Will Berthold

Die Frauen nannten ihn Charly


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eine schmucklose Holzbaracke, aber innen hatte sie Stil und Atmosphäre. Sie lag im Norden der Stadt, im Herzen des wieder erstehenden Schwabing, ziemlich genau in der Mitte der großen Durststrecke zwischen dem Siegestor und der Münchener Freiheit. Schwabylon war ein Programm, ein Zustand, mit großem Rummel und bescheidenen Preisen, ein permanentes Rendezvous von Tagedieben und Nachtschwärmern, von Schlaumeiern und Schlawinern, von Prominenten und Provinzlern, von Künstlern und Lebenskünstlern, die die Leinwand vorwiegend horizontal zu spannen pflegten.

      Vis-à-vis, im Jazzkeller des »Studio 15«, war der Eintritt frei. In den Schwabinger Beizen, die so dicht beieinander lagen wie die Sommersprossen im Gesicht einer Rothaarigen, kostete einheitlich das Bier eine halbe, ein Schnaps eine ganze Mark, wobei er meistens den Nachnamen »Verschnitt« führte. Bei »Mutti Bräu« gab es für zwei Mark fünfzig zwei Schnitzel und im »Siegesgarten« zum gleichen Preis eine üppige Portion Langustensalat. Zigaretten wurden noch stückweise verkauft, und die Mädchen erhielt man, wenn man als Bewerber gefiel, gratis; andernfalls blieben sie unerreichbar. Sie waren – von Ausnahmen abgesehen – durchaus unkäuflich, sehr lustig, geschickt und mit wenig Aufwand hübsch zurechtgemacht, sie hatten noch keinen Pillenfrust im Gesicht, und sie trugen auch noch keine Strumpfhosen.

      Die geschlossene Gesellschaft war jetzt fast vollzählig. Charlys Bevollmächtigter sah auf die Uhr. Sicherheitshalber wollte er doch noch Nachzügler abwarten.

      Julia, das Filmsternchen, das dabei war, eine ernsthafte Schauspielerin zu werden, erblickte Petra, kam auf sie zu und umarmte sie. »Setz dich doch zu uns«, sagte sie. »Ich hab’ zwei Begleiter zu viel.«

      »Zwei oder drei?« fragte Petra.

      Sie lachten beide, sie verstanden sich immer; die rotblonde Attraktion folgte der Einladung. Es gab keine reservierten Tische mehr; Charlys Schönheitsgalerie mußte enger zusammenrükken. Es schien, als sollte an diesem Abend seine lebende Biographie, ein Querschnitt seiner wilden Jahre dargestellt werden.

      Der Champagner erfüllte seine Pflicht, die Stimmung wuchs, wurde ausgelassen und versöhnlich. Die Rivalitäten versanken in perlenden Gläsern, ihr Inhalt wirkte wie Balsam auf offene Wunden, und die Witwe Cliquot machte Konkurrentinnen zu späten Schwestern, die einander verziehen und sich um die Wette erinnerten.

      Fiorella, die rassige Italienerin, nannte den Abwesenden abwechselnd »Charly Pronto« oder »Charly Niente«, Suzanne, die Pariserin, »Charly oh là là«, die etwas plumpe Monika »Charly bum-bum«. Petra lobte ihn als »Schlawiner mit Herz«. Für Cynthia Macomber war er »Everybody’s Charly«. Die kühl-blonde Baronin Annette von Güßregen, die kaum ein Wort zu viel sagte, ging aus sich heraus und nannte Charly einen »krummen Hund, doch auch tollen Freund«.

      »Sicher ist er ein schräger Vogel«, sagte die kesse Christa zu ihrem schmollenden Begleiter, »aber jedenfalls ein Filou mit Format.«

      »Format hat eine Zigarette«, erwiderte der Ungehaltene grimmig.

      Christa betrachtete ihn schweigend, verglich ihn wohl mit seinem Vorgänger; dabei schnitt der Amtierende offensichtlich schlecht ab.

      Selbst ein abwesender Charly provozierte noch Eifersucht. Die scharfzüngige Annegret ging beim Anblick der vielen, die sie gekränkt hatten, beleidigt auf Dr. Kündig los. »Halten Sie diese Zusammenstellung für sehr geschmackvoll?« fuhr sie Charlys Stellvertreter an.

      »Der Wunsch meines Mandanten«, erwiderte der Elegant. »Nicht ich habe eingeladen, sondern er.«

      »Und die Wünsche Ihrer Mandanten erfüllen Sie, auch wenn sie undelikat und verletzend sind?« inszenierte Annegret den ersten Zwischenfall des Abends.

      »Wenn ich Sie davon nicht abbringen kann«, ließ sie der Rechtsanwalt ablaufen.

