Inger Gammelgaard Madsen

Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11


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im Stillen, ob er allmählich ein schlechtes Gedächtnis bekam.

      Natürlich war es Kim gewesen, der versuchen wollte, den Besitzer des Ruderbootes ausfindig zu machen.

      „Das ist mir leider noch nicht gelungen. Es ist ein altes Glasfaserboot ohne besondere Kennzeichen, darüber hinaus etwas rostig am Vordersteven, wahrscheinlich von einer rostigen Kette. Ich habe eine Suchmeldung auf unserer Homepage und bei Twitter und Facebook eingestellt, aber wir sollten uns nicht allzu große Hoffnungen machen. Die meisten wissen wohl aus der Presse, dass darin eine Leiche gefunden wurde, und dann hat man ja nichts davon, sich als Besitzer auszuweisen.“

      „Aber die Ruder waren doch ziemlich neu“, meinte Liam.

      Kim nickte und schaute auf den Bildschirm seines Tablets, das er immer dabeihatte.

      „Ja, das sind neue Holzruder der Marke Lahna; man sieht das rote Logo auf dem Ruderblatt. Die Marke hat dieses Jahr 50-jähriges Jubiläum und exportiert in 20 Länder, das sagt ja auch was darüber aus, wie viele verkauft worden sein können. Sie vertreiben auch im Internet, was das Ganze noch unüberschaubarer macht. Die finnische Firma Lahnakoski produziert sie, aber …“ Kim nahm den Blick vom Bildschirm und sah Roland durch die runde Harry-Potter-Brille an. „Ich habe den Norsminde Ruderklub kontaktiert und es war ein bisschen überraschend.“

      „Das sind ja wohl nicht gerade die Art Boote, die sie in einem Ruderklub benutzen“, schätzte Liam mit einem schiefen Grinsen.

      „Nein, aber vielleicht kennen sie es trotzdem, oder?“

      „Was war überraschend?“, unterbrach Roland.

      „Der Vorsitzende des Ruderklubs war wegen eines Todesfalls in der Familie nicht anzutreffen. Wie sich herausstellte, ist es Iris’ Bruder, Jakob Bøgh Lykkegaard.“

      „Hat niemand mit ihm gesprochen?!“ rief Isabella.

      „Doch, wir waren zu Hause bei seinen Eltern, als wir sie darüber informiert haben, dass Iris gefunden wurde“, sagte Roland.

      Er sah wieder die Gesichter der Eltern vor sich, als er ihnen die furchtbare Mitteilung überbracht hatte. Ganz offensichtlich hatte es sie nicht überrascht, dass ihre Tochter tot war, aber der kleine, schwache Funken Hoffnung war mit einmal gelöscht und durch eine Ohnmacht ersetzt worden, die so deutlich durchschien, dass es ihn tief in der Brust schmerzte.

      „Aber natürlich war das nicht der richtige Zeitpunkt um Fragen zu stellen, die sie als Verdächtige hätten dastehen lassen“, fuhr er fort und hob gleichzeitig die Hände, um die aufkommenden Proteste abzuwehren. „Ich weiß, dass sich der Täter oft in der näheren Familie findet, aber deswegen kann man trotzdem Rücksicht nehmen. Außerdem hat die Familie eine Menge durchgemacht, sowohl Verdächtigungen als auch Ermittlungen, als Iris verschwand, daher sollte man glauben, dass sie davon reingewaschen wurden. Emily und Bjarke, ihr redet morgen trotzdem noch mal mit ihnen. Denkt daran, sie zu fragen, ob Iris Unfälle gehabt hat, die die alten Knochenbrüche in ihrem Arm erklären können, auf die Natalie aufmerksam gemacht hat. Ich werde mich wohl um den Sohn und die Klassenkameraden inklusive ihrer Freundin Mira kümmern. Du kommst mit, Isabella.“

      Er sah sie an und sie nickte, ohne seinen Blick zu erwidern. Sie hatte offenbar angefangen, alles in einen Kalender in ihr Handy einzugeben, und ihre Augen waren die ganze Zeit darauf geheftet.

      „Es ist noch eine Suche nach dem Taxifahrer rausgegangen, den müssen wir finden, und Niels und Hafid, kümmert ihr euch um die restlichen Schüler der Askholt? Denkt dran, sie auch nach Martha Bæk zu fragen.“

      „Gibt es was Neues aus dem NKZ wegen der Schuhabdrücke im Schnee?“, fragte Emily.

      „Leider hat das nichts gebracht. Das Schneetreiben hat die Spuren zerstört, wie wir befürchtet haben.“

      Roland leerte seine Kaffeetasse und sah Liam und Kim an, die nebeneinandersaßen.

