Simon Reynolds

Glam


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und theatralischer Umsetzung. Aber sie tauchen nie tiefer darin ein, warum sich der junge Sänger so sehr auf den älteren Star einschoss oder was er, abgesehen von Gesangseigenarten, noch so von ihm entlehnte. Bolan erinnerte sich daran, Bowie einmal in seiner Südlondoner Wohnung besucht zu haben, wo »er immer Anthony-Newley-Platten auflegte«, die dann ihren Weg in Bowies frühe Soloaufnahmen fanden, mit ihrem »sehr theatralischen Beigeschmack« und den »sehr spießigen Backings«.

      Dabei war Newley gar nicht so spießig wie sein Ruf als mittelmäßiger Sänger für ältere Leute. Tatsächlich gehörten seine künstlerischen Visionen zu den sonderbareren der Branche. Nachdem ihn während des Zweiten Weltkriegs ein Varieté-Veteran unter die Fittiche genommen hatte, wurde er Kinderstar, spielte Artful Dodger in einer Verfilmung von Oliver Twist und hatte Auftritte im Fernsehen sowie einige Hit-Singles im Zuge des Rock-’n’-Roll-Hypes. Dennoch fehlte ihm das Gefühl für die neue Jugendmusik. In den frühen 1960ern trat er in Musicals auf, die er mit seinem Partner Leslie Bricusse geschrieben hatte, darunter Stop the World – I Want to Get Off und The Roar of the Greasepaint, the Smell of the Crowd. Seine Musical-Erfolge in den USA machten aus ihm schließlich einen extrem beliebten Entertainer, sei es auf der Bühne oder im Fernsehen.

      Typisch für Newleys Werk war die Kombination eines Bildes von Englishness (überkorrekte, über sich selbst lustig machende Gesten) und Elementen aus der Pantomime, die oft mit Marcel Marceau verglichen wurden (wie der Pierrot-ähnliche tragische Clown Littlechap in der Zirkus-Allegorie Stop the World). Dazu kamen ein mit Fatalismus gekoppelter absurd-existentialistischer Humor und eine selbstreferentielle Performance, bei der Schauspieler aus ihren Charakteren heraus- und wieder hineinschlüpften und Handlungen die vierte Wand durchbrachen. Newleys Song »The Man Who Makes You Laugh« etwa ist ein Blues-Song, in dem ein Komiker »das Monster mit tausend Augen« füttert. Gemeint ist das unersättliche, launische Publikum. In einer britischen Talkshow treibt Newley den Song auf die Spitze, tut so, als wäre das Publikum der Spiegel, vor dem er sich Make-up aufträgt.

      All das – Pantomime, Meta-Ebenen, Varieté, Overacting – war ein großer Teil der außergewöhnlichen TV-Serie The Strange World of Gurney Slade, die im Herbst 1960 lief. Newley, der die Hauptrolle spielte, hatte die Show auch selbst entwickelt; geschrieben worden war sie von Dick Hills und Sid Green. »Erinnert ihr euch an Gurney Slade? Das war großartig«, sagte Bowie 1973. »Ein Freund von mir hat alle Folgen, da steckt eine Menge Monty Python drin.«

      Die erste Folge beginnt damit, dass Newley als Gurney Slade – ein Schauspieler in einer Soap – zum Entsetzen von Crew und Darstellern das Set verlässt, draußen jegliches Spiel fallen lässt und manisch die Straße entlangspringt. Gurney Slade lässt seinen Realismus unentwegt einbrechen: Newley spricht den Zuschauer direkt an, unterhält sich aber auch mit einem Stein, einem Mülleimer, einer Kuh und einem Hund. Letzterer erzählt ihm, er sei ein Fan von Lassie, nicht aber von Rin Tin Tin. Der sei »zu überzeichnet … nicht lebensecht«, weil er an zu vielen Bäumen vorbeilaufe, ohne zu pinkeln. Die Serie parodiert das Fernsehen und liefert dabei einen Kommentar über die Gepflogenheiten dessen, was Slade bissig »das goldene Zeitalter des britischen Entertainments« nennt.

      Ihren Höhepunkt fand diese Tendenz zur Selbstreflexion in zwei äußerst witzig-subversiven Folgen irgendwo zwischen Luigi Pirandellos Theaterstück Sechs Personen suchen einen Autor (1921) und Tom Stoppards Film Rosenkranz & Güldenstern (1990, zeigt das Leiden zweier Nebenfiguren aus Hamlet abseits des Plots). In der vorletzten Folge muss sich Slade vor Gericht dafür verantworten, vor »7 Millionen Zuschauern […] zur Erheiterung dieser Zuschauer […] auf einem Fernsehbildschirm« erschienen zu sein, dabei aber niemandem »auch nur ein Schmunzeln« entlockt zu haben. Sein Verteidiger wirkt eher wie ein Clown: Es handelt sich um Archie Rice, den heruntergekommenen Varieté-Künstler, den Laurence Olivier in John Osbornes The Entertainer (1960) spielte. Die letzte Folge treibt das Spiel des Fernsehens über Fernsehen schließlich auf die Spitze: Slade wird von den Charakteren konfrontiert, die er in vorigen Folgen geschaffen hat. Sie sorgen sich darum, was mit ihnen passieren wird, wenn die Show einmal vorbei ist. Schließlich taucht ein Mitarbeiter des »Amtes für Charaktere« auf und bietet ihnen Rollen in anderen Serien an. Für Gurney Slade hingegen nimmt alles ein Ende: Nach und nach verwandelt er sich in eine Bauchrednerpuppe, bis Anthony Newley auf die Bühne schreitet, um sein neues, hölzernes Alter Ego davonzutragen.

