Mario Leis

Corpus Delicti von Juli Zeh: Reclam Lektüreschlüssel XL


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hat. Bei der ersten persönlichen Begegnung am gleichen Abend unter der Südbrücke findet Moritz ihre Leiche. Er ruft die Polizei, wird auf der Wache verhört und wieder nach Hause geschickt.

      Zwei Tage später kommt er wegen Mordverdachts in Isolationshaft, weil das Sperma im Opfer seine DNA aufweist. Nach den Vorgaben der METHODE wird er schnell zum Scheintod verurteilt. Im Besucherraum des Gefängnisses empfängt er seine Schwester, der er zum Abschied ein Produkt seiner Phantasie schenkt: die ideale Geliebte. Moritz erhält im Gegenzug von Mia eine Angelschnur, mit der er sich wenig später erhängt.

      Mia Holls Trauer

      Vor diesem Hintergrund trauert Mia mehrere Wochen in einem sogenannten Wächterhaus, in dem sie mit ihren drei Nachbarinnen Lizzie, Pollsche und Driss wohnt. Knapp einen Monat lang geht sie nicht vor die Tür, treibt keinen Sport und unterlässt ihre obligatorischen Meldepflichten. Damit begeht sie eine Straftat. Ihr Fall landet deshalb zunächst als Güteverhandlung vor einem Amtsgericht. Die Richterin Sophie verzichtet auf eine Verwarnung und lädt Mia stattdessen zum Klärungsgespräch ein. Auf dieses Gespräch bereitet der Journalist und überzeugte ›Methodist‹ Heinrich Kramer Mia in ihrer Wohnung vor. Sie kennt ihn aus den Medien und hält ihn für den »Mörder« (S. 30) ihres Bruders, weil er als überzeugter Anhänger der METHODE ein System unterstützt, das Moritz nicht nur zutiefst unglücklich machte, sondern auch dessen Verurteilung forderte.

      Mias Rückzug und Angriff

      Da Mia die Einladung zum Gespräch mit Sophie ignoriert, kommt es zur medizinischen ZwangsuntersuchungZwangsuntersuchung und einer erneuten Vorladung durch die Richterin. Sophie bietet Mia Hilfsmaßnahmen an, doch diese bittet bloß um Ruhe und Zeit, um sich selbst zu helfen. Da Mia auf Hilfe verzichtet, bekommt sie eine offizielle Verwarnung, die sie aber ignoriert. Stattdessen raucht sie eine Zigarette in ihrer Wohnung. Zwei Tage später wird deshalb ein Strafprozess gegen sie wegen »Missbrauch[s] toxischer Substanzen« (S. 67) eingeleitet. Als Mia den Nikotinkonsum mit ihrer Sehnsucht nach ihrem Bruder – »so hat Moritz gerochen« (S. 65) – begründet, setzt Sophie die Verhandlung aus und bestellt ihr den Pflichtverteidiger Rechtsanwalt Dr. RosentreterDr.Lutz Rosentreter. Außerdem bekommt sie eine Geldstrafe wegen der Meldepflichtvernachlässigung. Im Anschluss lernt Rosentreter seine neue Mandantin im Verhandlungssaal näher kennen und entwickelt mit ihr eine Prozessstrategie: Mia würde die Geldstrafe zahlen. Rosentreter stellt aber einen »Härtefallantrag«, der für Personen vorgesehen ist, die durch die »Implementierung der METHODE« geschädigt worden sind, etwa für »Opfer schwerer Justizirrtümer« (S. 103).

      Wenige Tage später wird der Prozess fortgesetzt. Sophie entspricht dem Antrag; doch statt die Geldstrafe zu erlassen, erhöht sie diese und verurteilt Mia zusätzlich – wegen des Rauchens – zu zwei Jahren auf Bewährung. Da Mia das System zunehmend infrage stellt, schaltet das Gericht den Methodenschutz, eine Art Geheimpolizei, zur Überwachung der Verurteilten ein.

      Mias Zweifel am SystemMia versteht die Welt nicht mehr. Sie ist enttäuscht und will aufgeben, aber Rosentreter kämpft – aus persönlichen Motiven – weiter: Er liebt eine Frau, obwohl ihr Immunsystem mit seinem nicht kompatibel ist – macht sich also auch strafbar. Mia ist aufgebracht und hat zunächst kein Verständnis für Rosentreter, weil er sie für seinen Liebeskummer instrumentalisiert, um eine Lücke im System der METHODE zu finden.

      Mit der Idee, den Fall neu aufzurollen, um Moritz’ Unschuld zu beweisen, überzeugt schließlich Rosentreter seine Mandantin, die Zusammenarbeit mit ihm fortzuführen. In den Moment der Versöhnung platzt Kramer herein, es kommt zu einem Wortgefecht. Dieses gipfelt darin, dass Mia von der frühen Moritzʼ LeukämieerkrankungLeukämieerkrankung ihres Bruders erzählt. Davon wussten Kramer und Rosentreter bislang nichts; die beiden Kontrahenten gehen mit dieser entscheidenden Information unterschiedlich um.