      »Sie alberner Winkeladvokat!« fuhr die Blondine den Erfolgsanwalt an und fummelte mit ihrer Handtasche vor seinem Gesicht herum, als wollte sie ihn damit schlagen. »Sie lächerlicher Paragraphenschuster! Ich – ich lasse mich nicht beleidigen, nicht von Ihnen und nicht von Ihrem Spießgesellen!«

      Annegret rauschte hinaus. Als einzige verließ das hochgewachsene Mannequin die Veranstaltung vor dem großen Knall; sie war nur gekommen, um Charly die Meinung zu sagen.

      »Gehört diese Dame auch zu den Blumen, die Charly gepflückt hat?« fragte Cynthia; sie hatte ein niedliches Deutsch erlernt. »Sie kann doch nicht seinem Geschmack entsprechen.«

      »Er ist nun mal ein Vielfraß«, erwiderte Petra, »und ihr Blond ist so impertinent.«

      »Meinen Sie, daß er mit all diesen Damen etwas gehabt hat?«

      »Nicht mit allen«, sprang Julia ein, »aber mit den meisten.« Ihr Lächeln unterschlug nicht, daß sie nicht nur »Jedermanns« Buhlin gewesen war, sondern auch mit Charly liiert, soweit man es mit einem Mann wie ihm sein konnte. »Sind Sie denn so standhaft geblieben?« fragte die photogene Julia ein wenig spöttisch.

      »Ich bin ein Mädchen aus dem Mittelwesten«, erwiderte die mittelgroße Amerikanerin mit den Türkisaugen und der Himmelschmeckernase. »Bei uns geht man zuerst in die Kirche und dann ins Bett.«

      »Und wenn man weit vom Mittelwesten entfernt ist«, versetzte Petra, »und lange in Europa gelebt hat, kann man da nicht einmal die Reihenfolge durcheinanderbringen?«

      »No comment«, entgegnete der frühere Leutnant der US Army. Cynthia eroberte mit ihrem Lachen die Tischrunde.

      Der unsichtbare Gastgeber blieb der Hahn im Korb, selbst wenn er heute nicht krähte. Die Frauen nannten ihn Charly, und Julia hätte wetten können, daß die meisten nicht einmal seinen Nachnamen kannten, zumal er ihn ja auch – nicht ohne Grund – gelegentlich gewechselt hatte; doch nie seinen Vornamen. Vielleicht war der Frauenkenner auch ein Frauenopfer? Mochte er ein Herzensbrecher sein, so hatte er sich doch auch stets als ein herzensguter Herzensdieb erwiesen. Der Alkohol rückte seine guten Werke zunehmend ins Bild.

      Als letzter Gast tauchte jetzt Jimmy auf, der, wenn man davon absah, daß er ein Ganove war, als ehrliche Haut galt. Natürlich war er als bayerischer Sepp zur Welt gekommen und hatte seinen Vornamen nur amerikanisiert. Sepp konnte jeder heißen; Jimmy hielt er für noch ziemlich einmalig.

      Er hatte ein offenes Gesicht, glich einem Freistilringer, der gleich aus den Nähten platzen mußte. Bier wäre ihm lieber gewesen als Schampus, aber er wagte nicht, bei dem feinen Ober, der ihm das Glas in die Hand gedrückt hatte, den Wunsch nach Gerstensaft zu äußern; er hatte Charly in der Zelle kennengelernt.

      Jimmy bemerkte den Kriminalbeamten Gerber und wollte vor ihm in Deckung gehen. Auf der Flucht erkannte er die Gräfin Grieben, sie saß noch immer allein in ihrer Ecke. Er näherte sich ihr unschlüssig, schlich um sie herum wie ein schwanzwedelnder Hund um den heißen Freßnapf.

      Sie winkte Jimmy heran, forderte ihn mit einer Handbewegung auf, neben ihr Platz zu nehmen. »Sie müssen doch wissen, wo sich Charly zur Zeit aufhält?« fragte sie ihn.

      »Leider nicht, Frau Gräfin«, erwiderte er. »Ich habe ihn schon seit sieben Monaten nicht mehr gesehen.«

      »Warum das?«

      Er zögerte. »Ich war in St. Adelheim«, erklärte er dann, leicht verlegen.

      »Im Kurort – zur Erholung?« fragte sie belustigt.

      »Im Untersuchungsgefängnis Stadelheim«, erläuterte Jimmy kleinlaut. »Natürlich unschuldig«, setzte er rasch hinzu.

      »Wie damals, als Sie meinen Schmuck klauen wollten?« fragte die Dame mit der dreireihigen Perlenkette.

      »Seien Sie doch nicht so nachtragend«, entgegnete Jimmy ziemlich beunruhigt, sich nach Gerber, dem Kripobeamten, umsehend; er stellte erleichtert fest, daß der Bulle außer Hörweite war.

      Es war jetzt 21 Uhr 30, und noch immer beantwortete Rechtsanwalt Kündig Fragen nach Charlys Verbleib ausweichend und unverbindlich. Selbst die Arglosen nahmen jetzt an, daß der Veranstalter der Party etwas Besonderes im Schilde führte. Die Spannung wuchs; die Erwartung kletterte höher und höher, als wollte sie den in diesem Jahr von einem Düsenjet aufgestellten