Will Berthold

Sprung in die Hölle


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später löst sich die Spannung.

      »An die Maschinen!« kommt das Kommando.

      »Rot scheint die Sonne«, grölen die Soldaten in den grauenden Morgen. »Fertiggemacht!« Lautstark und überzeugt singen sie ihr Lied: »Wer weiß, ob sie morgen uns auch noch lacht…«

      Morgen ist heute. Heute hat schon begonnen. Mit Klimmzügen ziehen sich die Fallschirmjäger an den Griffen in die Ju. Schwerbepackt. Einer hinter dem anderen, passieren sie die Hühnerleiter des Schicksals. Der Professor fühlt das Gewicht des Fallschirmsacks schwer im Rücken. Gutmütig haut ihn Schmidtchen, der perfekte Soldat, mit der flachen Hand ins Kreuz: »Nu los, mach schon!« Und auch Mennler ist mit von der Kreta-Partie als Ersatz für einen der eingeteilten Springer, der über Nacht eine Blinddarmentzündung bekam.

      Über das Flugfeld braust ein einziger Dauerton. Maschine auf Maschine springt an, speit Kaskaden schwarzer Qualmwolken über das Feld. Zwischen den Flugzeugen jonglieren motorisierte Feldküchen. Es gibt Kaffee mit Schnaps. Verhältnis zwei zu eins. Die Jäger drängen sich in die offene Tür, halten die Kochgeschirre hinaus. Ihre ausgestreckten Arme sehen aus, als griffen sie ein letztes Mal nach einem sicheren Halt.

      »Glückliche Reise!« lallt Panetzky.

      Und dann kommt die erste Panne: Der Massenstart platzt. Die Luftwaffe machte ihre Rechnung ohne den Sand. Jede Maschine wirbelt eine Dreckwolke auf, die den Start der nächsten für Minuten unmöglich macht. Es herrscht die Finsternis eines Sandsturms. Auf den anderen Feldflughäfen rings um Athen dasselbe Bild: Überall Sand, Verspätung auf Verspätung.

      »Wie wenn eine Ziege auf ein Trommelfell scheißt«, flucht Oberleutnant Karsten.

      Brummend schwebt die Ju in die Luft. Gleißend und strahlend bricht die Sonne durch die ausgehängte Tür in den Rumpf der Dreimotorigen. Eng nebeneinander sitzen die Männer am Boden. Unter ihnen die Küste Griechenlands. Dann das goldübergossene Mittelmeer.

      Die anderen Maschinen kurven ein, sammeln in befohlenen Lufträumen, sammeln verspätet. Ganze Geschwader von Jus tauchen am Himmel auf, ziehen dahin wie ein Schwarm langsamer Störche.

      An den offenen Türen stehen die Männer der Todeskommandos, winken einander zu, schneiden Faxen, lachen wie die Kinder.

      Auf einmal neigt sich die Ju auf die Seite. Sie zieht eine große Schleife. »Was ist denn los?« brüllt der Oberleutnant in die Kanzel.

      »Wir müssen anders anfliegen«, schreit der Pilot zurück. »Zuviel Feuerzauber. Die Tommies haben an der Nordküste ihre ganze Marine zusammengezogen.«

      »Das fängt schon hübsch beschissen an.« Der Kompaniechef grinst. »Wie fühlt ihr euch?«

      »Prima«, überschreien die Männer den Motorenlärm.

      Der Zeitplan gerät durcheinander. Der deutsche Angriff aus der Luft soll in zwei Wellen rollen, weil nicht genügend Transportmaschinen vorhanden sind. Die Formation verliert rasch an Höhe.

      Die Fallschirmjäger langen mechanisch nach den Haltegriffen. Das Meer unter ihnen trägt Schaumkronen. Kreta in Sicht. Gelb und verbrannt, sandig und verdorrt. Die Grünen Teufel rappeln sich hoch, starren auf das Land, das sich in wenigen Sekunden in ein Schlachtfeld verwandeln wird. Sand, nichts wie Sand, Steine und wieder Steine. Hügelwellen rauf, Hügelwellen runter.

      Plötzlich knallt es an allen Ecken und Enden. Die Männer werfen sich auf den Boden. Es klatscht kurz und trocken. Glas klirrt. Die Ju neigt sich über die Tragfläche. Leuchtspurmunition. Es knattert blödsinnig. Es hört sich an, als ob dumme Jungen Kieselsteine gegen die Metallwand werfen würden.

      »Das hält unser Schlitten aus bis ans Ende der Welt«, brüllt der Gefreite Mennler.

      »Die da unten brauchen wir nicht mehr aufzuwecken«, stellt der Kompaniechef trocken fest.

      Die Ju am linken Flügel trudelt mit brennenden Motoren in die Tiefe. Nur einer kommt heraus, löst sich wie ein dunkler Punkt. Aber der Schirm öffnet sich nicht. Der dunkle Punkt klatscht in den gelben Sand, bleibt breit und schwarz liegen, wie festgedrückt vom Daumen des Schicksals.

