Bolan hat einmal behauptet, er habe sich diesen Stil angeeignet, indem er Platten des schwarzen US-Crooners Billy Eckstine mit 45 statt 33 rpm abgespielt hätte. Laut Simon Napier-Bell war es in Wirklichkeit Bessie Smith: »Spiel ihre Alben mit 45 rpm und du hörst Marc Bolan.« Wenn das stimmt, ist Bolans Stimme nicht nur das Produkt technologisch realisierter Künstlichkeit, sondern auch das von Transgendering – wenn er auch höher klingt als sein weibliches Vorbild.
Als Bolan Napier-Bell besuchte, war der junge Manager von Bolans seltsamen Gesangsstil begeistert und fasziniert von seinen ungewöhnlichen Songs. Doch noch mehr vereinnahmte ihn dessen Auftreten, etwa der schlaue Einfall, seine kleine Körpergröße auszunutzen, indem er sich mit übereinandergeschlagenen Beinen in den größten Sessel setzte und so den Effekt »eines Weisen aus einem Dickens-Roman« kreierte. Wenn man etwa fünfzehn Jahre als ist, so Napier-Bell, »hat man normalerweise herausgefunden, wie man das Beste aus sich herausholt. Und Marc hatte das mit seinem Image getan. Es war sehr ausgeklügelt.«
Im Pop, darauf besteht Napier-Bell, ist »das Bild wichtiger als die Musik«. Man kann »den Sound verfälschen«, mit Songs, die jemand anderes geschrieben hat, die von Session-Musikern eingespielt und von einem Produzenten in Form gebracht wurden. Visuelle Reize, so Napier-Bell, können von anderen profitieren, nicht aber dort entstehen, wo sie davor nicht schon existiert haben. Das gewisse Etwas – Präsenz, Charisma, Anziehungskraft –, aus dem Stars ihr Image schnitzen, setzt sich aus dem zusammen, was sie bereits haben. Letzten Endes muss der Prozess der Selbstmanufaktur beim Künstler beginnen. »Wenn du einfach zu jemandem sagst ›Ich will, dass du so eine Stimme hast und dich so anziehst‹ und diese Person dann zu einem Gesangslehrer schickst, kommt nur Müll dabei raus«, sagt Napier-Bell. »Echte Images kommen von echten, ungewöhnlichen Leuten.« Oberflächlich betrachtet ist das eine seltsame Definition von Popstar-Authentizität: Der »wahre« Fake kontrolliert die Maske, die sie oder er trägt. Doch auf Figuren wie Bolan und seinen Freund Bowie trifft sie zu. Beide erfanden erst eine Reihe von Alter Egos, bevor sie eins fanden, das bei der Masse ankam.
Der Unterschied, den Napier-Bell zwischen Manufaktur und Selbstmanufaktur macht, weist auf eine Spannung hin, die sich durch die Popgeschichte zieht. Auf der einen Seite gibt es die Tradition der zusammengestellten Gruppe: Die Bewegungen sind choreografiert, die Mitglieder durchgestylt und in manchen Fällen an Showbiz-Internaten geschult worden, ähnlich dem Studio-System Hollywoods. Auf der anderen Seite findet man die Tradition von Popgruppen und -künstlern, die als unabhängige künstlerische Einheiten funktionieren, ihr eigenes Image genauso kontrollieren wie die Art und Weise, wie es verpackt und präsentiert wird und die auch die musikalische Ausrichtung selbst bestimmen.
In den 1960ern übernahmen in Großbritannien die künstlerisch unabhängigen Gruppen das Feld: Bands aus der Mittelschicht, die Ideen aus dem Umfeld der Art Schools nicht mehr abgeneigt waren und kein Interesse daran hatten, neu geformt oder umbenannt zu werden, wie es noch bei den ersten britischen Rock ’n’ Rollern der Fall war. Napier-Bell hatte seine Finger bei beiden Lagern im Spiel. Zuvor hatte er die Yardbirds gemanagt, eine wichtige Gruppe für den Übergang vom schrillen Pop zum um Seriosität bemühten Rock. John’s Children hingegen – sein anderer Hauptact – waren eine Mischung aus chaotischem Charisma und bewusst manufaktierter Provokation.
Wie viele Gruppen Anfang der 1960er spielten John’s Children auf ihren frühen Singles – »Smashed Blocked« und »Just What You Want – Just What You Get« – nicht einmal selbst. Dafür waren sie nicht gut genug. Die Aufnahmen für ihr Debütalbum verliefen derart schlecht, dass Napier-Bell sie nur retten konnte, indem er ein Fake-Live-Album daraus machte. Er zahlte ein kleines Vermögen (20.000 Pfund, sagt er) für die Schreie der Teeniemädchen vom Soundtrack des Beatles-Films Help! und verteilte sie auf die ganze LP, die nun den provokativen Titel Orgasm trug. Doch John’s Children schrieben fast alle ihre Songs selbst und besaßen ein natürliches Gespür für Chaos und Unsinn. Sie waren aber auch intelligent und charmant. Napier-Bells Rolle wandelte sich in eine beunruhigende Mischung aus Beeinflusser und Freund.
