einen Verzerrer enorm aufgeblasen wird. Der Song hat – genauso wie die aufregenden »Jagged Time Lapse« und »Remember Thomas A Becket«, die allerdings nicht aus Bolans Feder stammten – kaum etwas, das man einen richtigen Akkord, geschweige denn ein Riff nennen könnte. Stattdessen brechen plötzlich die Verzerrer aus, treiben Schlagzeugwirbel die Geschwindigkeit voran und langgezogenes Feedback taucht ohne jeden Grund auf und verschwindet wieder.
Doch John’s Children gaben sich nicht damit zufrieden, The Who nur musikalisch in ihrer eigenen Disziplin zu übertrumpfen. Auch die theatralisierte Destruktion dachten sie noch weiter. In einem Bandinterview bezeichnete Bolan einen typischen Gig als »fünfundvierzigminütiges Happening. Manchmal ist uns kaum bewusst, was wir tun. Es ist wie eine große Séance zwischen uns und dem Publikum. Ich habe Andy verrückt werden sehen wie einen Medizinmann bei einem Stammestanz.« Ellison distanziert sich heute von dem Wort »Happening«, das in den 1960ern ein Modewort in der Kunstwelt und dem radikalen Theater war: »Ich habe es nie als irgendeine Art von Kunstform gesehen. Aber wir haben es auf die Spitze getrieben. Uns fast zerstört.«
Dieser Hang zur Selbstzerstörung erreichte im Frühling 1967 seinen Höhepunkt auf einer Tour durch Westdeutschland, passenderweise als Vorgruppe von The Who. Die Mod-Götter wurden komplett an die Wand gespielt, nicht nur was die Musik und die Anarchie auf der Bühne anging, sondern auch durch die schiere Lautstärke. Möglich gemacht hatte das eine massive Wand aus Jordan-Verstärkern, von denen Ellison behauptete, dass sie »von der NASA hergestellt« worden seien und die John’s Children mit dem Geld erwarben, das sie durch den US-Erfolg von »Smashed Blocked« verdienten, das es in Kalifornien und Florida in die regionalen Top 10 geschafft hatte. Die Band hatte sich eine Bühnenshow ausgedacht, in der Peitschen, Kunstblutkapseln (für die Glaubwürdigkeit) und eine große Anzahl an Federn, die im ganzen Konzertsaal verstreut wurden, prominente Rollen spielten.
»Ich hatte damals eine silberne Peitsche«, erinnerte sich Bolan 1972 dem NME gegenüber. »Ich kettete ganze Pritschen voller Verstärker aneinander, schleppte sie über die Bühne und peitschte die Gitarre aus.« Während die Band ohrenbetäubende Dezibel abfeuerte, mischte sich Ellison unter die feindseligen deutschen Zuschauer, kämpfte sich durch ein Meer von wütenden Fäusten und riss dabei voller Freude Kissen auseinander, mit deren Federn er um sich warf. Nach einem besonders wilden Auftritt sahen The Who sich gezwungen, ihr Set mit »My Generation« zu beginnen, eigentlich der abschließende Höhepunkt ihrer Show. »Nur so konnten sie weitermachen«, so Bolan. »Die Bühne war voll von Federn, Büstenhaltern und anderem Zeug.« Ellison erinnert sich, dass The-Who-Manager Kit Lambert John’s Children warnte, dass er sie feuern würde, wenn sie so weitermachten. »Aber wir konnten nicht aufhören. Wir wollten herausfinden, wie weit wir es treiben konnten.«
Der teuer erkaufte Sieg kam beim nächsten Konzert, in Ludwigshafen. »Die Bereitschaftspolizei wurde gerufen. 20.000 Leute drehten durch«, erzählt Ellison. »Wir wurden verletzt. Zuschauer stiegen auf die Bühne und attackierten uns. Wir mussten uns dünne machen. Während wir versuchten, da rauszukommen, sah ich, wie Wasserwerfer durch die Fenster schossen, während Stühle nach draußen geworfen wurden.« Weil die Band nun gezwungen war, Westdeutschland möglichst schnell zu verlassen, ließen sie ihr Equipment zurück.
Fast sofort nach ihrer Rückkehr nach Großbritannien stieg Bolan aus. Vielleicht hatte er begriffen, dass Bands wie John’s Children – auch wenn sie aufregend waren – zu unkoordiniert waren, um erfolgreich zu sein. Dass »Desdemona« kein Hit wurde, leistete seinen Beitrag zu dem Gefühl, dass sich die Gruppe auf dem Holzweg befand.
Auch die Musikwelt befand sich im Umbruch. Das ungehobelte Auftreten von den frühen Who und Stones verschwand, versiertes musikalisches Handwerk und im Studio geschliffene Produktionen nahmen zu, etwa im Fall von Eric Clapton und Jeff Beck, nachdem sie bei den Yardbirds ausgestiegen waren. Dann gab es noch Bands wie Procol Harum und Traffic, die »reifen« Beatles mit ihren Schnauzbärten oder die Fusion von Gewalt und Virtuosität, die sich The Jimi Hendrix Experience auf die Fahnen geschrieben hatten. John’s Children hingegen nahm keiner ernst.
