geworden, zivilisierter, eleganter sogar. Es ist wahr: Die deutsche Frau hat eine enorme Wandlung durchgemacht, äußerlich zumindest. Sie ist flott, schick, sexy. Mehr als die heutige Amerikanerin. Dazu blieb sie – na sagen wir doch ruhig: lieb. Und der deutsche Mann? Er trägt sich italienisch: spitze, spitze Schuh’, fesche Janker – und amerikanisch: Jeden Tag das frische weiße Hemd, der gesäßenge Hosenschnitt mit waagerechten Taschen.
Der frische Duft der weiten Welt allenthalben zwischen Kaiser-Wilhelm-Kanal und Bodensee. Deutsche Filme: enorm frei. Obwohl doch immerhin ein kleines Binnenmeer zwischen uns und Schweden liegt. Frei und, denk’ ich an die »Tote von Beverly Hills«, auch witzig-spritzig. Leben und leben lassen – wir haben es nie gekonnt. Nun scheint dieser »Nachholbedarf« mit enormem Programmgeschick nachgedeckt zu werden.
Man trinkt mehr Whisky als Cognac, scheint mir – trotz der Gaullisten. In dieser Beziehung zumindest liegt das Übergewicht bei den »Anglo-Saxons«, den Atlantikern. Auch was die kleine große Liebe zum gemischten Drink angeht.
»Brandy Alexander« – das wird ohne Rückfrage serviert. Wohlstandsalkoholismus? Hübsches Wort und angenehm wahr. Ich finde die intime Bar und einen Gin-Tonic oder Scotch weniger gefährlich als das Hofbräuhaus, eins-zwei-g’suffa.
Strauß hatte ich mir gefährlicher vorgestellt, obwohl mir klar ist, daß wir ihn (und den greisen Altbundeskanzler Adenauer) noch immer hätten, hätten wir nicht zu kritischer Stunde die Herren Augstein und Mende und Erler gehabt. Tatsächlich – es war doch wohl keineswegs ein Triumph der neuen deutschen Demokratie, was sich da in Bonn vollzog, sondern es war »die Presse«, und es war »die Koalition«, denen die Brachialgewalt erlag. Der Spiegel machte große Politik – zumindest Innenpolitik, und die Freien Demokraten bewährten sich durchaus als »Zünglein an der Waage«.
Komisch, wie man doch immerfort auf Probleme stößt, wenn man nur den Blick erhebt – vom Bild der fleißigen, wohlanständigen, trink- und reiselustigen Deutschen: zu ihren öffentlich-gemeinschaftlichen Verhältnissen. Probleme? Oft kommen nur ein paar Schaumkronen daher, und man hält sie für Seegang. Die See ist ruhig in bundesdeutschen Gewässern. Die Lage ist stabil, auch wenn es die Telefongebühren nicht sind. Ironie des Schicksals, daß ein Volk mit so tödlicher Belastung, mit so äußerster Instabilität im ganzen wie das geteilte deutsche Volk, so fest und wohlbeleibt dasteht in all seinen Teilen, im einzelnen, wie kaum ein anderes.
Ja, wie gut es uns geht-es wird gar nicht ausreichend »realisiert«, wie man drüben sagt. Nicht recht begriffen, und auch nicht recht »verwirklicht«. Die Unrast in dieser Weltgegend zwischen Nordsee und Alpen ist enorm. Das drückt sich in der Autodichte, im Straßenverkehr aus, natürlich. Aber auch darin, daß Deutsche besonders gern und viel gleichzeitig reden. Jemanden, zumal wenn er zögernd oder gehemmt formuliert, erst einmal zu sich kommen zu lassen oder zu dem, was er sagen will – unbekannt. Drängeln! Haste, was kannste. Und kannste nicht, mach den Weg frei. Wo ist es hin, das Behagen? Die deutsche Welt von »Hermann und Dorothea«, soweit es sie jemals gab – perdu.
Poesie – so etwas Deutsches, dachte ich immer. Wo ist es geblieben? In der Landschaft finde ich es leicht. Nicht nur südlich der Main-Linie. Wenn die Bahn durch Schleswig-Holstein rattert, fliegt vorm Abteilfenster ein Gedicht nach dem anderen vorbei. Die grünen Wellen der Wiesen unter kühlblauem Himmel, schwarzbuntes Vieh, Telegrafenstangen, Wacholder. Die Landschaften drüben, großartiger, lauter, atemberaubend weitläufig. Hier: das eingegrenzt Rührende, altfränkisch In-sich-Beschlossene. Es spricht zum Herzen, darum findet man’s poetisch.
Ob und welche Gedichte sie lesen, die Deutschen, weiß ich nicht. Ingeborg Bachmann auf der Bestsellerliste, das ist schon erstaunlich. Aber auch schwierig. Ist man gar nicht mehr romantisch? Liest man wohl noch Eichendorff miteinander oder Hölderlin, wenn man mit Zwanzig verliebt ist? Das »Sachbuch«, höre ich, hat einen Siegeszug angetreten. Wer oder was wurde dabei besiegt? Aber dann wieder hat Günter Graß soviel Erfolg. Und wie kommt das? Überläßt man wieder einmal das Provozieren der Literatur, und faltet die Opposition andernorts die Zehlein, wie in Morgensterns Gedicht die Rehlein?
