Katrin Lankers

Zurück auf Gestern


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uns alles gegenseitig von den Lippen abzulesen (was die anderen wahnsinnig gemacht und zu einigen witzigen Missverständnissen geführt hat). Solche Aktionen. Wir machen das am 28. eines jeden Monats, denn an einem 28. fing unsere Freundschaft an. Genauer gesagt am 28. Mai – der Tag, an dem wir beide Geburtstag haben!

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      Lulu kam mitten im Schuljahr neu in unsere Klasse, weil ihre Eltern sich getrennt hatten und ihre Mutter wegen ihres Jobs in die Stadt gezogen war. Bis dahin hatte ich mich zwar regelmäßig mit einigen Mädchen aus meiner Klasse getroffen, eine allerbeste Freundin hatte ich aber nicht. Inzwischen glaube ich, dass ich einfach auf Lulu gewartet habe. Sie faszinierte mich sofort. Mit ihren farbenfrohen, außergewöhnlichen Outfits und ihrem selbstbewussten Auftreten war sie ganz anders als all die anderen Mädchen. Natürlich hätte ich mich nie getraut, sie einfach anzusprechen. Doch dann stand sie eines Tages in der großen Pause vor mir.

      »Ich hab gehört, dass du heute in einer Woche Geburtstag hast«, sagte sie.

      Ich nickte und fragte mich, wo sie das aufgeschnappt haben mochte.

      »Ich auch«, fuhr sie fort. »Wollen wir zusammen feiern?«

      Ich konnte bloß wieder erstaunt nicken.

      Die Party zu meinem vierzehnten Geburtstag wurde dann die beste meines bisherigen Lebens.

      In unserem Garten hatte Lulus Mutter Marisa ein Buffet aufgebaut, auf dem sich fantastische Kuchen nach Rezepten aus ihrer Heimat Portugal stapelten. Etwas so Zuckerigleckeres hatte ich nicht mehr gegessen, seit meine Omili ausgezogen war, die mir zu meinen Kindergeburtstagen immer Regenbogentorten gebacken hatte. Da Sylvia, meine Stiefmutter, eine strenge Verfechterin gesunder Ernährung ist, hatte es auf meinen Geburtstagen seither immer nur Obstigel, Gurkenschlangen und Möhrenkuchen gegeben, die ohne ein einziges Gramm Zucker auskommen mussten. Ich schwebte also auf Kuchenwolke sieben.

      Allerdings schwebte ich dort nur so lange, bis mir ganz schrecklich schlecht wurde, weil ich sogar für meine Verhältnisse unvernünftige Mengen gegessen hatte. Und während draußen im Garten die Partyspiele losgingen, lag ich ganz allein drinnen auf dem Sofa und kämpfte gegen die Sahnetörtchen, die in meinem Bauch eine eigene Party veranstalteten. Doch plötzlich tauchte Lulu auf und ließ sich neben mich auf den Fußboden plumpsen.

      »Hey du«, sagte sie. »Die anderen spielen Wahrheit oder Pflicht, aber ich würde das viel lieber mit dir spielen.«

      »Ich glaube nicht, dass ich gerade in der Lage bin, irgendwelche Aufgaben zu erfüllen.« Ich grinste matt.

      »Egal, Wahrheit ist eh viel spannender.« Auch Lulu grinste. »Erzähl mir die peinlichste Situation deines Lebens.«

      »Du meinst, eine andere als diese hier?«

      Wir lachten beide. Und dann erzählten wir uns immer abwechselnd alle peinlichen Situationen, in die wir jemals geraten waren. Wir hatten so viel Spaß dabei, dass mir der Bauch am Ende nicht mehr vom Kuchen, sondern vom vielen Lachen wehtat. Und dabei vergaßen wir ganz, dass die eigentliche Party draußen stattfand.

      »Weißt du was?«, sagte Lulu irgendwann. »Ich hab das Gefühl, dich schon ewig zu kennen. Als wären wir schon immer befreundet. Verrückt, oder?«

      »Ziemlich verrückt«, erwiderte ich und mein Herz machte einen freudigen Hüpfer. »Aber mir geht’s genauso.«

      Seit diesem Tag sind Lulu und ich unzertrennlich. Mit Lulu befreundet zu sein, fühlt sich an, als hätte ich endlich mein fehlendes Puzzlestück gefunden. Wir sind wie Yin und Yang. Wie Aronal und Elmex. Wie Ben und Jerry’s. Wie … Ihr wisst, was ich meine!

