beobachten, von Rock bis Rave: Das Volk (eine bestimmte Gruppierung, nicht die allgemeine Öffentlichkeit) hat die Macht, gibt diese aber freiwillig an Anführer aus ihren eigenen Reihen ab.
Nach Len Oakes, dem Autor von Prophetic Charisma, hat der typische Kandidat für die Rolle als Kultführer eine narzisstische Persönlichkeit, die »riesiges Selbstvertrauen« mit enormer Energie, der Fähigkeit zu Verführung und Manipulation sowie auffällig wenigen Selbstzweifeln vereint. Okay, das klingt nach den meisten Popstars beziehungsweise nach so ziemlich jeder und jedem, die etwas mit den darstellenden Künsten zu tun haben. Aber wenn Oakes die Wesenszüge von charismatischen Sekten auflistet – ganze Gemeinden, die in Ekstase verfallen, Hemmungslosigkeit, Hände in der Luft, sich schüttelnde Menschen, die in Ohnmacht fallen; Gläubige, deren Körper von »grauenhaftem Zittern« erfasst werden, schreien und brüllen –, klingt das verdächtig nach Rock ’n’ Roll, Disco, Rave und anderen Ausbrüchen begeisterter Tanzkultur. Man sehe sich nur die Bilder von Born to Boogie an: Mädchen (und hier und da ein Junge), die sich schütteln und wenden, so stark schreien, dass man die Zahnfüllungen und die Speichelfäden in ihrem Mund sehen kann, Hände, die sich nach ihrer Gottesfigur strecken. Das ist Religion, und zwar ganz klassische.
Manchen Beobachtern fiel dieser Wiedergeburts-Aspekt der T. Rextasy schon damals auf. Tony Tyler vom NME sprach von der »fast hypnotischen Kontrolle«, die Bolan bei Auftritten über seine Fans hatte. »Für tausende Rexmaniacs, die sich sicher fühlten in ihrem fundamentalistischen Glauben, brannte [die T. Rextasy] mit der Inbrunst einer religiösen Erfahrung. Eine dionysische Frühlingsweihe, zu der sie alle strömten, um ihre Opfer darzubieten.« Dieser Wahn konnte gefährlich werden. Im Boston Gliderdrome, ein 6.000 Menschen fassender Konzertsaal in Lincolnshire, wurden 33 Fans ohnmächtig. Ein Mädchen musste ins Krankenhaus, wobei sich die Berichte darüber uneinig sind, ob sie in der Aufregung vom Balkon gestürzt oder ein Scheinwerfer auf sie gefallen war.
Sofort entstand um die Hysterie eine Ausbeutungsindustrie. Es gab T.-Rex-Merchandise jeder Art. Der offizielle Fanclub hatte 6.000 Mitglieder und erhielt wöchentlich Tausende von Briefen, von denen viele grauenhafte Gerüchte ansprachen, die Popidole für gewöhnlich umgeben: »Stimmt es, dass Marc an Leukämie oder einer Nierenerkrankung stirbt?« In einem Bolan-Porträt liest June aus einem Fanbrief vor: »Ich würde für dich / mit dir / dir alles (an)tun. Lösch einfach, was nicht zutrifft. Bitte schick mir Essen, abgeschnittene Nägel, Klamotten oder irgendwas, das du angefasst hast.«
»Gibt es irgendwo in Britannien einen Anti-T.-Rex-Fanclub?«, fragte Gerald Levy aus Middleton, Lancashire, in den Leserbriefen des Melody Maker Anfang 1972. Musikmagazine waren voll von Lesermeinungen contra oder pro Bolan. Die Aufregung rührte auch daher, dass es kaum mehr eine Woche gab, in der nicht irgendeine Bolan-Story die Runde machte (selbst sein Pressesprecher BP Fallon bekam sein eigenes Porträt). Andere Beschwerden kamen aus dem Prog-Rock-Lager, das sich über seine »banalen Akkordfolgen« aufregte und ihn als »das größte Desaster, das je die britische Popmusik heimgesucht hat«, beschrieben weil er »den kompletten Fortschritt und Reifungsprozess der letzten Dekade« eigenhändig rückgängig gemacht habe. Und dann gab es natürlich noch die alten Tyrannosaurus-Rex-Fans, die sich wünschten, er würde wieder über Runen und Rarn singen. Die International Times machte sich zum Sprachrohr der verbitterten Herde, als sie auf der Titelseite fragte: »Bolan – wer braucht ihn schon?«
1972 war T. Rextasy auf ihrem Höhepunkt angelangt: riesengroße Konzerte, mehrere Singles auf Platz eins und zwei der Charts, die Veröffentlichung von Born to Boogie. Ende des Jahres machte sich Ermüdung breit. Im Fall Bolans selbst war es kreative, psychische und physische Erschöpfung. Doch auch der Gipfel des Phänomens T. Rextasy war nun erklommen und der Abstieg stand bevor.
