Christian Montillon

Perry Rhodan 3100: Sternenruf


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Dirk Schulz

      Wenn er sie nur verstünde!

      Dann sieht er sie: Feine schwarze Adern kriechen über den erbarmungslos blauen Himmel, sie nähern sich von dort, wo er aufhört zu sehen, und gleiten, immer größer werdend, ins Zentrum seines Blickfeldes.

      Wie gigantische, dürre, dicke, schwarze Finger.

      Kann etwas zugleich dick und dürr sein?

      Und die Sterne ... erlöschen.

      Reginald Bull erwacht. Seine rechte Hand gleitet dorthin, wo sein Zellaktivator sitzt.

      Ist es jetzt so weit?

      1.

      Regen

      28. Mai 2071 NGZ

      Es regnete den dritten Tag in Folge. Die Wetterkontrolle für Terrania City sah allem Anschein nach keinen Grund, korrigierend einzugreifen. Was Perry Rhodan recht war. Er mochte Regen.

      Die Wolken, grau und eigenartig geformt wie gewaltige Zinnklumpen, die man geschmolzen und dann in Eiswasser gegossen hatte, hingen schwer über Terrania City.

      Die höheren Stockwerke der Wohntürme verschwanden im Gewölk; Wolkenreiter glitten wie buntes Konfetti über die Wolken, Wellenreitern ähnlich. Die sensiblen Unterseiten der Antigravbretter konnten so eingestellt werden, dass sie auf die feinsten Dichteunterschiede im Wasserdampf reagierten und die Konturen der Wolken abfuhren wie Surfer die Wellenwände.

      Gelegentlich tauchte ein Raumschiff aus den höheren Wolkenschichten herab. Die Schiffe flogen lautlos. Ihre Rechner konfigurierten die Schutzschirme so, dass sie die kugelförmigen Leiber mit idealen aerodynamischen Hüllen umgaben, die jede Turbulenz minimierten. Nur ein sehr aufmerksamer Hörer hätte eine Art fernes Wehen vernommen – und selbst das wurde vom Rauschen des Regens derzeit verschluckt.

      Immerhin: Einmal im Jahr, am Sternentag – ein Begriff, der sich irgendwann eingebürgert hatte und inzwischen auch offiziell verwendet wurde –, starteten die Raumschiffe für einige Stunden ohne solche Vorsicht; die energetischen Lärmschutzwälle wurden heruntergefahren, die Schiffe desaktvierten die Antigravfelder und stiegen nicht wie schwerelose Erscheinungen auf, sondern getrieben von den tosenden Impulstriebwerken, urweltliche Riesentiere aus Metall, die nach den Sternen schrien.

      Wie in alten Zeiten, dachte Perry Rhodan.

      Nach zwei Kreuzern der PLOPHOS- und der OXTORNE-Klasse sank nun ein PATOMAN-Kugelraumer Richtung Raumhafen, vom Regenvorhang verschleiert, wie ein verirrter Planet.

      Auch das Flaggschiff der Liga Freier Galaktiker, die THORA, war ein solcher Gigant, ein Trägerschiff von 2200 Metern Durchmesser, das eine ganze Flottille von schlagkräftigen Beibooten mit sich führte und alles verkörperte, was die terranische Raumfahrttechnik an Antriebs- und Waffentechnologie zu bieten hatte.

      Zumindest fast alles. Noch immer war die RAS TSCHUBAI das einzige Raumschiff der Menschheit, das mit sonst unerreichten Geschwindigkeiten im intergalaktischen Leerraum operieren konnte.

      Rhodan dachte an das Schiff und dessen Erste Pilotin. Farye Sepheroas herausragende Begabung hatte in den vergangenen 20 Jahren einen weiteren Schub erfahren, dessen Ursache den Wissenschaftlern noch immer weitgehend unerklärlich war. Es war, als wären Rhodans Enkelin Farye und die Semitronik ANANSI zu einer einzigartigen Einheit zusammengewachsen.

      Perry Rhodan hatte die Hände zusammengefaltet und das Kinn auf die Fingerspitzen gestützt. Er trug eine dunkelblaue Kombination, schmucklos und von einem Schneider gefertigt, wie man sie in der Straße der Herrenschneider von Terrania City fand.

      Er sah aus dem Panoramafenster seines Büros in der Solaren Residenz hoch über der Stadt. Hin und wieder sorgten die Aufwinde dafür, dass die Regentropfen an dem Glassit nach oben rannen. Das Fenster war auf akustische Durchlässigkeit geschaltet; das Geräusch von Regen hatte Rhodan von klein auf gemocht, dieses immer gleiche, immer andere Hörspiel der Natur.

