Richard Harding Davis

Der rote Reiter


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      Ranson stand ebenfalls auf und holte seinen Sombrero. Mit dem Verschwinden von Miss Cahill hatte sich auch sein Interesse an dem Mut des Roten Reiters verflüchtigt.

      Crosby wandte sich an den eintretenden Forthändler. „Cahill, Sie wissen doch Bescheid,“ sagte er. „Wir sprachen von dem Mann, der der Rote Reiter genannt wird. Dem Strassenräuber mit dem roten Taschentuch. Ranson behauptet, der Mann habe keinen Mut. Das ist doch nicht richtig, nicht wahr?“

      „Ich sagte nur, es erfordere keinen Mut, eine Postkutsche anzuhalten und zu berauben,“ erklärte Ranson. „Es gehört auch wirklich kein Mut dazu!“

      Der Forthändler blieb einen Augenblick stehen und rieb sich nachdenklich die Hände. Für ihn war Reden etwas sehr Ungewöhnliches und Schwieriges. Aber nach einer Weile meinte er:

      „Oh, er läuft ein gewisses Risiko.“

      „Natürlich tut er das,“ rief Crosby. „Er läuft das Risiko, von den Passagieren erschossen zu werden; er läuft das Risiko, dass ein Aufgebot von Verfolgern ihn erwischt und hängt. Das hat dieser Mann neunmal in 24 Monaten riskiert, und es ist ihm jedesmal geglückt. Und ich behaupte, dass dazu Mut gehört!“

      „Huh!“ begann Ranson, „für fünfzig Dollars — —“

      Er hielt inne und wartete, bis Cahill hinausgegangen war. Als die Büffelfelle wieder niedergefallen waren und des Forthändlers Sporen über den festgestampften Lehmboden des Nebenraumes hinklirrten, richtete sich Ranson straff auf und sagte in scharfem, geschäftsmässigem Ton:

      „Für fünfzig Dollars beraube ich die Postkutsche heute nacht — ich selbst!“

      Frühere Erfahrungen mit Ransons tollen Launen, ein sonderbarer, unfugverkündender Ausdruck, der in seine Augen kam, und ein gewisses Vibrieren in seiner Stimme veranlasste die beiden Leutnants, gleichzeitig aufzuspringen.

      „Ranson!“ schrien sie.

      Ranson lachte spöttisch. „Oh, ich langweile mich zu Tode,“ rief er. „Was wollen Sie wetten, dass ich es tue?“

      Auch er war aufgestanden und lief, ohne eine Antwort abzuwarten, zum Laden hinaus. Bei der offenen Türe stand sein Pferd. Er beugte sich nieder und begann, an den Riemen der Steigbügel zu zerren. Die beiden Offiziere, Angst in den Augen, liefen ihm nach. Laut zu sprechen, wagten sie nicht, war doch Cahill nur zwanzig Schritte entfernt, aber durch Winke und Zeichen baten sie ihn, zurückzukommen. Ranson kam auch sofort, mit vor Aufregung gerötetem Gesicht, lächelnd, in jeder Hand einen lederüberzogenen Armee-Steigbügel haltend.

      „Die dürften sie natürlich nicht sehen!“ sagte er.

      Er warf die Steigbügel hinter eine Reihe von Fässern.

      „Ich werde in den Steigbügelriemen reiten!“ sagte er.

      Er sprach noch immer in dem gleichen, halblauten aber scharfen Ton.

      Crosby fasste ihn brutal am Arm. „Nein, Sie tun’s nicht!“ zischte er. „Kommen Sie her, Ranson! Hören Sie zu: Machen Sie um Himmels willen keine Eselei! Man wird auf Sie schiessen, Sie werden getötet werden — —“

      „Und vor ein Kriegsgericht gestellt,“ keuchte Curtis.

      „Sie werden den Rest Ihres Lebens als Gefangener in der Festung Leavenworth zubringen!“

      Ranson schüttelte Crosbys Hand von sich ab und rannte hinter den Ladentisch. Von einem der unteren Regale riss er ein rotes Bandannataschentuch. Von einem andern nahm er hastig einen Poncho, den ärmellosen Gummimantel des Westens, schlüpfte hinein und knöpfte ihn bis an den Hals zu. Dann schnitt er mit der grossen Schere, die auf dem Ladentisch lag, zwei Löcher in das rote Taschentuch und befestigte es am Rande seines Sombreros. Wie ein Vorhang fiel es über sein Gesicht. Seine Gestalt verdeckte der Poncho von den Knien bis zum Hals. Sichtbar waren nur seine Augen, lachende Augen, die durch die Löcher in der roten Maske funkelten.

