Richard Harding Davis

Der rote Reiter


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New Yorks im Gedächtnis zu haben. Cahill gab auch gar keine Antwort. Er sah den Sergeanten nicht einmal an, sondern putzte seinen Ladentisch mit einem feuchten Tuch ab, langsam, schwerfällig — so bedächtig, wie ein Mann ein Messer an einem Schleifstein schärft.

      Als der Sergeant in der gleichen Nacht den Pfad zum Militärposten hinauf schritt, pfiff eine Kugel durch seinen Hut. Clancey war ein gewalttätiger Mann, und da gewalttätige Männer Feinde haben, so war er nicht ganz sicher, ob die Kugel von einem Rekruten stammte, den er in letzter Zeit schlecht behandelt hatte, oder ob er in der Dunkelheit für irgend einen Anderen gehalten worden war. In der nächsten Nacht krachte, gerade als er den Lichtschein aus den Fenstern der Forthandlung durchschritt, von dem Dunkel der Ställe her ein Schuss. Der Sergeant flüchtete schleunigst zu den Indianern, Cowboys und Soldaten in den Laden, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Cahill aus dem anderen Raum eintrat und sich ostentativ damit beschäftigte, eine Flasche Painkiller für Frau Stickneys Köchin einzuwickeln. Clancey liess sich jedoch nicht täuschen. Er bemerkte mit Genugtuung, dass die Sohlen und die Absätze von Cahills Stiefeln deutliche Spuren der schwarzen Schmutzpfütze bei den Ställen trugen.

      Am nächsten Morgen, während der Laden gerade leer war, stellte der Forthändler eine neue Sendung von Büchsen kondensierter Milch auf einem Regal auf. Als er sich zufällig umwandte, sah er den Revolver des Sergeanten auf sich gerichtet.

      Er warf die Hände in die Höhe, machte ein Gesicht, als geschähe ihm grosses Unrecht und wartete schweigend. Der Sergeant schritt vorwärts, bis er den Revolver auf den Ladentisch auflegen konnte — die Laufmündung präzise auf Cahills Magen gerichtet.

      „Einer von uns, Ihr oder ich, hat Fort Crockett zu verlassen,“ sagte der Sergeant. „Und da ich nicht desertieren kann, so seid Ihr es, kalkulier’ ich.“

      „Warum habt Ihr den Mund nicht gehalten?“ fragte Cahill. Er mimte noch immer ungläubiges, beleidigtes Erstaunen, aber seine ruhige Stimme drückte nicht nur volles Verständnis für die Situation aus, sondern vor allem den Wunsch, Zeit zu gewinnen.

      „Zuerst dachte ich, der neue Rekrut in »F«-Schwadron könnt’ es gewesen sein,“ erklärte der Sergeant. „Beinahe hätt’ ich um Euretwillen den falschen Mann umgebracht. Was hab ich Euch denn dadurch geschadet, dass ich sagte, Ihr seiet Kneipenwirt für McTurk gewesen? Was ist denn dabei? Wie kann man darüber so wütend werden?“

      „Ihr habt gesagt, ich gehörte zu den Whyos!“

      „Was zum Teufel kümmere ich mich darum, was Ihr getan habt!“ brüllte der Sergeant. „Ich weiss überhaupt nichts von Euch. Aber ich denke nicht daran, mich hinterrücks erschiessen zu lassen. Ich werd’ die Geschichte meinem besten Freund erzählen, und wenn mir was passiert, dann weiss die Schwadron, wer’s getan hat, und Ihr werdet gehängt. Also — wie soll’s nun werden?“

      Cahill kam nicht dazu, sich darüber zu äussern, denn vom andern Laden her rief Mary Cahills sanfte Stimme: „Vater! Oh, Vater!“

      Die beiden Männer duckten sich und sahen einander schuldbewusst an. Der Sergeant starrte mit weit aufgerissenen Augen nach dem Vorhang aus Büffelfellen; Cahill liess seine Hände sinken und legte sie flach auf den Ladentisch.

      Und als Miss Mary Cahill die Büffelfelle beiseite schob, war Sergeant Clancey, von »G«-Schwadron, eben dabei, ihrem Vater den Mechanismus des neuen Armeerevolvers zu zeigen. Anscheinend machte ihm das Einschieben des Patronenzylinders Schwierigkeiten, denn sein Gesicht war ganz rot und ärgerlich. Ihr Vater betrachtete die Schusswaffe mit dem kritischen Blick des Kenners.

