Anstrengung seitens des Verleihers. Jetzt kommen die Dinge in Fluß. Ein Mann kann sich Geld leihen, einen Webstuhl kaufen, die Wolle zu einem hohen Peis verkaufen und seinen Status in der Welt verbessern. Ein anderer Mann kann sich Geld leihen, dem ersten Mann die Wolle abkaufen, sie ins Ausland verschiffen und dort zu einem noch höheren Preis verkaufen. Er steigt gesellschaftlich auf. Oder, wenn er Pech hat oder dumm ist, er ruiniert sich. Unterdessen wird der Bankier, der Geldverleiher, immer reicher. Wir erfahren nicht einmal, wie reich er ist, weil Geld weggesteckt und verborgen werden kann und Gewinne aus finanziellen Transaktionen schwer aufzuspüren sind. Es ist sinnlos, seine Schafe und Kühe zu zählen oder nachzumessen, wieviel Land er besitzt. Wer wird ihn dazu bringen, daß er seinen Zehnten abgibt? Daß er seine Steuern bezahlt? Wer wird ihn ermahnen, auf seine Seele zu achten, wo doch das Leben so gewinnbringend ist? Die Dinge geraten außer Kontrolle.«6
Wirtschaftslehre für Eilige
Wir haben soeben einen Überblick über die Geschichte der Wirtschaft gegeben – jener Systeme, durch die Menschen Reichtum schaffen und verteilen. Die Wirtschaftswissenschaft hingegen besteht aus Denkgebäuden, Ideen, Gleichungen und Annahmen, die beschreiben, wie diese Systeme funktionieren oder funktionieren sollten.7
Die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften beginnt viel später. Zwar können als erste Wirtschaftswissenschaftler antike griechische und indische Philosophen gelten, darunter Aristoteles (382–322 v. Chr.); sie schrieben über die »Kunst« des Erwerbs von Reichtum und fragten, ob Besitz am besten in den Händen von Privatleuten oder in den Händen einer Regierung liegen sollte, die im Namen des Volkes handelt. In den nächsten 2000 Jahren ist aber wenig wirklich Substantielles zu diesen Fragestellungen hinzugekommen.
Richtig in Gang kam das Nachdenken über Wirtschaft