Sein folgenreichster Beitrag war die Entscheidung, Marc Bolan als Gitarrist und Hintergrundsänger in die Band aufzunehmen. John’s Children brauchten einen halbwegs brauchbaren Musiker und eine Dosis Songwriting-Talent, aber Napier-Bell glaubte auch, ihr Erfolg könne Bolans Solokarriere voranbringen. »Die Idee war, dass sich die Öffentlichkeit an Marcs komische, zitternde Stimme gewöhnen würde, wenn sie hinter Andy Ellisons Leadgesang steckte. Dass sie irgendwann einlenken würden.«
Heute werden John’s Children als »Freakbeat« geführt, ein Begriff, den es Mitte der 1960er noch nicht gab und der erst später von Plattensammlern erfunden wurde. Er bezieht sich auf Bands wie The Eyes oder The Creation, die sich in den ungestümen Grenzregionen zwischen Mod und Psychedelic bewegten. Ihr Vorbild waren The Who, deren Sound – weißer R&B, der von all den Amphetaminen so nervös wurde, dass er aus allen Nähten platzte – man als den ersten genuin englischen Beitrag zur Rockmusik sehen könnte, weil er deren Konzentration auf Tanz und Sehnsucht in Richtung sozialer und existenzieller Unruhe lenkte. Ihre Musik – Keith Moons wild um sich schlagende Beckenschläge und Trommelwirbel, die drastisch reduzierten, scharfen Powerchords Pete Townshends, John Entwistles überraschende Bass-Attacken – schürten eine Anspannung, die nach einer explosiven Entladung verlangte. Die bekam sie auch – wenn The Who auf den Höhepunkten ihrer Shows ihre Instrumente zertrümmerten.
John’s Children trieben das Live-Chaos von The Who noch weiter. Zum Soundtrack von heulendem Feedback, das ihre musikalische Unfähigkeit verdecken sollte, inszenierte die Band gespielte, aber überzeugend blutige Schlägereien zwischen den Bandmitgliedern. Ellison sprang dann von der Bühne und verwickelte das Publikum in den Streit, womit er die konfrontativen Auftritte eines Iggy Pop von den Stooges und Alan Vega von Suicide vorwegnahm.
Was John’s Children zur ultimativen Freakbeat-Band machte, war ihre ständig schwankende Mischung aus der Aggression der Mods und der Zartheit psychedelischer Musik. Wie Syd Barrett und Donovan sang auch Ellison so rein wie ein Chorjunge. Sein Gesang war dabei so übertrieben englisch, dass er geradezu verweichlicht wirkte. In Songs wie »Come and Play with Me in the Garden« blühten auch die Summer-of-Love-Themen Natur und Kindheit auf. Bei einem Fotoshooting ließ Napier-Bell John’s Children nackt in einem Feld posieren, ihre Geschlechtsteile von Pflanzen bedeckt.
»Wir sahen wirklich fast wie Engel aus«, erinnert sich Ellison, der damals blond und blass war. »Wir waren komplett in weiß gekleidet. Aber sobald man uns auf die Bühne ließ, wurden wir Monster. Man konnte nicht wissen, was wir abliefern würden. Wenn wir zu Gigs fuhren, pflückten wir Blumen aus den Gärten irgendwelcher Leute. Dann warfen wir sie auf die Bühne und sprangen auf ihnen herum. Es war das Gegenteil von Flower Power.«
Im Februar 1967 ging Ellison auf Napier-Bells Vorschlag ein und besuchte Marc Bolan in dessen Zuhause in Südlondon, um herauszufinden, ob sich mit ihm eine musikalische Beziehung aufbauen ließe. »Er saß im Schneidersitz auf dem Sofa und spielte mir diese seltsamen Stücke vor. Ich dachte mir: ›Auf keinen Fall wird der in unsere extrem wilde Band passen, zu unseren riesengroßen Verstärkern.‹« Bolans Akustik-Folk-Ausrichtung und das elektrische Feedback von John’s Children waren nicht die einzigen Gegensätze. Auch in ihrer Herkunft unterschieden sie sich beträchtlich. Ellison und Drummer Chris Townson kannten sich aus dem Internat, ein starker Kontrast zu Bolans Arbeiterklassewurzeln.
Dennoch bewies Bolan schnell, dass die Rechnung aufgehen könnte: Bei einer der ersten gemeinsamen Proben kreuzte er mit Schallabweisern auf, die er aus Alufolie gebastelt hatte und vor den gigantischen Verstärkern seiner Bandkollegen platzierte, um so das Feedback seiner Gitarre zu steuern. Kurz darauf steuerte er auch Songs bei, etwa die Klassiker »Desdemona« und »Midsummer Night’s Scene« sowie »Sarah Crazy Child« und »Go Go Girl«, zwei weitere Highlights im überschaubaren Repertoire der Band.
»Desdemona« ist einer dieser Songs aus den 1960ern, die die große Frage aufwerfen: Warum war das kein Hit? Der Refrain besteht aus der gewagten Zeile »Lift up your skirt and fly«, dazu drischt Townson auf seine Drums ein wie Keith Moon, im Hintergrund hört man Bolan die Backings blöken wie eine Ziege. »Midsummer Night’s Scene« zeichnet ein geradezu dionysisches Bild wie aus einem Fiebertraum von einem Park nach dem Sonnenuntergang: Hippiemädchen mit »von der Liebe entstellten«