Denn wenn wir auch so ziemlich alles haben, uns alles leisten können: eine Opposition haben wir kaum, die können wir uns anscheinend nicht leisten. Warum wohl? Keine Experimente, gut. Uns paßt die ganze Richtung, denn sie macht, daß es uns gut geht, klar. Aber ist denn alles auch genauso gut fundiert, wie es läuft, und denken wir an die Zukunft? Was wird zum Beispiel aus dem wichtigsten und schwierigsten Geschöpf dieser Bundesrepublik, der deutschen Bundeswehr?
Hat sich eine hochmögende Oppositionspartei darum gekümmert? Hat sie auch nur die richtigen Fragen gestellt, rechtzeitig? Es war ein ehemaliges CDU-MdB, ein ehemaliger Admiral, der die Wunde bloßlegte, die da eitert. Und so entwöhnt ist dieses Land des Spiels und Widerspiels gegenteiliger Meinungen, daß die sofortige Reaktion der Regierungspartei war: abschießen. Aber wenn Herr Heye nun nicht mit dem Grafen Nayhaus von Quick zu Abend gegessen hätte? Aber wenn Heye nun nicht der olle Seebär mit dem Mut oder dem Altersstarrsinn eines Panzerkreuzers wäre – müßten wir uns dann so durchrobben, von einem Nagold zum anderen? Doch einen Nagold-Prozeß hätten wir ja nicht gehabt, lernte ich, wenn da nicht ein Pfarrer des Weges gekommen wäre, die Schikanen beobachtet und Anzeige erstattet hätte.
Schön, schön – es ist schon viel wert, daß es Richter in Calw und Illustrierte in München und last not least: Männer in Bonn gibt. Aber überlassen wir da nicht allzuviel dem Zufall? Wer hat denn den Abhörstein ins Rollen gebracht? Wieder die Journalisten. Und wo blieb, ja wo bleibt bei alle dem das Parlament, die parlamentarische Opposition? Fritz Erler und Herbert Wehner, Kurt-Georg Kiesinger und Thomas Dehler, Reinhold Maier und Gustav Heinemann, Adolf Arndt und Carlo Schmid – was gab es doch immerhin einmal für Zunder in jener Ära Adenauer.
Die Ära Erhard ist rund und satt und nobel und angenehm – ganz wie »Ludwig der Maßhalter« selber. Er wird auch schon mal getadelt, o doch. Bloß trifft der Tadel wiederum meistens Mythen, nationale Mythen. Über Außenpolitik läßt sich herrlich streiten in einem Staat, der praktisch kaum außenpolitische Bewegungsfreiheit hat. Aber die Bundeswehr, das Ding, dem wir alle unsere Sicherheit anvertrauen und unsere Söhne – die überlassen wir Herrn Strauß oder sich selber.
In Wahrheit braucht sie selbstverständlich die Hilfe aller. Sie braucht mehr Unteroffiziere und bessere Offiziere, sie braucht mehr Zeit und Geld – vor allem aber braucht sie die Teilnahme des Volkes, Aufsicht, Förderung, Kritik. Und da versagt offenbar diese ganze Bundesrepublik. Was vermögen ein guter Kanzler, ein guter Verteidigungsminister ohne die lebendige Mitarbeit des Parlaments, der Presse, der gesamten Öffentlichkeit? Ein guter Wehrbeauftragter ist, wie wir sahen, zumindest eine Notbremse. Sie hat funktioniert. Das ist viel. Aber der Zug soll ja fahren, richtig und sicher und weit genug und pünktlich. Das, genau das, wollte auch der Notbremser Admiral Heye.
Es ist ja sehr schmeichelhaft, wenn man als Journalist die Bedeutung des Journalismus im alten Vaterland so aufgewertet sieht. Aber es war doch beruhigend, in den USA vier Säulen des Staates tragfähig und lebendig zu sehen: Parlament, Regierung, Oberstes Gericht und Presse. Die Presse plus »elektronischem Journalismus« (Radio und Fernsehen) ist erstaunlich mobil, bewegt sich der Volljährigkeit zu in deutschen Landen. Der Bundesgerichtshof? Er ist bei weitem nicht so präsent, nicht so souverän wie der zu Washington. Die Regierung? Sie versucht es unter Erhard mit einem neuen Stil, und tatsächlich macht sich der Abbau des autokratischen Adenauer-Regimes bereits bemerkbar, durch frische Luft, die durch die Bonner Amtsstuben weht. Der Bundestag? Treffliche Männer wie Gerstenmaier – aber kein Leben. Wehners Umarmungstaktik scheint ihn zu lähmen. Nicht einmal der Haushalt führt zu Aufregungen. Sagt mir, wo die Redner sind, wo sind sie geblieben? Urlaub von der Geschichte? Das konnte 1945 so aussehen. Dann kam 1949 das Doppelengagement: BRD und DDR. Dann kam die Etablierung mit ihren Kontroversen und Debatten. Dann kam die Serie der Berlin-Krisen, die Mauer. Dann kam die Wachablösung in Bonn. Und nun? Nun scheint es mir so, als ob wir uns zur Ruhe gesetzt hätten, pensioniert von der Geschichte. Wenn das ginge – wär’ ja wunderbar. Aber ich kenne kein historisches Beispiel. Es war meistens der Anfang vom Ende.
»Die Schweiz ist eine Interessengemeinschaft zur Ausbeutung der Fremden«, sagte einmal mein amerikanischer Nachbar Kenneth, als er gerade mit der ganzen Familie aus St. Moritz