Simon Reynolds

Glam


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Vergangenheit interessiert mich«, sagte Bolan Gandalf’s Garden gegenüber. »Ich schreibe nie für die Zukunft. Namen, Wortketten, sonderbare Bücher […], Kräuternamen machen mich fertig, sie treiben mich völlig in den Wahnsinn. Aus Kräuternamen kann ich ganze Geschichten basteln.« Tyrannosaurus-Rex-Songs erzählen allerdings gar keine Geschichten. Stattdessen werden sie von einer nicht-narrativen Unlogik zusammengehalten, die über zungenbrechende, verbalmusikalische Effekte wie Binnenreime, Assonanzen und Zischen funktioniert: »chants a crooning moon rune«; »a tusk of boar with dwarfish saw«. Und überall stecken Kreaturen. Manche gibt es wirklich, andere sind ausgestorben oder komplett mythologisch: Raben, Delfine, Störche, Flugsaurier, Waldgeister.

      Alle Zutaten, aus denen Tyrannosaurus-Rex-Songs bestehen – Archäologie, das Tierreich, Dinosaurier, Märchen und Fantasy-Literatur – bieten Fluchtwelten für Kinder (oder zumindest taten sie dies vor der Zeit von Internet und Videospielen). Als ich die Lyrics aller vier Tyrannosaurus-Rex-Alben durchging, fiel mir auf, dass Bolans frühes Songrepertoire ein nahezu vollständiger Querschnitt aus meinen Interessen als Sechs- bis Zehnjähriger ist. Mein erster Wunschberuf war es, als Archäologe im Dschungeldickicht Maya-Tempel zu entdecken. Dann wollte ich Zoologe oder Vogelkundler werden Fischadler mit einem Binokel betrachten und Pfotenabdrücke in Gips gießen. Und schließlich entschloss ich mich, Kinderbuchautor zu werden, denn ich wollte Schriftsteller sein. Der Hobbit, Der Herr der Ringe und Die Chroniken von Narnia begeisterten mich zu der Zeit besonders: Ich muss sie alle jeweils drei oder vier Mal gelesen haben, bevor ich schließlich zu Science-Fiction und Erwachsenenliteratur aufstieg.

      Auf dem Backcover von Prophets, Seers & Sages befindet sich der Text »Im Kopf eines Mannes ist eine Frau, im Kopf einer Frau ist ein Mann, aber welche Wunder durchstreifen den Kopf eines Kindes«. Die Vorpubertät als verlorenes Paradies der Vorstellungskraft. Der Ausbruch der Sexualität verringert die Kapazitäten für die Ehrfurcht vor dem Fantastischen. Das Publikum von Tyrannosaurus Rex bestand jedoch aus Hippies und Studenten aus der Bohème. Aus der Pubertät waren sie längst raus und die sexuelle Befreiung einer der Grundpfeiler des Weltbildes der Gegenkultur. Was reizte sie also an der Unschuld? Der einzige Tyrannosaurus-Rex-Song über den Liebesakt ist wohl »Juniper Suction«, aber er ist unaufrichtig und bemerkenswert ängstlich im Ton – was sich ändern würde, sobald Bolan zum anzüglichen Hüftkreisen von T. Rex übergangen war.

      Doch selbst im Gebiet der prä-adoleszenten Fantasie scheut das Werk von Tyrannosaurus Rex die dunklere Seite der Kinderliteratur: die englische Tradition von Geistergeschichten und unheimlichen Erzählungen. Auch Tolkiens unheimliche Seite lässt es aus: die Realität des Bösen und die harte Notwendigkeit, gegen es vorzugehen.

      Was Bolan von Tolkien und Lewis lernte, waren die Kreation neuer Welten und die Sehnsucht, dem Hier und Jetzt zu entkommen. In seinem Essay »Über Märchen« setzt sich Tolkien mit dem Gedanken auseinander, dass das Erfinden von imaginären Welten Gottspielereien gleichkäme. Der Schriftsteller spiegelt den Schöpfer wider, indem er »eine sekundäre Welt« kreiert. Innerhalb dieser »Subkreation« folgt alles »den Gesetzen dieser Welt«, die sich auch wiederum der Schriftsteller ausgedacht hat. Tolkien, ein Professor der Philologie, ging sogar so weit, für die Völker der Mittelerde mehrere komplett erfundene Sprachen zu entwerfen.

      Für Bolan bedeutete seine Vorstellungskraft einen Schutzraum für seine eigene beschädigte Größe vor den Demütigungen der harschen Realität. Er beschrieb sich selbst als »sonderbares Kind, sehr abgefuckt«, das »sehr in meine eigene kleine Welt« abtauchte. »Ich habe nicht oft mit anderen Leuten Boogie getanzt […]. Ich las sehr viel.« Die Bücher von Tolkien und Lewis inspirierten ihn dazu, sein eigenes magisches Reich herbeizuzaubern: Beltane. Es wurde zum Schauplatz eines Buches mit dem Titel The Krakenmist, das er Anfang 1968 schrieb (der Titel kam von John Wyndhams Sci-Fi-Roman Wenn der Krake erwacht, dessen Titel wiederum von einem Gedicht Alfred Tennysons stammte, das auf einer altnordischen Legende basiert). Er hatte auch geplant, ein ganzes Konzeptalbum in Beltane spielen zu lassen, aber heraus kam dabei nur der Song »Beltane Walk« vom selbstbetitelten, ersten T.-Rex-Album von 1970.