      „Vater,“ sagte Miss Cahill lächelnd, „weshalb hast du denn nicht geantwortet? Wo ist das blaue Briefpapier — die Sorte, die Major Ogden immer kauft? Er wartet.“

      Der Forthändler verwandte kein Auge von dem Revolver vor ihm. „Bei den Notizbüchern liegt es, Kind,“ sagte er. „Auf dem zweiten Regal.“

      Miss Cahill traktierte den riesigen Sergeanten mit einem bezaubernden Lächeln und flüsterte leise, so dass der Offizier im Nebenraum es nicht hören konnte:

      „Will er dir ärarisches Eigentum verkaufen, Väterchen? Tu’s ja nicht! Sergeant, wie können Sie meinen armen Vater in Versuchung führen!“

      Sie verschwand in den Falten der Büffelfellvorhänge, bis nur noch ihr Gesichtchen hervorguckte. Es war ein süsses, liebes Gesicht, mit den Augen eines kleinen Jungen.

      „Wenn der Major fort ist, Sergeant,“ wisperte sie, „dann bringen Sie mir Ihren Revolver in den andern Laden herüber und ich werde ihn Ihnen abkaufen!“

      Der Sergeant nickte heftig, in begeisterter Zustimmung, über das ganze Gesicht lachend. Dabei schlug er sich schallend aufs Knie, als könne er sich gar nicht mehr helfen vor Freude und Vergnügen.

      Die Büffelfelle fielen nieder und das Gesichtchen verschwand.

      Der Sergeant schob den Revolver hin und her, und Cahill verschränkte trotzig die Arme.

      „Nun?“ sagte er.

      „Na?“ fragte der Sergeant.

      „Ihr könntet eigentlich selber sehen, wie die Sache liegt,“ sagte Cahill, „ohne dass ich’s Euch erklären muss.“

      „Ihr meint, sie soll nichts davon wissen?“

      „Mein Gott, nein! Nicht einmal, dass ich Kneipenwirt war!“

      „Schön, ich weiss von nichts. Ich plaudere nichts aus. Hätt’ ich sowieso nicht getan. Wenn Ihr versprecht, gut zu sein und mich in Ruhe zu lassen, so ist die Geschichte erledigt.“

      Da lächelte Cahill, zum erstenmal, seit er in Fort Crockett war.

      „Kann ich jetzt mal unter den Ladentisch greifen?“ fragte er.

      Der Sergeant schmunzelte verständnisvoll und balanzierte seinen Sechsschüssigen in der Rechten.

      „Jawohl! Aber ich behalt’ das Ding hier noch in der Hand, bis ich sicher bin, dass es nur eine Flasche ist, nach der Ihr greift!“ sagte er und brach in ein lautes Gelächter aus.

      Einen Augenblick lang, unter dem Schutz des Ladentisches, berührte Cahills Hand sehnsüchtig den Revolver, der dort lag, und glitt dann hinüber zu der daneben stehenden Flasche. Die Flasche kam zum Vorschein. Die Gläser klirrten zusammen ...

      Und damit war die Angelegenheit erledigt. Sie wäre für immer erledigt geblieben, hätte nicht Leutnant Ranson eine Torheit begangen.

      Vor einer Woche war in den Willow-Gründen, im Zeltlager einiger Kiowa-Indianer, ein Feuer ausgebrochen, und die Prärie lag verbrannt und schwarz da, so weit man nur sehen konnte. Als wäre Tinte vom Himmel herabgeregnet. Beim Ausbruch des Feuers befand sich das ganze Regiment, mit Ausnahme von zwei Schwadronen, auf einem Uebungsmarsch, um irgend eine neumodische Feldration auszuprobieren. Komprimierte Nahrung. Tabletten. Sobald das Regiment auf dem Rückweg zwischen den Hügeln hervorkam, sah es den Feuerschein am Himmel, und aus dem Uebungsmarsch wurde ein Rennen.

      Im Fort waren die Männer, Leutnant Ranson an ihrer Spitze, mit nassen Pferdedecken nach dem Feuerherd geeilt, so schnell sie nur laufen konnten, und während »G«-Schwadron unter Ransons Führung mit den Flammen kämpfte, brannte »H«-Schwadron, von Major Stickney kommandiert, das dürre Gras in weitem Kreis um das Fort ab. Auf dieses vor dem Feuer gesicherte Gelände flüchteten die Männer von »G«-Schwadron, stolpernd vor Müdigkeit, Köpfe und Schultern in rauchende, angebrannte Decken gehüllt. Die Flammen verfolgten sie mit solcher Schnelligkeit, dass das brennende Gras ihnen die Schnürbänder versengte und die Gamaschen ihnen von den Füssen fielen.

      Als das Regiment ankam, hörte es von jedermann in Fort Crockett, wie famos sich Ranson betragen hatte.

      „Ich versichere Sie,“ sagte Frau Bolland zum Oberst, „wäre der junge Ranson nicht gewesen, so hätten wir in unseren Betten verbrennen müssen. Aber er war sehr unverschämt. Er betrachtete die ganze Affäre als ein Feuerwerk. Es war für ihn das einzige Vergnügen in Fort Crockett seit seiner Ankunft, das ihm wirklich Freude machte.“

      Trotzdem