entschuldigte sich verdattert und machte die Tür ganz auf.
„Was habe ich da für einen Krach gehört? War das die Katze? Wo ist sie?“ Anne sah sich nervös um. Normalerweise hatte sie keine Angst vor Katzen, vor dieser aber schon. Sie hatte sie angefaucht, als sie sie das erste Mal anfassen wollte, und Sabina war faktisch die Einzige, die sich ihr nähern durfte. Sie hatte es bei den Vorbesitzern nicht gut gehabt, hatte Sabina erklärt.
„Satan schläft auf dem Bett“, antwortete Sabina.
Anne lächelte. Das war doch ein perfekter Name für diese Tier. Sie stellte ihren Rucksack an die Wand und zog Mantel und Schal aus, während sie über Sabinas Schulter guckte um zu sehen, ob noch jemand bei ihr war. Aber da war keiner.
„Was ist passiert?“, fragte Anne wieder.
„Nichts, ich hab bloß den Tisch umgeworfen, als ich mit dem Schreibtischstuhl zurückgerollt bin. Darauf stand leider eine Vase mit Blumen.“
„Blumen? Blumen zu haben sieht dir ja gar nicht ähnlich!“
„Ich habe sie bekommen.“
„Hast du einen Verehrer?“, neckte Anne und beschloss die Streitigkeiten zu vergessen. Sabina war sicher zur Vernunft gekommen und hatte eingesehen, dass es eine dumme Idee wäre, sich mit ihrem Vater zu treffen. Aber dann bemerkte sie den Strauß weißer Lilien, die auf dem Boden inmitten von Wasser und Glasscherben von der zerbrochenen Vase lagen. Ihr süßer Gestank füllte die ganze Wohnung. Eine kalte Hand umklammerte ihre Kehle. Der Geruch beschwor Erinnerungen herauf. Sie hatte weiße Lilien seitdem gehasst. Torsten hatte ihrer Mutter immer so einen Strauß mitgebracht, wenn er nüchtern wurde und seine gewalttätigen Übergriffe bereute.
„Ich helfe dir“, sagte sie, sammelte schnell den Strauß vom Boden auf, warf ihn in den Mülleimer in Sabinas Küche und knallte den Deckel zu.
„Nein, Ann! Die konnte man doch leicht noch retten“, rief Sabina und riss den Deckel wieder auf, aber Anne hatte die Lilien so gründlich in den Eimer gedrückt, dass es nicht mehr möglich war.
„Die waren von ihm, stimmt’s?“, fragte sie und fing an, die Glasscherben vom Boden aufzusammeln.
„Ich weiß, dass du ihn nicht sehen willst, Ann. Ich müsste auch … aber er ist mein Vater, und …“
„Und warum zum Teufel schickt er dir Blumen? Du erinnerst dich doch sicher, was er dir – uns – angetan hat, oder?“
„Natürlich, aber das ist viele Jahre her. Vielleicht muss ich ihm wieder persönlich gegenüberstehen. Ihm in die Augen sehen. Er kann mir jetzt nichts mehr tun.“
Sabina holte einen Besen und fegte die Glasscherben zusammen. Anne nahm den Lappen und wischte das Wasser auf. Sie dachte, dass die umgefallene Vase und die geknickten Lilien ein Zeichen, eine Warnung vor Zerstörung waren. Sie stand auf und wrang den Lappen aus. Ein kleiner Glassplitter brachte den Daumen zum Bluten. Eine weitere Warnung. Sie warf den Lappen in den Eimer und holte ein Stück Küchenrolle.
„Hast du dich geschnitten?“, fragte Sabina besorgt.
„Nein, nichts passiert.“
„Naja, wenigstens kommt es nicht aus der Nase“, sagte Sabina und bezog sich auf Annes häufige Anfälle von Nasenbluten.
Sie ignorierte den Kommentar.
„Warum sollte er dir jetzt nichts mehr tun können?“
„Ich bin erwachsen, Ann. Was sollte er tun können?“
„Meine Mutter war erwachsen, das hat ihn nicht gehindert.“
„Ich weiß.“ Sabina setzte sich traurig auf den Schreibtischstuhl vor ihren Computer. „Ich wollte nur einfach hoffen, dass alles wieder gut werden könnte. Der Hass macht uns kaputt, das weißt du?“
Anne setzte sich auf die Schreibtischkante. „Klar weiß ich das, aber …“ Sie schaute auf ihren Finger.
