doch bloß Ja gesagt! Ja! Ja! So schwer ist das doch nicht! Dann hätte meine Mutter mich halt umgebracht, na und? Was bedeutet schon der sichere Tod, wenn man vorher einen Abend mit Samuel verbringen kann?«
Lulu schniefte lautstark, und ich spürte, dass mir selbst ebenfalls ein Kloß im Hals steckte, der langsam, aber sicher unbedingt in Form von Tränen nach oben wollte. Was für ein Katastrophenabend war das? Definitiv der furchtbarste aller Geburtstage!
Der babyblaue Twingo hupte.
»Ach, verflucht!« Lulu schniefte wieder. »Hinterher ist man immer schlauer. Wenn ich das vorher gewusst hätte, dann hätte ich garantiert Ja gesagt! Manchmal wünschte ich, dass man die Zeit zurückdrehen könnte.«
»Und ich erst«, seufzte ich.
Sie nahm den Uhrenanhänger, der um ihren Hals baumelte, in die Hand und begann, mit dem Zeigefinger und großer Geste an den Zeigern zu drehen. Es war bühnenreif, typisch Lulu eben.
Der Twingo hupte zwei Mal.
»Komm, Süße, lass das.« Ich schluckte kräftig, um den Kloß im Hals loszuwerden. »Wir müssen los.«
Ich beugte mich zu meiner Freundin und nahm sie fest in den Arm. Immerhin hatten wir uns. Sollten die Jungs dieser Welt uns doch einfach gestohlen bleiben!
Und dann passierte es.
Es war nicht spektakulär. Es gab keine Blitze und es brach auch keine plötzliche Finsternis herein. Es gab kein Erdbeben, kein Donnern und Tosen, nicht mal einen klitzekleinen Schwindelanfall verursachte es. Es fühlte sich bloß wieder wie ein winziger Stromschlag an, als ob man nach dem Haarebürsten die Türklinke berührt, nur dass das Gefühl ganz kurz den gesamten Körper erfasste.
»Autsch«, sagte Lulu und stieß mich von sich weg. »Was war das denn?«
Da sahen wir es.
Zwischen uns hingen die beiden Ketten und verbanden sich in der Mitte, wo sich die zwei Hälften des Anhängers zu einer ganzen Kugel zusammengefügt hatten. Die Kugel vibrierte für den Bruchteil einer Sekunde, dann fielen die beiden Hälften wieder auseinander.
»Ups«, machte ich, als der Anhänger gegen meinen Brustkorb schlug.
Ich hörte den Twingo dreimal laut hupen, und als ich zum Schultor schaute, sah ich ihn davonbrausen.
5
»Achtung, die Schwerkraft ist heute wieder besonders heimtückisch«, hörte ich Sophie sagen, die mit den Doppel-Ds durch das Schultor trippelte. Wo kamen die denn plötzlich wieder her? Waren die beiden nicht gerade erst in Samuels Armen zur Privatparty des Jahres aufgebrochen? Und Sophie? Sollte meine wohlerzogene Stiefschwester sich nicht längst auf dem Heimweg befinden? Denn auch für Sophie galt eigentlich eine Ausgangssperre ab zweiundzwanzig Uhr.
»Um deine feinmotorischen Fähigkeiten würde dich jede Dampfwalze beneiden.« Mit hocherhobener Nase schritt Sophie an Lulu, mir und den verstreut auf dem Schulhof liegenden Törtchen vorbei. Die Doppel-Ds folgten ihr kichernd.
Lulu und mich ließen sie völlig verdattert zurück. Das war ja mal ein astreines Déjà-vu! Und meine Stiefschwester war sich nicht zu schade, nach allem, was an diesem Abend zwischen uns vorgefallen war, dieselben blöden Sprüche noch einmal zu machen.
Aber vielleicht halluzinierte ich auch. Womöglich hatte ich einen Zuckerschock von all den Törtchen erlitten, die ich im Laufe des Abends in mich hineingestopft hatte. Ich kniff die Augen fest zusammen und öffnete sie vorsichtig wieder. Alles sah noch genauso aus wie vorher. Die Törtchen, die überall auf dem Boden lagen, sowie Sophie und die Doppel-Ds, die hinüber zur Sporthalle stolzierten. Nur Lulu warf mir äußerst verwunderte Blicke zu.
Das war irgendwie alles ziemlich seltsam!