      Der Kompaniechef steht an der Tür. Neben ihm Paschen, der Absetzer. Das Boschhorn tutet. Der Oberleutnant springt als erster, dann Schmidtchen, dann Panetzky, dann die anderen. Stahl, der Professor, greift zweimal daneben, als er den Schnapphaken festmachen will. Paschen hilft ihm, gibt ihm einen Schwung. Stahl greift ins Leere. Er hört noch, wie ihm Paschen etwas nachschreit. Die Stimme dröhnt ihm noch in den Ohren. Er gleitet nach unten aus 100 Meter Höhe; Mennler folgt ihm.

      20 bis 30 Sekunden zwischen Himmel und Hölle. Der Kompaniechef ist der Erde am nächsten. Am dichtesten am Feind. Er starrt nach oben. Großartige Burschen: Die weißen Tupfen der Fallschirme blühen nebeneinander auf wie die Blumen eines enggebundenen Margeritenstraußes. Unten: die Zelte.

      Soldaten rennen durcheinander. Gestalten in Khakihemden. Noch 60 Meter bis zur Erde. Von der Erde knallt es dünn und meckernd herauf. In der Zeit zwischen Absprung und Aufkommen ist ein Fallschirmjäger hilflos. So lange hängt er wie tot – und mancher wirklich tot – am Schirm.

      Der Oberleutnant bringt die Maschinenpistole in Anschlag. Noch in der Luft fetzt er den ersten Feuerstoß in die Tiefe. Das macht ihm keiner nach. Er pfeift auf die Landung und platzt mitten in die olivgrüne Landschaft, um die khakifarbene Gestalten tanzen. Er landet auf den Beinen, kommt blendend auf. Abrollen, aufstehen. Die Gurte vom Schirm reißen. Eine einzige Bewegung. Schwein gehabt.

      Drei, vier, fünf Gestalten hasten auf ihn zu. Der Offizier steht breitbeinig da, die Maschinenpistole in der Hüfte.

      Scheppernd rasselt der Feuerstoß aus dem Lauf. Er bedient die MP, als sei er mit ihr aufgewachsen. Mit einem einzigen Stoß mäht er die Heranstürmenden um.

      Dann erst erkennt er das Fiasko: Nicht Tommies wollten ihn greifen, sondern Italiener, die ihm begreiflich machen, daß sie Kriegsgefangene sind.

      »Ihr Scheißkerle«, brüllt Karsten, »könnt ihr nicht früher eure weißen Rotzfahnen zeigen?«

      »Villen Dank, Kamerad, grazie tante«, stottert der Italiener.

      Es knallt und blitzt von allen Seiten. Das ist echter Gefechtslärm.

      »Los, ab!« brüllt der Kompaniechef seinen Männern zu. »Ihr drei hier ins Loch. Die anderen rechts. Munition sparen! Nur gezielt schießen!«

      Die Kompanie sammelt. Viele Verluste, doch keine Zeit zur Inventur. Auf dem rechten Flügel steht die Paschen-Gruppe. Granaten orgeln heran, krepieren im Sand, wirbeln Fontänen aus Dreck und Steinen auf.

      Leutnant Petri, der als letzter springen soll, hat ein Granatsplitter noch an Bord der Ju getroffen. Der erste Tote. Stahl, der Professor, pendelt am Fallschirm auf die Bäume zu, deren Äste sich wie Polypenarme nach ihm strecken. Der Schirm verheddert sich in der Krone. Der Junge hängt mit dem Kopf nach unten am Baum. Verzweifelt versucht er loszukommen. Er liegt im Feuer der Engländer. Querschläger zischen an ihm vorbei.

      Sinnlos versucht er, ihnen mit dem Kopf auszuweichen wie ein Schuljunge, der Ohrfeigen entgehen möchte.

      »Spruuuuuuuuuuuuung!« brüllt Paschen.

      Die Gruppe hetzt über die deckungslose Fläche, Richtung Olivenhain. Das Maschinengewehr klirrt an Schöllers Hüfte. Die Reserveläufe pendeln zwischen Panetzkys Beinen.

      »Lauf, du Arsch!« brüllt Panetzky dem gemächlicher zukkelnden Schützen I zu.

      Panetzky haut sich in Deckung, sucht seine Nickelbrille, setzt sie auf. In diesem Moment sieht er den Professor am Baum. Er verliert den Verstand, heult vor Wut, schreit, tobt, Schaum vor dem Mund. Er vergißt das taktische Ziel, hastet auf den Baum zu, in kurzen Sprüngen. Hinter ihm bauen Schöller und Mommer Lafette und MG zusammen. Eine Kugel klatscht ins Gestänge, reißt Mommer einen Fetzen aus dem Knochensack.

      Panetzky geht es zu langsam. Er springt auf, jagt auf den Hain zu, schlägt Haken wie ein Hase, haut sich unter den ersten Baum.

      »Hammel!«