„Brauchst du ein Pflaster?“, fragte Sabina.
„Nein danke, es blutet nicht mehr.“
„Magst du dann was anderes haben? Irgendwas Warmes vielleicht? Mokka?“ Sabina rieb ihre nackten weißen Arme, als fröre sie plötzlich.
Anne schüttelte den Kopf. Sie hatte heute in der Redaktion genug Kaffee getrunken. Dann sah sie das Dosenbier auf Sabinas Schreibtisch neben ihrem Computer.
„Hast du noch mehr davon?“
Sabina nickte und holte noch ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank. Sie reichte es Anne.
„Woran arbeitest du?“ Anne schaute neugierig auf Sabinas Computerbildschirm. Sie hatte auch keine Lust mehr, über Torsten zu reden.
„Das ist eine Aufgabe, die wir in der Schule bekommen haben. Wir sollen lernen, wie man einen Webblog macht.“
Sabina drehte eifrig den Schreibtischstuhl zu ihrem Computer. Sie nahm die Logitech-Maus, die genauso schwarz war wie ihr Nagellack. Anne konnte nicht umhin zu lächeln. Es verblüffte sie zu sehen, wie sehr ihre Stiefschwester in den Aufgaben aufging, die sie in der Journalistenhochschule bekam.
„Ich habe einen Krimiblog gemacht.“
„Einen Krimiblog? Wovon handelt der?“
„Ich schreibe über Mordfälle, sodass die Leute es mitverfolgen und Tipps abgeben können, was passiert ist. Es ist ein bisschen abgefahren, es sind schon über 1000 Follower.“
„Krass!“, meinte Anne und nahm einen Schluck von dem kalten Bier.
„Ich schreibe über dieses Mädchen, das sie unter dem Eis in einem Ruderboot im Norsminde Fjord gefunden haben, aber ich weiß nicht besonders viel, weil so wenig rausgekommen ist. Kannst du mir helfen?“
„Ich weiß auch nichts, Sabina. Nicht mehr als das, was in den Nachrichten erwähnt wird. Aber woher weißt du das alles? Und woher hast du die Fotos?“
Der Blog, den Sabina gemacht hatte, ähnelte der Pinnwand einer Mordkommission. Es gab Fotos von Iris Bøgh Lykkegaard, natürlich nicht aus der Rechtsmedizin, aber einige davon sahen privat aus. Es gab auch Bilder von der Polizei, die hinter den Absperrbändern beim Norsminde Fjord arbeitete. Anne erkannte Roland Benito; auf einem der Fotos unterhielt er sich mit einigen Beamten. Es gab Bilder von der Gedenkfeier in der Kirche vom gestrigen Abend. Sabina war nicht da gewesen, also wer hatte sie gemacht?
„Erik hilft mir. Sein Bruder arbeitet bei der Polizei.“
„Das ist sicher nicht ganz legal. Wer ist dieser Bruder?“ Sabina zuckte gleichgütig die Schultern.
„Das könnte eine win-winSituation geben, falls ich etwas auf diesem Blog erfahre, was auch der Polizei helfen kann.“
Anne verschränkte die Arme und sah auf ihre Stiefschwester herab.
„Und was sollte das sein?“
„Du kannst dir einfach mal ein paar von den Kommentaren ansehen, die die Leute schreiben. Hier meint einer, dass die Frau, die auf dem Feld zusammen mit ihrem Hund getötet wurde, Iris ermordet hat. Sie war offenbar Lehrerin an der Askholt Privatschule, auf die Iris ging.“
„Pensionierte Lehrerin. Sie war da nur als Freiwillige“, stellte Anne richtig. „Aber das weiß die Polizei natürlich schon, Sabina.“
„Ja, aber guck dir mal diesen Kommentar von heute Morgen an.“
Sabina deutete darauf und sie stießen beinahe mit den Köpfen zusammen, um am Bildschirm zu lesen.
Der Kommentar stammte von jemandem, der sich Der Poet nannte. Anne schauderte, ohne so richtig zu wissen, warum. Es war fast ein Gedicht:
Iris verwelkt im Tod.
Blaue Iris lebt auf des Grabes Eis im Morgenrot.
Iris ist hübsch und kalt und tot.
In ihrem Schoß