Und dann fiel mir auf, dass es in den letzten Minuten viel heller geworden zu sein schien. Der Himmel war den ganzen Tag über bedeckt gewesen, eher grau als blau. Doch gerade noch war die Dunkelheit hereingebrochen. Nun aber wirkte es, als hätte jemand den Dimmer wieder auf volle Leistung gedreht.
Das war wirklich sehr, sehr seltsam!
»Ich wusste gar nicht, dass wir statt einer Party ein Picknick veranstalten.« Samuel Micky Maus Sauermann lachte schallend.
»Im Ernst, Mädels, braucht ihr Hilfe?« Er hörte auf zu lachen und lächelte uns stattdessen breit an.
Lulu war sprachlos, was man von ihr in Samuels Gegenwart ja nicht anders kannte. Doch dieses Mal fehlten mir ebenfalls die Worte.
Exakt dasselbe hatte Samuel vorhin auch schon zu uns gesagt. Lange bevor er mit den Doppel-Ds im Arm verschwunden war. Wieso war er überhaupt plötzlich wieder hier? Und warum wiederholten sich heute alle? Das war so was von merkwürdig!
Samuel betrachtete uns irritiert, weil keine von uns beiden ihm antwortete. »Ich geh dann schon mal vor«, erklärte er schließlich und schlenderte ebenfalls Richtung Sporthalle davon.
»Was war das denn?«, stieß ich hervor, als Samuel sich außer Hörweite befand.
»Keine Ahnung.« Lulu guckte wie ein Fragezeichen.
»Wieso sagen alle genau das Gleiche wie vorhin?«
»Und wieso gehen alle rüber zur Sporthalle?«
»Und wieso ist deine Mutter wieder weggefahren?«
»Das ist alles sehr, sehr, sehr seltsam.«
»Seltsam ist gar kein Ausdruck.«
Ich schnappte mir wahllos eins der Sahnetörtchen vom Boden, klopfte grob den Dreck ab und biss hinein. Essen beruhigt bekanntlich die Nerven! Lulu machte den spitzesten Kussmund, den ich je bei ihr gesehen hatte. Und wir starrten beide verwundert zur Sporthalle, von wo die gedämpften Bässe der Band zu uns herüberwehten.
»Hast du auch das Gefühl, im falschen Film zu sein?«, fragte ich meine Freundin.
»Total«, erwiderte Lulu.
»Als hätte jemand alles auf Anfang zurückgespult«, überlegte ich laut.
»So ein bisschen wie in dem Murmeltier-Film, weißt du noch?«
Ich nickte bloß und biss erneut in das Törtchen. Wir hatten den Film vor einiger Zeit bei Lulu angesehen. Ich erinnerte mich nur noch, dass die Hauptfigur immer am Morgen desselben Tages aufgewacht war und dass ein Murmeltier das Wetter vorhersagen sollte.
»Aber das ist natürlich nicht möglich«, stellte Lulu fest. »Ich meine, das war ein Film, oder?«
Ich nickte wieder und schluckte den letzten Bissen vom Törtchen hinunter.
»Das war ein Film«, bestätigte ich. »Und außerdem sehe ich hier nirgends ein Murmeltier.«
Lulu lachte nicht über den schwachen Scherz. Und mir war auch kein bisschen nach Lachen zumute. Ich fand die ganze Situation sehr irritierend. Und beängstigend, um genau zu sein. Wie gesagt: Abenteuer sind nicht so mein Ding.
»Wahrscheinlich ist das alles nur ein Zufall«, erklärte ich deshalb mit mehr Überzeugung, als ich empfand. »Kann doch sein, dass Sophie was Wichtiges in der Sporthalle vergessen hat, und die Doppel-Ds begleiten sie, weil …«
»… sie auch was Wichtiges vergessen haben«, stimmte Lulu mir wenig überzeugt zu. »Und Samuel hat auch was Wichtiges vergessen. Dass er eigentlich mich zu seiner Party eingeladen hatte und nicht die Doppel-Ds, zum Beispiel.«
»Genau.« Ich nickte vehement.
»Klar. Und deshalb haben die Jungs von Echtzeit auch gerade wieder mit ihrem Sound-Check begonnen. Weil alle vergessen haben, dass sie vorhin schon gespielt haben«, bemerkte Lulu unverhohlen skeptisch.
»Keine Ahnung. Vielleicht wollen sie noch mal auftreten. Und deshalb ist Sophie auch zurückgegangen, um wieder Flöte zu spielen.« Erneut durchfuhr mich ein Stich der Eifersucht bei der Erinnerung daran. »Und sie hat die Doppel-Ds angerufen,