      „Hier ist der Rote Reiter!“ flüsterte er mit tiefer, verstellter Stimme. „Hände in die Höhe!“

      Dann nahm er das rote Taschentuch wieder ab und warf den Poncho über seinen Arm.

      „Sehen Sie diese grosse Schere?“ flüsterte er: „Damit werde ich die Postkutsche anhalten. Kein Mensch feuert auf einen Strassenräuber. Sie schreien gleich: Schiesst nicht, Herr Reiter; wir zahlen schon. Na, und ich werde sie mit dieser Schere zahlen machen!“

      Crosby fasste Curtis am Arm, nervös lachend.

      „Kommen Sie mit zu den Ställen! Schnell!“ rief er. „Wir jagen mit zwanzig Reitern hinter ihm her, ehe er eine halbe Meile weit gekommen ist.“ Er wandte sich mit triumphierendem Kichern an Ranson:

      „Sie werden nicht aus unserm Regiment hinausgejagt werden, solange ich es verhindern kann,“ rief er.

      Da lachte Ranson auf, kurz, hässlich, so wie ein junger Hund über seinem Knochen knurrt.

      „Wenn Sie es versuchen, mir zu folgen, Leutnant Crosby, oder mich in irgend einer Weise zu hindern,“ sagte er, „so erschiesse ich Sie. Sie und Ihre Reiter!“

      „Mit der Schere?“ höhnte Crosby.

      „Nein, mit dem Revolver in meiner Tasche. Hören Sie mir zu. Für eine mit Frauen gefüllte Postkutsche, die ein siebzigjähriger, alter Mann fährt, gebrauche ich diesen Revolver nicht, aber — und das ist mein Ernst — Sie haben sich vor meiner Waffe zu hüten, wenn Sie es versuchen, mich zurückzuhalten. Ich will und werde beweisen, dass jedermann die Passagiere einer Postkutsche bluffen kann — mit einer harmlosen Schere und einer roten Maske als Extradekoration. Und ich erschiesse den Mann, der mir dabei in den Weg kommt.“

      Ranson sprang zu seinem Pferd und setzte seinen Fuss in die Schleife des baumelnden Steigbügelriemens ... Steinchen zerstoben unter Huftritten, polternde Hufschläge erschallten, entfernten sich schnell wie der Wind, und Ross und Reiter waren nur noch ein grauer Fleck im Mondlicht.

      Die beiden Leutnants standen unentschlossen da. Crosby fluchte leise aber herzhaft. Curtis lehnte an der Türe und sah in die Nacht hinaus.

      „Wird er es tun?“ fragte er.

      „Natürlich tut er’s!“

      Curtis kam ins Zimmer zurück und liess sich in einen Stuhl fallen.

      „Und was — was müssen wir tun?“ fragte er.

      Der Andere gab lange Zeit keine Antwort. Mit zusammengezogenen Brauen ging er auf und ab, auf den Boden starrend. Mit einemmal stiess er einen leisen Ruf des Erschreckens aus, schritt auf den Fussspitzen zur Türe des Nebenraumes und zog den Vorhang zurück. Cahill stand am anderen Ende des Nebenraumes, in einem Winkel, und schaufelte Zucker aus einem Fass.

      Crosby atmete auf und setzte sich an den Tisch.

      „Die Sache steht so,“ flüsterte er, während er sich eine Zigarette rollte. „Gelingt ihm die Geschichte, und er kommt heil zurück, dann — na, dann ist eben alles in schönster Ordnung. Wird er aber verwundet oder gar gefangen genommen, und alles kommt ’raus, dann ist’s eben unsere Aufgabe, zu beweisen, dass es nur ein übermütiger Streich von ihm war.“

      „Wäre es nicht unsere Pflicht, es sofort zu melden?“ fragte Curtis nervös.

      „Nein! Natürlich nicht! Will er absolut eine Dummheit machen, so geht das doch uns nichts an. Wenn er nicht erwischt wird, so haben wir nichts gehört und nichts gesehen. Wird er erwischt, so müssen wir zu ihm halten und bezeugen, dass er es einer Wette wegen tat. Sehr gut möglich übrigens, dass alles klappt. Mit der Postkutsche wird niemand erwartet als Miss Post und ihre Tante. Der Kutscher ist ein geriebener, alterfahrener Fuchs, der sich hüten wird, Widerstand zu leisten.“

      „Cowboys könnten aber dazu kommen!“

      „Das ist Ransons Sache. Der Rote Reiter läuft eben ein gewisses Risiko, wie Cahill sagt.“

      „Ich wünschte aber doch, wir könnten irgend etwas bei der Sache tun,“ protestierte Curtis