      Der Reiz dieser imaginären Welten für Leser (oder Hörer, im Fall von Tyrannosaurus Rex) liegt in dem Zufluchtsort, den sie für das innere Kind bieten, eine Fantasiewelt, die vom Zynismus der Welt abgesichert und abgespalten ist. Das Leben eines Erwachsenen mit seinem Fokus auf Karriere und Konsum hingegen zerfrisst die Seele und verhärtet das Herz: In seinen Briefen und Interviews bezog sich Bolan oft auf »die harte Welt« oder beschwerte sich darüber, dass das sogenannte echte Leben »sehr hart« sei, ein Ort voller »Blockierungen«, in der »fast alles, das sanft ist […], verdächtig ist«.

      Diese Beschwerden sind zeitlos, waren aber in den späten 1960ern besonders verbreitet. Tolkiens Unmodernität machte ihn bei den Hippies erst so beliebt. Er glaubte, die Fantasie könne Gegenmittel und Widerstand angesichts der allgegenwärtigen Enttäuschungen bieten: ein Ort der »Freiheit von der Vorherrschaft der empirischen ›Fakten‹«. Wie die Literaturkritikerin Jenny Turner beobachtete, wurde Der Herr der Ringe »geschrieben, um die moderne Welt in Schach zu halten«. Tolkien selbst merkte an, dass »die Leser und Macher von Märchen sich nicht wegen ihrer Flucht in die Altertümlichkeit schämen« sollten. Schließlich »bevorzugen sie nicht nur Drachen, sondern auch Pferde, […] nicht nur Elfen, sondern auch Ritter und Könige« gegenüber »fortschrittlichen Dingen wie Fabriken […], Maschinengewehren […], Bomben«.

      Obwohl Psychedelic-Rock-Bands elektrische Gitarren, riesige Verstärker, Lichtshows und höchstmoderne Studiotechnik nutzten, misstrauten sie technologischen Fortschritten außerhalb ihres eigenen Schaffens. Bands wie Traffic sprachen davon, »unsere Köpfe auf dem Land frei zu kriegen«. Die neuen Rockfestivals wählten für ihre Stammestreffen ländliche Gegenden aus. Bolan schloss sich diesem Zurück-zur-Natur-Trend an. 1968 erzählte er dem NME, er könne »Städte und die Realitäten des modernen Lebens« nicht ausstehen: »Dinge aus Plastik stoßen mich ab.« Gegenüber Fusion behauptete er, dass das Debütalbum My People Were Fair aus »Wald- und Landliedern« bestehe, von denen er »die meisten auf dem Land« geschrieben habe.

      Auf diesem Album rezitiert Bolans Freund John Peel – der führende DJ des britischen Undergrounds – eine »Woodland Story« nach dem Vorbild von Der Wind in den Weiden. Der Protagonist, Kingsley Mole, hat Tagträume von »gesunkenen Galeonen und Bildern von verrosteten Dublonen und überschwemmten Kabinen, voll von modrigen Musketen und hellgoldenen Handschuhen«. Auf der Rückseite der Hülle huldigte Peel dem Duo: »Tyrannosaurus Rex entsprangen den traurigen, zerstreuten Blättern eines vergangenen Sommers. Während des harten, grauen Winters wurden sie von denen gepflegt und gestärkt, die sie liebten. Als der Frühling kam, blühten sie auf, Kinder jubelten und die Erde sang mit ihnen. Es wird ein langer, ekstatischer Sommer werden.«

      Peel war der größte Unterstützer der Band. Er spielte ihre Songs im Radio und lud sie ein, bei seinen DJ-Gigs aufzutreten. »Peel hypte Marc und seine Musik«, erinnert sich Peter Jenner. »Und Peel war der Trendsetter des Undergrounds. Er war ein starker Live-DJ, verdiente damit gutes Geld, und die Hälfte davon gab er Bolan und Took.« Ihre ständige Präsenz bei diesen Gigs und den für Peels Sendung aufgezeichneten Live-Sessions machte aus Tyrannosaurus Rex eine der bekanntesten Bands des Undergrounds.

      Peel und Bob Harris – Peels jüngeres Gegenstück bei Radio One, dem Pop-Sender der BBC – hatten großen Einfluss in der Grauzone zwischen Underground und Mainstream. Andere Vermittler zwischen diesen Polen waren das wöchentliche Musikmagazin Melody Maker und das monatliche ZigZag sowie die auflagenstärksten Zeitungen der Gegenkultur wie die International Times und Oz sowie die Programmzeitschrift Time Out (damals noch als Kollektiv betrieben). Das spirituelle und geografische Zentrum der Gegenkultur – das in etwa Haight-Ashbury entspricht – lag in den West-Londoner Vierteln Ladbroke Grove und Notting Hill Gate. Damals war diese Gegend funky und abgeranzt, Immigranten und die Bohème mischten sich mit Argwohn untereinander. Hier befanden sich die Büros von Undergroundheften wie Frendz und progressiven Labels wie Island. Hier lebten behaarte Rocker wie Hawkwind oder The Pink Fairies und auch Marc Bolan selbst, der mit June Child in eine Dachwohnung in Blenheim Crescent gezogen war.

      Über ganz Großbritannien verteilt