»Metal Guru« – Nummer Eins im Mai 1972 – war in mancher Hinsicht der ultimative T.-Rex-Song: ein Jingle, dessen Strophe-Vers-Schema sich endlos in einem Strudel von Karamell und krankhaft-süßem Sound wiederholte. Aber er war auch der erste Hinweis darauf, dass Bolan das Material ausging. Wie Musikkritiker Neil Kulkarni anmerkt, scheint sich Bolan die Frage »Metal guru / Is it you?« selbst zu stellen, um seine Eignung als Anführer einer Generation beurteilen zu können. In Interviews machte er vage Angaben darüber, dass der Song von einer »Gottesfigur« und Isolation handle. Außerdem, behauptete er, arbeite er an einem Drehbuch über das Konzept eines »kosmischen Messias […], ein Nachrichtenbote Gottes, der nach dem Planeten Erde sehen muss […]. Gott ist auf den Planeten seit [Eden] nicht mehr zurückgekehrt. Er erwartet eine Gottesrasse, doch was er vorfindet, ist eine Katastrophe.«
»Metal Guru« ist der Schlüsselsong auf The Slider. Bolan prahlte, dass das Album einen Sound hätte, der »sich komplett von dem unterscheidet, was wir bisher gemacht haben […], softer, aber härter. Wie feste Flüssigkeit.« Aber abgesehen vom erotisch-lässigen Titeltrack und der bereits Anfang des Jahres erschienenen Single »Telegram Sam« war es durchwachsen. In den britischen Album-Charts kam es über den vierten Platz nicht hinaus – ein beunruhigendes Zeichen.
Ironischerweise veröffentlichte Bolan genau dann drei der originellsten und am unterschiedlichsten klingenden T.-Rex-Singles, als Fans und Kritiker anfingen, ihm vorzuwerfen, er würde sich wiederholen und sich selbst kopieren. Die Lyrics bestanden zwar aus weiteren Hinweisen auf seinen Messiaskomplex, doch musikalisch war »Children of the Revolution« viel langsamer als seine vorherigen Hit-Singles. Der von Streichern vorangetriebene, schlingernde Groove machte aus der Nummer eine Art Bubblegum-Vorläufer von Led Zeppelins »Kashmir«.
Die nächste Single beschrieb der Künstler als »sehr schnellen Rockaboogie«. »Solid Gold Easy Action« war der Missing Link zwischen Captain Beefhearts »Sun Zoom Spark« und »Bits and Pieces« von The Dave Clark Five: einem schrillen Sägezahn-Riff folgt ein aufrüttelnder »Hey! Hey! Hey!«-Sprechchor zu Bum-bum-bum-Beats, dann ein Bo-Diddley-Shuffle, gefolgt von einem Refrain, der so süßlich ist, als würde man sich Schwarzwälder Kirschtorte ins Ohr stopfen.
Dann kam »20th Century Boy«, Bolans punkigstes Statement überhaupt. Diese Single beschrieb er als »Erektionsrock […], eine Aufnahme reiner Energie […]. Teile des Textes zitieren Muhammad Ali […]. Ich glaube, dass jeder Mann im 20. Jahrhundert ein Superhengst ist und die Platte ist für ihn.« Der Song quillt von fast schon parodistischen Machismen geradezu über. Bolans Gesang könnte nahezu als Rap durchgehen. Er gibt Zeilen wie »sting like a bee« von sich, bietet sich aber immer noch als Spielzeug an (»I wanna be your toy«). Die rauchigen weiblichen Soul-Backings erinnern an Merry Clayton auf »Gimme Shelter«. »20th Century Boy« tritt die Türe sofort mit einem lauten Riff ein und bewegt sich dann in ein Stooges/Fun House-mäßiges Durcheinander aus kreischendem Saxophon, geschlagenem Rhythmus, Schellenkranz und fast schon gegurgelten Vocals von Bolan: eine absurde Karikatur von Bedrohlichkeit, die dennoch etwas Verstörendes hat.
Ein paar Jahre bevor die T. Rextasy losbrach, argumentierte George Melly, dass unter dem erotischen Rausch des Teen-Fan-Wahnsinns ein primitiver religiöser Impuls läge: »Während der Geschichte ist religiöser Enthusiasmus dieses Ausmaßes von sexueller Hysterie oft nicht zu unterscheiden. Ebenso rätselhaft ist das plötzliche Aussterben der gefährlichen Göttlichkeit eines Künstlers oder einer Gruppe […]. Die Schreie verstummen, die Menge löst sich auf […].« Melly hat Recht in Bezug auf die Willkür hinter den Niedergängen von Popidolen, aber im Fall Bolans gibt es ganz banale Gründe für seinen raschen Abstieg. Anders als die Beatles oder Stones war Bolan von seinen kreativen Mitteln abhängig: Seine Band bestand aus Angestellten, nicht aus Gegenstücken, die er glänzen lassen konnte oder die sich ins Songwriting einzubringen gewusst hätten.
Und obwohl er so gerne davon sprach, sich an anderen Künsten ausprobieren zu wollen, war Bolan kein künstlerischer Universalgelehrter wie sein Freund David Bowie. Er konnte ums Verrecken nicht schauspielern oder Drehbücher schreiben. Born to Boogie war ein Allerlei aus mitreißenden Aufnahmen von den Wembley-Konzerten und pseudo-surrealen, halbimprovisierten Zwischenspielen, die auf John Lennons Anwesen gefilmt worden waren. Dem NME gegenüber schwärmte Bolan von einer Szene, in der Ringo Starr (als Haselmaus) und Bolan (als der verrückte Hutmacher) »Byron-mäßige Gedichte in einem hellroten Cadillac«