      Der Regen wurde dichter, die Stadt schemenhafter. Der Anblick hatte etwas Märchenhaftes. Von den Wolkenreitern war fast nichts mehr zu sehen, nur vereinzelt blitzten die Positionslichter ihrer Antigravbretter auf.

      »Liga-Kommissar? Ist es gestattet?«

      Die Stimme seines Adjutanten klang tief und angenehm wie immer. Rhodan stand auf und gab der Tür einen Wink; sie öffnete sich.

      Antonu May trat ein. Der Umweltangepasste von der Hochschwerkraftwelt Goppner setzte seine Schritte bedächtig, als würden sie anderenfalls die gesamte Residenz erschüttern. Eineinhalb Meter groß und ebenso breit, war May eine beeindruckende Erscheinung. Seine Augen lagen tief, aber schimmerten in einem eigentümlich hellen Grün, die flammend roten Barthaare, ja sogar einzelne Büschel seiner mächtigen Brauen waren zu kunstvollen Zöpfen geflochten. Eine Haube aus durchsichtigem, künstlichem Rubin bedeckte seinen kahlen Schädel; silbrige Schriftzeichen wiesen seine Clanzugehörigkeit aus und listeten die Sonnen auf, unter denen er geschlafen hatte und aufgewacht war.

      »Die RAS TSCHUBAI hat sich zurückgemeldet«, sagte May. »Die meisten Irritationen im Betrieb des Geisterschiffs sind behoben.«

      Perry Rhodan musste grinsen. Geisterschiff war nicht die exakte Typenbezeichnung für die RIBALD CORELLO, aber viele Leute nannten das geheime Raumschiff so.

      »Es gab nur ein Emissionsleck im Mikrosekundenbereich«, ergänzte May. »Wären die Sonden nicht auf gewisse Frequenzbereiche programmiert gewesen, wäre die Emission mit großer Wahrscheinlichkeit unentdeckt geblieben.«

      »Was meint Asta Goldman?«

      »Die Chefingenieurin spricht von einer absoluten Katastrophe. Wahlweise von einem furiosen Desaster. Du kennst sie ja. Sie ist zerknirscht.«

      »Das klingt ermutigend.« Rhodan kannte die Ingenieurin gut, er empfand sie als leidenschaftliche Schwarzseherin. Ein Tag ohne Weltuntergang war für sie ein verlorener Tag. Andererseits schätzte Rhodan ihre Akribie.

      Die RIBALD CORELLO war in vielen Aspekten ihr Kind, ihre Kopfgeburt. Es handelte sich um ein Schiff, wie es die Liga-Flotte noch nie gesehen hatte. Oder würde es sein, sobald es offiziell im Dienst war.

      May hüstelte. Es klang wie fernes Donnergrollen. Vielleicht war es sogar fernes Donnergrollen, überlegte Rhodan. Schließlich regnete es immer noch, und über dem Altai hatte es zu blitzen begonnen. Der höchste Gipfel, der Ich Bogd Uul, ragte beinahe 4000 Meter auf.

      »Einen gewissen Hang zum Pessimismus kann man ihr nicht absprechen«, räumte auch der Assistent ein. »Hoffentlich ist es nichts Ansteckendes.«

      »Meinst du Goldmans Pessimismus –oder das Emissionsleck?«

      May wechselte das Thema. »Der Resident hat gebeten, ihm einen Termin zu geben.«

      »Der Resident?« Rhodan war ehrlich überrascht. Reginald Bull war vor zwei Wochen nach M 13 aufgebrochen. Wichtige Regierungsgeschäfte – man erwartete bei den Arkoniden die Ankunft des zukünftigen Arkon III.

      Soweit Rhodan wusste, wollte Bull noch eine Weile bleiben. Jesper Pan, sein neuer Stellvertreter, hatte auch nichts anderes gesagt. Wieso war Bull bereits wieder im Lande?

      »Wann möchte Reginald mit mir sprechen?«, fragte Rhodan. Und verkniff sich zu fragen: Warum geht er über dich – statt sich direkt bei mir zu melden?

      May schien die unterdrückte Frage gehört zu haben. »Es sei nicht allzu dringend. Vermutlich. Grüße von Atlan. Er weiß, dass du viel zu tun hast.«

      »Ich habe immer Zeit für ihn.«

      May sah aus, als ob er seine Worte überlegen müsste. »Bull sah besorgt aus.«

      »Besorgt? Worüber?«

      May hob ratlos die Hände. »Er hat mich vor drei Stunden angerufen, vor dem Regen. Ich solle dich nicht drängen.«

      »Ist er in der Residenz?«

      May schüttelte den Kopf. »Er wartet in seinem Haus.«