Will Berthold

Sprung in die Hölle


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wie ihnen Hitler bestätigte – die einzige Erdarmee, die den Stuka-Angriffen je standgehalten hatte. Sie verschanzten sich in der vorbildlich ausgebauten Metaxas-Linie, während ihre australischen und neuseeländischen Bundesgenossen aus ihren Stellungen am Olymp geworfen wurden und ihr Dünkirchen auf dem Balkan, die Verschiffung nach Kreta und Ägypten, unter weitgehender Zurücklassung des Kriegsmaterials vorbereiteten.

      Deutsche Fallschirmjäger sprangen bei Korinth ab, öffneten den Isthmus und den vorrückenden deutschen Truppen den Sperriegel bei den Thermopylen; diesmal gab es keinen Leonidas, der die Angreifer an der historischen Landenge aufhalten konnte. 50000 Mann englischer Truppen flüchteten im letzten Moment, mit König Georg II. von Griechenland. Am 27. April rückten deutsche Panzer in Athen ein. Auf der Akropolis wehte die Hakenkreuzfahne.

      »Was Mussolini den ganzen Winter über nicht gelungen war, erledigte Hitler im Frühjahr in ein paar Tagen«, schreibt in dem Buch »Geheime Kommandosache« William L. Shirer.

      »Trotz allen Stolzes auf seine Siege hatte Hitler weder begriffen, welchen Schlag sie für England bedeuteten noch wie verzweifelt die Lage des Empire war. Statt seine Erfolge im Mittelmeerraum zu nutzen, waren seine Gedanken schon wieder bei Rußland. ›Ob es späterhin möglich sein wird‹, erklärte er, ›die Offensive gegen den Suezkanal zu eröffnen und schließlich die Engländer aus ihrer Position zu vertreiben, kann nicht eher entschieden werden, als bis die Operation ,Barbarossa’ durchgeführt ist.‹

      Die Vernichtung der Sowjetunion kam zuerst; alles andere mußte warten. Das war, wie wir heute wissen, ein entscheidender Fehler. Hitler hätte in diesem Augenblick mit einem Bruchteil seiner Kräfte dem britischen Imperium einen schweren, vielleicht tödlichen Schlag versetzen können; aber das erkannte er nicht.«

      Der Blitzkrieg auf dem Balkan hatte auf deutscher Seite nur 1206 Gefallene, 3901 Verwundete und 548 Vermißte gekostet, doch General Kurt Student, der sich in Holland einen Kopfschuß geholt hatte, wußte, wie man die Zahl der eigenen Verluste in die Höhe treibt: Er schlug Hitler vor, mit seinen Fallschirmjägern Kreta oder Malta aus der Luft zu nehmen.

      Der Diktator schwankte zunächst mit der Entscheidung und dann zwischen beiden Inseln. Schließlich entschied er sich für Kreta, was von der günstigsten Position aus, vom Peloponnes, dem südlichen Griechenland, ein Sprung von 100 Kilometern auf die Insel war. Kreta hat eine Seefront von 260 Kilometern und Berge, die sich bis in 2500 Meter Höhe recken. Der Hauptangriff war im dichter besiedelten Nordteil vorgesehen. Im Mittelabschnitt gab es nur eine enge, steinige Bergstraße, die der Verteidiger Kretas später die »Via dolorosa« nannte, nachdem über sie der problematische Rückzug seiner Truppen erfolgt war.

      Hitler befahl, auch Gebirgsjäger von Kleinschiffen und Motorseglern mehr oder weniger heimlich – die Deutschen beherrschten den Luftraum, die Engländer das Meer – auf die Insel zu schaffen, die von dem neuseeländischen General Bernard Freyberg mit 10258 griechischen und 32382 Empire-Soldaten sowie der gesamten Mittelmeerflotte verteidigt wurde.

      Die deutsche Feindaufklärung war miserabel gewesen. Man nahm zwar an, daß Kreta von schlechten Soldaten überschwemmt sei, bedachte aber nicht, daß der Verteidiger, ein notorischer Kriegsheld, über Eliteverbände verfügte. Schon Wochen vor der »Operation Merkur«, wie der Tarnname des Inselsprungs lautete, hatten die Engländer den deutschen Code geknackt und alle Angriffsvorbereitungen in Klartext übersetzt.

      Freyberg kannte die Landestellen der Fallschirmjäger und brachte seine Truppen in die entsprechenden Positionen. Was ihm fehlte, waren Flugzeuge. Man hatte sie, der befürchteten Invasion wegen, nach Ägypten geschafft und die Flugplätze weitgehend zerstört, um sie für die Deutschen unbrauchbar zu machen. Schwerpunkte von Angriff wie Verteidigung lagen auf dem Westteil der Insel bei Malemes und bei Heraklion im Osten, wie um die Suda-Bucht, den britischen Flottenstützpunkt.

      Am 14. Mai hatten die Luftangriffe deutscher Kampfflugzeuge des VIII. und XI. Fliegerkorps begonnen, die die Landung vorbereiten sollten. Aber es ergaben sich ungeheure Schwierigkeiten: Die Maschinen mußten von Hand aus Fässern betankt werden: 3,6 Millionen Liter Sprit. Es kam zu Verzögerungen bei den Luftangriffen. Da die Insel noch nicht sturmfrei gebombt war, wurde die »Operation Merkur« zunächst auf den 18., dann auf den 20. Mai verschoben.