      Heinrich Kramer intrigiert, Mia rebelliert, Rosentreter recherchiert

      Kramer veröffentlicht Mitte Juli einen Artikel in der Methoden-Zeitung Der Gesunde Menschenverstand (S. 138–140), in dem er sich Mia gegenüber feindlich äußert. Dieser öffentliche Rufmord verschreckt ihre Nachbarinnen, die obendrein einen Drohbrief bekommen haben. Darin heißt es: »Demnach ist eine Bewohnerin Ihres Hauses nach Gesundheitsordnung vorbestraft. Wir weisen Sie darauf hin, dass dieser Umstand nächstes Jahr einer Wiederverleihung der Wächterhausplakette im Weg stehen könnte.« (S. 136)

      Die Frauen bangen um ihr Ansehen, und Pollsche fordert Mia deshalb auf auszuziehen: »Sie sollen verschwinden!« (S. 137) Diese zieht sich zunächst in ihre Wohnung zurück. Nach der Lektüre von Kramers Schmähschrift drängt die ideale Geliebte, die nur Mia wahrnehmen kann, ihren Schützling in dem Kapitel »Die Zaunreiterin« (S. 141–146) dazu, sich endlich für eine Seite zu entscheiden.

      In der »Kathedrale« (S. 60), Mias und Moritz’ Zufluchtsort in der Natur, raucht sie wenige Tage später eine verbotene Zigarette, als drei Methodenschützer die unfreiwillige Rebellin wegen Verdachts auf »Mia rebelliert: erste Festnahmemethodenfeindliche[ ] Umtriebe sowie der Führung einer methodenfeindlichen Vereinigung« (S. 151) festnehmen.

      Beim nächsten Gerichtstermin sieht sie Rosentreter wieder, der in der Zwischenzeit intensiv recherchiert hat. Nachdem das Gericht den Härtefallantrag erneut abgelehnt hat, beantragt der Verteidiger »die Einführung von verfahrensrelevantem Material aus der Sache Moritz Holl« (S. 161). Dem Antrag wird stattgegeben. Schließlich präsentiert der Anwalt einen zweiten mutmaßlichen Mörder Sibylle Meilers: Walter Hannemann, Moritz’ Knochenmarkspender; seit der Stammzellentransplantation trägt Moritz auch Walters DNA: Rosentreter sieht ihn ihm deshalb den »mutmaßliche[n] Mörder von Sibylle Meiler und de[n] Knochenmarkspender von Moritz Holl« (S. 167). Diese Enthüllung beweist nicht zwingend Moritz’ Moritzʼ UnschuldUnschuld, aber die Fehlbarkeit der METHODE, und schockiert alle Prozessbeteiligten.

      Mia wehrt sich

      Rosentreter bringt Mia nach dem Presserummel wieder nach Hause. Dort stößt er mit ihr auf seinen juristischen Triumph an. Sie möchte nicht feiern, er dagegen plant schon die weiteren Schritte: Er rät zu Rückzug und Ruhe – ausgerechnet dem Verhalten, das ihr zum Verhängnis wurde, weil sie auf diese Weise ja den Behörden aufgefallen war. Mia Mia kämpft gegen die METHODEwidersetzt sich der Empfehlung und ist jetzt kampfbereit: »›Ab heute‹, sagt Mia langsam, ›macht sein [Moritz’] Name jede Vernunft unmöglich. Ab heute tue ich alles aus Liebe und frei von Furcht.‹« (S. 174)

      Die ideale Geliebte bekommt Angst und droht, Mia zu verlassen, weil Mia Kramer eingeladen hat. Mias anfängliche Antipathie gegenüber Kramer hat sich in scheinbare Sympathie gewandelt. Statt sich aber weiter von ihm verhören zu lassen, nutzt sie ihn bewusst als ihr Sprachrohr: Sie diktiert ihm ein Mias PamphletPamphlet, das im Kapitel »Wie die Frage lautet« (S. 186 f.) abgedruckt ist. Schließlich veröffentlicht Kramer ihren Text. Jeder Satz beginnt mit dieser Formulierung: »Ich entziehe«.

      Das zeigt der idealen Geliebten, dass Mia ihre Meinung über die METHODE im Sinne Moritz’ geändert hat; die imaginäre Begleiterin verschwindet wie angekündigt: »Und trotzdem fällt es mir schwer, dich zu verlassen.« (S. 190) Wenig später nehmen drei Methodenschützer Mia gewaltsam in ihrer Wohnung fest (S. 192).

      Rosentreter trifft Mia im GefängnisMia im Besucherraum des Gefängnisses, wo sie wegen »Suizidgefahr« (S. 195) einsitzt. Er hat bereits eine Klage beim höchsten Methodengericht eingereicht und erzählt ihr, wie Öffentlichkeit und Presse auf ihre Proklamation reagiert haben: Viele Demonstranten fordern Mias Freilassung; Zeitungen verbreiten diese Neuigkeit weiter. Kramer präsentiert eine Gegendarstellung im Fernsehen. Kurz darauf besucht er Mia in ihrer Zelle. Sie ignoriert Rosentreters Rat und redet mit Kramer. Der Journalist verdreht Mias Aussagen und will sie zwingen, ein Geständnis zu unterschreiben: »Wie Sie wissen, hat die METHODE in letzter Zeit schlechte Erfahrungen mit fehlenden Geständnissen gemacht.« Mia weist Kramer zurecht: »So nicht, Kramer! Ich mache noch immer die Regeln!« (S. 208)

      Richter Hutschneider muss nach Sophies Ausscheiden wegen Befangenheit Mias Fall übernehmen. Er führt ihr im Besucherraum als Kronzeugen den Fernsehmoderator Würmer vor, der angeblich Mias