      „Ihr beide macht damit weiter, den Eigentümer des Ruderbootes zu finden. Das ist unsere dichteste Verbindung zum Täter, da es in seinem Besitz gewesen sein muss. Geht jetzt nach Hause und ruht euch aus, dann machen wir morgen früh frisch weiter.“

      Roland setzte sich und sah seinen Mitarbeitern nach, die im Nebenbüro zusammenpackten, und einer nach dem anderen zur Tür hinaus verschwanden. Er hatte noch Papierkram zu erledigen, bevor er in der Halle Marianna treffen sollte, mit der er jeden Mittwochabend Tennis spielte.

      Kapitel 10

      Der Aufzug hielt mit einem Ruck bei Annes Wohnung im Dachgeschoss in der Nordborggade.

      Sie stand neben ihrer Tür und kramte nach den Schlüsseln, als sie ein Krachen aus Sabinas Wohnung nebenan hörte. Anne schaute auf ihre Uhr. Sie dachte, ihre Stiefschwester hinge wie immer mit Freunden aus der Journalistenhochschule ab.

      Sie und Sabina hatten sich am Tag zuvor gestritten. Das war keine Seltenheit, aber dieses Mal war es ernster gewesen. Sabina war von dem Sachbearbeiter ihres Vaters kontaktiert worden. Torsten war auf Bewährung entlassen und wollte sich mit seiner Tochter treffen. Anne weigerte sich, ihren Stiefvater wieder in ihr Leben zu lassen und hatte Sabina verboten, ihm ihre Adresse zu geben. Es war zu einem heftigen Streit gekommen und schließlich hatte Anne wutentbrannt ihre Wohnung verlassen. Sie hatten noch nicht wieder miteinander gesprochen.

      Eigentlich hatte sie ihren Zorn bereut, der wohl eher wilde Panik und Frust darüber war, dass Sabina sich mit dem Mann treffen wollte, der ihrer beider Kindheit zerstört hatte. Aber natürlich wollte sie das, Torsten war ja ihr Vater. Vielleicht hatte er sich durch die Zeit im Gefängnis verändert, wie Sabina sagte, aber Anne bezweifelte es, und wenn er es hätte, dann wohl nicht zum Besseren. Hoffentlich war er nicht schuld an dem Krach, den sie gehört hatte. Vielleicht hatte Sabinas schwarze Perserkatze mit den hässlichen gelben Augen etwas umgeworfen.

      Sie ging rüber und klopfte.

      „Wer ist da?“, rief Sabina hinter der geschlossenen Tür.

      „Deine Schwester!“, antwortete sie. Das machte Sabina umgänglicher. Sie wollte sie nicht Stiefschwester nennen, sie seien mehr als das, sagte sie. Und Anne musste der Tatsache ins Auge sehen, dass sie mittlerweile eine ganze Menge zusammen durchgestanden hatten, was sie enger miteinander verbunden hatte als Anne eigentlich lieb war. Sie waren normalerweise in ihrem Hass auf Torsten vereint, der glücklicherweise lange in einem Gefängnis auf Seeland wegen Mordes hinter Gittern gesessen hatte. Da hätte Anne ihre Verbindung gerne gekappt, aber nun war die Stiefschwester in ihre Fußstapfen getreten, nach Aarhus gezogen, um Journalismus zu studieren, und obendrein ihre Nachbarin geworden. Torsten war zu dieser Zeit in das etwas sicherere Gefängnis in Enner Mark in Horsens verlegt worden, hatte Anne von ihrer Mutter erfahren. Vor einiger Zeit war er auf Bewährung entlassen worden und wieder nach Nørrebro gezogen - schön und gut, solange er sie bloß nicht kontaktierte. Und warum hatte er denn plötzlich Lust, seine Tochter zu sehen? Anne traute ihm jetzt genauso wenig wie damals, als sie als 14-jährige von zu Hause abgehauen war, um seinen Übergriffen zu entgehen. Sie war geflohen und hatte Sabina in seiner Obhut zurückgelassen. Das Schuldgefühl nagte an ihr. Welchen Dingen war das kleine Mädchen ausgesetzt gewesen?

      Anne hörte, dass Sabina die Türkette aufhakte. Die hatte sie nach dem Erlebnis letzten Sommer anbringen lassen. Als ob die helfen könnte, wenn Terroristen reinwollten. Nicht mal Torsten konnte sie raushalten. Sie hatte selbst eine an ihrer Tür gehabt, als er damals vor vielen Jahren in ihre alte Wohnung eingebrochen war und sie überfallen hatte.

      „Ann“, rief Sabina und öffnete die Tür mit einem überraschten Lächeln, das besonders breit wirkte hinter den schwarz geschminkten Lippen, die zum Augen-Make-up und den kurzen, zerzausten Haaren passten. Anne hatte geglaubt, dass sie den Goth-Look aufgeben würde, wenn sie in die Journalistenhochschule kam, aber für ihre Stiefschwester war das wohl ein Lebensstil, den sie offenbar nicht loslassen wollte. Sie hatte einen Golfschläger in der Hand.

      „Störe ich?“

      „Aber nein. Natürlich nicht, Ann.“

      Auch mit diesem Ann musste Anne sich abfinden, obwohl sie klargemacht