      Die Luftwaffe stellte 450 Kampfflugzeuge, 502 Transportmaschinen, 60 Lastensegler, vier Fallschirmjägerregimenter und Einheiten der 5. Gebirgsdivision, insgesamt ein 24000-Mann-Invasionsheer, bereit. Die Fallschirmwaffe war seit ihrer Feuertaufe in Holland erheblich verstärkt und verbessert worden. Sie verfügte jetzt über eine eigene Artillerie, ein spezielles Leichtgeschütz mit einem Kaliber von 10,5 Zentimetern; ein Drittel des Pulvergases entwich beim Abschuß nach hinten. Je eine Kanone schwebte an fünf Fallschirmen zur Erde.

      Fallschirmjägern wachsen, sobald sie die Erde berühren, gleich Antäus, dem Riesen der Antike neue Kräfte, aber auf Kreta schienen sie von vornherein auf verlorenem Posten zu kämpfen, denn sie konnten das Überraschungsmoment nicht nutzen. Auf dem Flugplatz Heraklion kamen die Verwegenen mitten unter englischen Panzern auf, wurden zusammengeschossen, überrollt, zerquetscht und zermalmt, bevor sie eine Chance hatten, sich vom Fallschirm zu lösen.

      Auch bei der zweiten Welle verzögern Kaskaden von Staub den Einsatz der Verstärkungen bis zu dreieinhalb Stunden. Die Verbände müssen in falscher taktischer Reihenfolge starten. Sie versammeln sich nicht mehr geschlossen über ihren Zielräumen. Der Feuerschutz der Bomber und Zerstörer verpufft ins Nichts. Der Nachschub landet zum größten Teil beim Feind.

      Beim Anflug stürzt der Führer der Gruppe Mitte, Generalleutnant Süssmann, mit seinem Lastensegler auf dem Felsen der Insel Ägina tödlich ab. Generalmajor Meindl, der Führer der Gruppe West, wird gleich nach der Landung schwer verwundet. Nach dem Absetzen der Fallschirmjägerverbände fehlt beim Luftlandekorps in Athen noch immer jede Nachricht.

      Der Gruppe Mitte gelingt es nicht, den Flugplatz Rethymnon zu nehmen. Der Vorstoß in die Suda-Bucht bleibt im starken Abwehrfeuer liegen. Am Abend des ersten Einsatztages ist keiner der drei Flugplätze erobert. Alle deutschen Anstrengungen konzentrieren sich jetzt auf den E-Hafen Malemes. Von der Höhe 107 aus beherrscht der Feind das Gelände durch konzentriertes Abwehrfeuer. »Wer Malemes erobert, gewinnt die Schlacht um Kreta«, hatte ein britischer Militärhistoriker festgestellt.

      In Fischkuttern und Nußschalen aller Art versuchen Gebirgsjäger über die See die Insel zu erreichen. Sie waren 1500 Kilometer quer durch den Balkan getippelt, um hier vor Erreichen der Küste von englischen Verbänden versenkt zu werden.

      Hiobsbotschaften auf Hiobsbotschaften: Die 12. Kompanie des Fallschirmjägerregiments III wird über einem Stausee abgesetzt. Die meisten Männer können sich nicht aus den Gurten befreien und ertrinken. Die Nachbarkompanie, die 10., springt bei Daratsos selbstmörderisch in die Feindstellung. Trotzdem gelingt es einem Zug, in ein Lager einzudringen und vierhundert Gefangene zu machen. Beim Abtransport erhalten die Grünen Teufel starkes MG- und Granatwerferfeuer. Die wenigen Überlebenden werden nun selbst Gefangene ihrer wieder befreiten Gefangenen.

      König Georg II. von Griechenland hielt sich beim Angriff auf Kreta in einem Landhaus auf. Vom Fenster aus verfolgte er, wie es in nur 100 Metern Entfernung die weißen Fallschirme vom Himmel regnete. Der Monarch lief kopflos davon, flüchtete mit seinem Gefolge zu Fuß über das Gebirge, schlug sich zur Südküste durch. Am 24. nachts begab er sich an Bord eines britischen Zerstörers, der ihn nach Ägypten schaffte. Von dort aus forderte die griechische Majestät die kretische Bevölkerung auf, bis zum letzten Schuß Widerstand zu leisten. Seine Behauptung, die deutschen Todeskommandos bestünden aus Zuchthäuslern und Sittlichkeitsverbrechern, hatte bei der naiven Bevölkerung der Insel verheerende Wirkung: Verwundete wurden massakriert, Tote verstümmelt.

      Die Nacht nach dem ersten Einsatztag senkt sich über Bilder des Grauens. Jeder Meter, den der verwegene Haufen erobert hat, ist mit Blut getränkt. Zu dieser Stunde erwägt Generaloberst Student, der Befehlshaber der »Operation Merkur«, den Abbruch der Schlacht um Kreta. Nur weil er seine 7000 bereits abgesetzten Fallschirmjäger nicht im Stich lassen will, entschließt er sich zur Flucht nach vorne: Er wirft seine letzten Reserven in die Schlacht.

      Der gegnerische General Freyberg erbeutet den Regimentsbefehl, aber vorübergehend