Sturm. Fasziniert betrachtete die Dunkle Königin die tiefen Furchen in seiner Haut. Ledrig und spröde, fast wie Baumrinde wirkte sie. Doch Bandorchu konnte spüren, dass in seinen Knochen noch reichlich Leben steckte.
Seine großen klobigen Hände baumelten seitlich aus abgetragenen Ärmelenden. Zwei gut geschulte Werkzeuge, die blind ihre Arbeit verrichten konnten.
»Was ist dein Talent?«, fragte die Dunkle Königin, als er vor ihr stehenblieb.
»Ich bin Fuhrmann. Ich transportiere das Holz, ziehe mit meinen Gäulen die Baumstämme aus dem Wald, säubere sie von Ästen und bring sie rüber in die nächste Stadt ins Lager oder direkt zum Verladebahnhof, wenn’s Holz weiter weg reisen soll«, antwortete der Mann gehorsam.
»Sag mir deinen Namen, Fuhrmann«, befahl Bandorchu mit zuckersüßer Stimme, während die Alte immer noch keifte und zeterte.
»Liam«, kam die prompte Antwort.
»Dann hör mir gut zu, Liam«, sprach sie und fasste seinen Kopf mit beiden Händen. »Du gehörst jetzt mir. Du wirst tun, was immer ich wünsche, bis ich dir etwas anderes befehle.« Erneut ließ sie die Magie aus sich heraus strömen, ihn umschlingen und schließlich in ihn dringen. Zielsicher bahnte sich ihr Zauber den Weg zum Zentrum seines Denkens und Handelns und hinab in sein Herz und seine Eingeweide. All das würde von nun an danach schmachten, ihre Stimme zu hören und ihre Kommandos zu empfangen. In ihm gab es nur noch sie als Sonne, die er zu umkreisen hatte, und ein paar elementare Überlebensinstinkte, die ihn atmen und verdauen ließen.
»Du wirst meiner Spur folgen und uns all dein Holz bringen und was du sonst noch an Waren in deinem Lager hast. Aber vorher versorgst du uns mit so viel Essen und Wein, wie auf deinen Karren passt.« Mit einem bittersüßen Kuss auf seine Lippen besiegelte sie den Bannzauber. Er stöhnte auf. Von Grauen überwältigt und doch verzückt. Denn die Erkenntnis, gefangen zu sein, wich bereits bei seinem nächsten Atemzug aus dem Bewusstsein. Mit leergefegtem Verstand stand er da, während ihm eine letzte Träne über die Wange rann.
»Hexe! Seht, was sie gemacht hat! Sie ist eine verdammte Ausgeburt der Hölle!«, schrie die Alte und kam ihrem Mann mit hoch erhobenem Teppichklopfer nach.
Bandorchu hob belustigt die Brauen, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete ab. Ein bisschen Drama war nie verkehrt, als unterhaltsames Intermezzo.
»Seht ihr das denn nicht? Dass sie euch alle bezirzt?«, keifte die Frau, als sie heran war. Den Klopfer immer noch drohend erhoben, drehte sie sich, um die Umstehenden aufzurütteln. Doch die Blicke der Männer galten nur ihr – der Dunklen Königin Bandorchu.
»Schweig jetzt«, sagte sie, als die Alte immer lauter und hysterischer wurde. Eine Handbewegung reichte, um ihr die Stimme zu nehmen. Um ihr die Kehle zuzuschnüren und dann zuzudrücken.
Die Augen weit aufgerissen, die Hände an den Hals gelegt, keuchte die Greisin, kratzte sich die Haut auf bei dem verzweifelten Versuch, sich von dem unsichtbaren Henkersseil zu befreien, das sich von Sekunde zu Sekunde fester zuzog.
Oh, wie Bandorchu es genoss. Wie sehr sie es liebte, Verzweiflung zu säen, Hoffnung zu rauben und Todesangst zu schüren. Die Energie in ihr brodelte so heiß und gierig, dass ihr Herz zu hämmern begann. Brunftige Leidenschaft wallte in ihr auf, wollte einen Körper nehmen, ihn niederzwingen, sich untertan machen und schließlich genommen werden. Haut an Haut. Ineinander verschlungen. In Schmerz und Lust vereint, bis die Anspannung in einem Feuerwerk der Ekstase endete, sich auflöste und – zumindest für einen kurzen Moment – an ihre Stelle Befriedigung setzte.
»Der nächste!«, rief sie voller Gier, formte die Hand zur Faust, presste das letzte bisschen Leben aus der Frau und wandte sich den wartenden Männern zu.
Die Frau brach leblos zusammen, den Kopf unnatürlich schräg zur Seite gekippt, das Gesicht zu einer Fratze des Schreckens verzerrt. Das würde anderen eine Lehre sein.
»Schaff sie weg von hier«, befahl sie Liam.