Dennoch sah Bolan seine kurze Zeit mit der Band als wegweisend. 1971 erklärte er ZigZag: »Alles, was ich [mit T. Rex] tue, ist im Prinzip John’s Children nachzubilden oder das, was ich mir von John’s Children erhofft hatte, als ich bei ihnen anfing.« Von John’s Children zu T. Rex nahm er allerdings einen langen Umweg über seine neue Band Tyrannosaurus Rex.
Angeblich war es ein Auftritt des Sitar-Gurus Ravi Shankar, den er auf dem Weg nach Hause von seiner katastrophalen letzten Tour mit John’s Children in Luxemburg gesehen hatte, der Bolan zur Gründung des Akustik-Duos Tyrannosaurus Rex inspirierte. Bolan und die restlichen Bandmitglieder trugen noch immer ihre weißen, blutgetränkten Bühnenoutfits (das Blut war teils künstlich und teils echt) von dem außer Kontrolle geratenen Konzert in Ludwigshafen. »Marc war wie verzaubert. Shankar saß auf einem Teppich, spielte seine Sitar und nichts konnte seinen Auftritt unterbrechen«, sagt Napier-Bell.
Wenn Shankars Konzert wirklich ein derartiger Heureka-Moment gewesen sein soll, ist es allerdings seltsam, dass Bolan unmittelbar nach seiner Rückkehr versuchte, in London seine eigene komplett elektrische Band auf die Beine zu stellen. Die Band wurde überhastet durch eine Anzeige im Melody Maker zusammengestellt und spielte einen einzigen, desaströsen Gig im Rock Garden in Covent Garden. »Marc achtete beim Vorspiel nur auf die Namen und das Aussehen der Bewerber, wie er es immer tat«, erklärt Napier-Bell. »Geprobt haben sie auch nicht. Er glaubte einfach, dass kosmische Magie etwas Wundervolles hervorbringen würde.«
Erst nach diesem Debakel legte sich Bolan auf das akustische Konzept von Tyrannosaurus Rex fest. Ein Mitglied seines fehlgeschlagenen Bandprojekts behielt er bei, ein siebzehnjähriges »Blumenkind«, das den Namen eines Hobbits aus Tolkiens Der Herr der Ringe angenommen hatte: Steve Peregrin Took – warum er seinen Vornamen behielt und so die Märchen-Aura untergrub, ist nicht bekannt – war eigentlich Schlagzeuger, sah sich jedoch gezwungen, sein Schlagzeug zu verkaufen, um die Miete zahlen zu können. Es war also der Zufall, der dazu führte, dass Tyrannosaurus Rex sich für einen Sound entschieden, der auf Bolans Gesang und Gitarre zu Tooks Handpercussions und Hintergrundseufzern basierte.
Der verschrobene Stil des Duos sagte dem neuen Hippiepublikum zu. Schnell wurden sie zu einem gefragten Act und verdienten 50 Pfund pro Gig. Napier-Bell fühlte sich in seinem Glauben an Bolans Talent bestärkt und wollte den Preis anheben, doch Bolan, der sich der antikommerziellen Haltung des Undergrounds angepasst hatte, war dagegen. »Marc sagte, ›Oh nein, Mann. Das will ich nicht. Es ist nicht richtig. Ich bin Teil dieser Kultur und es ist keine Geldkultur‹«, erinnert sich Napier-Bell. Also gingen Bolan und sein erster Manager getrennte Wege. Tyrannosaurus Rex wandten sich daraufhin Blackhill zu, einer aufstrebenden Management-Firma direkt am Puls der britischen Gegenkultur.
Blackhill war von Peter Jenner und Andrew King gegründet worden, um sich um die führende Psychedelic-Band des Landes, Pink Floyd, zu kümmern. Ihren Sitz hatten sie in der Ladbroke Grove. Teil des Teams war Jenners Mitbewohnerin June Child, die Pink Floyd zuerst zu ihren Gigs fuhr, sich dann um ihre Finanzen kümmerte und schließlich die erste Mitarbeiterin der jungen Firma wurde, da sie als Empfangsdame und Mädchen für alles angeheuert hatte. Sie und Bolan verliebten sich schnell. June Child hatte nicht nur den passenden Namen für ein Blumenkind, sondern auch den klassischen Look: Sie war blass, gertenschlank und hatte ein langes, ovales Gesicht, umrahmt von strohblonden Locken. Sie war aber auch sieben Jahre älter und damit erwachsener als Bolan. Child wurde zu seiner Beraterin, praktisch auch zu seiner Managerin sowie seiner Seelenverwandten, Muse, Liebhaberin und schließlich Ehefrau.
Möglicherweise war es auch Teil ihres Reizes, dass sie eine kurze Zeit Syd Barretts Geliebte war. Bolan sah dem Sänger und Gitarristen von Pink Floyd etwas ähnlich: Er war hübsch, mit dunklen Locken und dem Hauch eines Gipsy. Es gab aber noch tiefergehende Parallelen: einen köstlich englischen Gesangsstil und Lyrics, die in die idyllisch-unschuldigen Welten von Kinderbüchern abtauchen. »Er ist einer der wenigen Menschen, die ich tatsächlich ein Genie nennen würde«, schwärmte Bolan von Barrett. »Er hat mich unglaublich inspiriert.« Barretts Pop-Erfolge mit Pink Floyd – Hits wie »See Emily Play«