      Hier werden die Wurzeln der LP The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars von 1972 sichtbar, und in Gurney Slades ambivalenter Haltung gegenüber dem Showbiz liegt auch eine Vorahnung von Bowies eigenem schaurigen Enthüllungsbericht über Paranoia und Oberflächlichkeit des Ruhmes, den Song »Fame« aus dem Jahr 1975. In einer Szene wird der Geschäftsführung des Senders ein brandneues Modell eines Allzweckperformers vorgestellt, der »praktisch alles kann […] Gesang, Comedy […] Tonaufnahme«. Doch es ist Gurney Slade, der bitter in sich rein nuschelt: »Sie denken, ich wäre eine Maschine […] Denen werde ich’s zeigen […] Ich werde hier einfach sitzen und jede Bewegung verweigern.«

      In den 1960ern, als Frontmann einer Reihe von Rockbands, strebte Bowie selbst danach, »ein Allzweck-Modell« zu sein – der anpassungsfähige All-round-Entertainer in Varieté- und Vaudeville-Tradition, der »ein Lied, einen Tanz, ein Lachen« in einer Anzeige der Entertainment-Zeitung The Stage anbietet. Schulen für darstellende Künste unterrichteten ihre Schüler stets in allen Theaterkünsten, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern: Stepptanz, Pantomime, Gesang, Schauspiel. Auf ähnliche Weise sah Kenneth Pitt – eine zweite Vaterfigur, mit der der junge Sänger einige Jahre zusammenwohnte – in seinem Schützling einen vielseitigen Star, dessen Potential nicht nur auf die Pop-Arena beschränkt ist, sondern auch Cabaret und Film miteinschließt. (Zum Beispiel sicherte ihm Kenneth Pitt eine Rolle in dem Film The Virgin Soldiers.)

      »Wer ihn und mich beurteilt und dabei Rock ’n’ Roll als seinen Maßstab nimmt, hat nicht verstanden, dass David niemals ein Verehrer oder Vertreter des Rock ’n’ Roll war«, schrieb der Manager in seinen Memoiren Bowie: The Pitt Report. »Wann immer er sich dem Rock ’n’ Roll hingab, tat er das im Kontext des Theaters, als Schauspieler«, fuhr er fort und zitierte dabei Bowies eigene Behauptung, dass Rock in seinem Leben keine wichtige Rolle spiele. Bolan erkannte diese mangelnde emotionale Bindung, als er beobachtete, dass Bowie »damals sehr Cockney« gewesen sei. »Wir alle waren auf der Suche nach etwas, das uns begeisterte […] Ich wollte Bob Dylan sein, aber ich glaube, David orientierte sich mehr am Humor des Varieté. Es war nicht die Zeit dafür, aber alle seine Songs erzählten Geschichten.«

      1966 – im Jahr von Revolver, Blonde on Blonde, Pet Sounds und einem halben Dutzend anderer Meisterwerke; dem Jahr also, als Rockmusik unbestreitbar zur prägenden Popkultur ihrer Zeit wurde – erzählte Bowie dem Melody Maker von seinen Plänen, zusammen mit dem mittelmäßigen Arrangeur und Songwriter Tony Hatch ein Musical (namens Kids on the Roof) zu schreiben und dass sein eigentlicher Ehrgeiz in der Schauspielerei liege. »Ich übernehme gerne Charakterrollen. Um jemand anderes werden zu können, muss man viel von sich abverlangen.«

      Ein paar Songs aus dem niemals verwirklichten Musical fanden ihren Weg auf Bowies selbstbetiteltes Debütalbum für Deram, das »progressive« Tochterunternehmen des großen Majorlabels Decca. Ende 1966 und Anfang 1967 aufgenommen, tauschte Bowie für das Album seine damals aktuelle Band The Buzz (mit Ausnahme von Bassist Dek Fearnley, der sich um die Arrangements kümmerte) gegen professionelle Session-Musiker aus. Lebhafte Basslines, verspielte Drums, tutende Trompeten, schnaufende und keuchende Tubas, schrill zwitschernde Piccolo- oder Blockflöten, vielleicht etwas Ukulelengeschrammel oder das schäbige Klimpern eines Pianos: Der Sound war in einem originell ausgeschmückten Stil gehalten, wie er sich sonst auf den Comedy-Alben dieser Zeit finden lässt. Bei Ken Dodd and the Diddymen etwa, oder bei The Bonzo Dog Doo-Dah Band. Die Non-Album-Single »The Laughing Gnome«, ein albernes Liedchen über ein koboldähnliches Wesen, weist Ähnlichkeit mit »Puckwudgie« auf, einer späteren Hit-Single des Komikers Charlie Drake. Mit seinen peinlichen, wenn auch originellen Wortspielen und den stark beschleunigten Stimmen von Toningenieur Gus Dudgeon und Bowie selbst in den Rollen des Koboldes wurde »The Laughing Gnome« 1967 ein Flop sondergleichen.

      »The Laughing Gnome« und das selbstbetitelte