Seine Augen spiegelten für einen Bruchteil Erkennen und Schmerz wider. Tief in ihm drinnen wusste er, was passierte, spürte er sein eigenes Herz brechen. Dennoch beugte er sich ächzend vor, packte seine tote Frau an den Haaren, als wäre sie ein Stück Holz, und zog sie routiniert die Straße hinab zurück zum Hof.
Mehr Menschen strömten aus den Häusern, redeten aufgeregt durcheinander und deuteten auf Bandorchu. Vielleicht war diese Demonstration ihrer Macht doch keine so gute Idee gewesen. Eine Tote mochte noch keine Schlagzeilen wert sein, aber ein Dutzend würde am Ende noch die Gesetzeshüter von außerhalb auf den Plan rufen. Unnötiger Trubel, der lästig werden konnte.
Also entschied sich die Dunkle Königin dafür, es für heute gut sein zu lassen. Zwei der umstehenden Burschen zog sie magisch mit sich, während sie dem Rest befahl, sich wieder um ihre alltäglichen Dinge zu kümmern. Es würde an ihnen sein, die ganze Sache ihren Familien zu erklären. Unnötig, sie auch noch zu bannen. Vorerst zumindest.
Es war so einfach, den menschlichen Geist zu verdrehen, ihn zu wenden und zu töten, wie es ihr beliebte. Die Energie, die sie dafür benötigte, war verschwindend gering, im Vergleich zu so manchem elfischen Opfer.
Kaum einer, mit Ausnahme des Getreuen, hatte sich je gegen ihre Einflussnahme gewehrt, hatte sich ihr trotzig widersetzt und ihre Nerven strapaziert. Andererseits waren es die kämpferischen Gegner, die sie schätzte. Ihre Pein war die schönste, weil in ihnen immer noch der Hoffnungsfunke glomm, sie könnten ihr entkommen. Doch das musste sie bei ihrem getreuen Diener nicht befürchten. Auch wenn er ihr trotzte, er war ihr verfallen. Mit Haut und Haar. Und eine leise Stimme sagte ihr, dass das verlorene Schaf auf ihren Ruf hin heimgekehrt war und sehnsüchtig seine Strafe erwartete.
Bandorchu lächelte grimmig bei diesem Gedanken, drehte sich um, wischte mit der Hand einmal elegant durch die Luft und trat zufrieden den Heimweg an. Ein violetter Windhauch fegte durch die Straße, umspielte die Menschen und ließ Verwirrung und Wut verrauchen, ließ sie vergessen und weitermachen mit ihrem kleinen nichtigen Leben.
Sie würde wiederkommen und erneut mit ihnen spielen. Bis sich alle Steinchen am richtigen Fleck versammelt hatten. Bis ihr Netz gespannt war und ihre Diener und Verbündeten bereit für die letzte Schlacht waren.
9.
Der magische Wall
Hügel von Tara
»Ich habe sie gehabt! Die Spur! Eben war sie noch da. Ganz frisch! Und dann wieder nicht mehr«, sagte Pirx und sprang aufgeregt über die Straße und in Feld hinein. »Vielleicht war die Dunkle Königin gar nicht vor uns, sondern hinter uns.«
»Wohl kaum«, antwortete der Grogoch und schmatzte unwillig.
Der alte Kobold war für Pirx’ Geschmack viel zu ruhig und gelassen. Es kam einfach nicht in Frage, dass sie Bandorchu verloren hatten. Vielleicht mal kurz verlegt, aber nie gänzlich verloren! Sowas durfte es nicht geben!
»Jetzt ist auch noch der Kerl einfach verschwunden. Wusch und weg!«, zeterte der Pixie fassungslos und biss sich vor Aufregung und Wut in seine rote Kappe.
»Erinnert mich an das Zeitgrab«, sagte Grog und schmatzte erneut. »Es ist nicht nur die Spur, die einfach abbricht. Es liegt etwas Magisches in der Luft. Schon die ganze Zeit.«
Pirx hielt inne und schnüffelte. Da hing so einiges in der Luft. Bier, Schnaps, Schweiß und Schafkacke überall. Aber jetzt, da sein Freund ihn darauf hingewiesen hatte, roch er es auch. Diesen Andershauch.
»Du denkst, sie haben nen Wall errichtet? Mitten auf den Feldern?« Pirx kratzte sich die Stacheln und schob die Kappe wieder auf den Kopf.
»Es muss ein gewaltig großer sein, wenn sie alle darin untergekommen sind«, sagte Grog und rieb sich grüblerisch das haarige Kinn.
»Gigantisch groß sogar! Schließlich wird die Königin nicht in einem Campingzelt wohnen wollen«, setzte Pirx die Überlegungen fort. »Aber wie sollen wir die Grenze finden?«
»Wir werden abwarten, bis wieder jemand die Stadt in derselben Richtung verlässt.«