      Langweilig war mein Leben also seit einem Jahr absolut nicht mehr. Mit Lulu zusammen erlebte ich eine ganze Menge spannender Sachen. Aber es waren allesamt normalspannende Sachen, die jedem beliebigen Teenager passieren könnten. Zumindest jedem, der eine so besondere Freundin wie Lulu hat.

      Man kann sagen, dass ich ein ganz normales Leben mit ganz normalen Problemen führte. Und dass ich damit mehr oder minder ganz zufrieden war. Zumindest war das so bis zu meinem – oder besser gesagt unserem – fünfzehnten Geburtstag.

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      »Hallo, Herzensmensch.« Ich drückte meine rechte Hand aufs Herz, hob die Finger an meine Lippen und warf Lulu einen Luftkuss zu. So wie wir es immer taten, wenn wir uns trafen. Lulu erwiderte die Begrüßung, wandte sich dann aber dem Spiegel zu.

      »Erinnere mich daran, nie wieder Rot zu kaufen!«, jammerte sie, während ich die Zimmertür schloss, und betrachtete sich missmutig in dem großen Spiegel neben ihrem Kleiderschrank. Durch eine schwindelerregende Drehung ihres Kopfes versuchte sie, einen Blick auf ihren eigenen Rücken zu erhaschen.

      »Hey, du bist keine Eule«, warnte ich sicherheitshalber.

      »Am Po sitzt das Teil überhaupt nicht«, ignorierte meine beste Freundin meine Warnung. »Guck dir mal diese Beulen an.« Sie zupfte an einer eingebildeten Falte am unteren Rücken herum. »Und diese Farbe! Darin sehe ich aus wie eine Scheibe Toastbrot!«

      Als ob Lulu mit ihren südländischen Genen jemals blass aussehen könnte! Das schaffte nicht einmal dieses zugegeben sehr knallrote und zudem ziemlich knallenge Minikleid, das sie vermutlich in einer stockdunklen Umkleidekabine anprobiert hatte. Eine andere Entschuldigung konnte es für diesen Missgriff eigentlich nicht geben.

      »Das ist der Fehlkauf des Jahrhunderts«, nörgelte meine Freundin. »Und jetzt habe ich nichts anzuziehen. Ausgerechnet heute!«

      Lulus Verzweiflung hatte einen einfachen Grund: Es war nicht nur unser Geburtstag, heute fand auch die große Schulparty statt. Mit einem abgrundtiefen Seufzen ließ sie sich neben den himalayahohen Kleiderberg auf ihr Bett fallen. Ich setzte mich zu ihr, sorgsam darauf bedacht, keins der Kleidungsstücke zu zerdrücken. Zwei der bunten Kissen, von denen sich mindestens zwanzig auf der Patchwork-Decke türmten, plumpsten auf den Boden.

      »Warum ziehst du nicht einfach eine Jeans an? Und ein schönes Shirt?«, schlug ich vor.

      »Weil das laaangweilig ist«, meckerte Lulu und hielt sich schnell die Hand vor den Mund, als ihr bewusst wurde, dass ich in genau diesem Outfit neben ihr saß.

      »Entschuldige, allerliebste Claire. Warum kann ich bloß nie nachdenken, bevor ich losquassele?«

      »Schon gut«, beschwichtigte ich sie.

      »Nein, wirklich, ich bin manchmal so ein Trampel«, beharrte meine Freundin zerknirscht. »Kannst du mir verzeihen?«

      »Immer wieder gern«, erwiderte ich.

      Lulu ist eine waschechte Drama-Queen! Und eigentlich finde ich das meistens liebenswert und amüsant.

      »Okay, vergessen wir die Klamottenfrage für einen Moment.« Lulu ist nicht nur eine Drama-Queen, sie wechselt auch schneller zwischen zwei Gemütszuständen hin und her, als ein normaler Mensch das Wort Gemütszustand aussprechen kann. »Es gibt doch wirklich Wichtigeres! Geschenke zum Beispiel.«

      Lulu sprang vom Bett und drei weitere Kissen gingen zu Boden. Ohne darauf zu achten, fing sie an, in ihrem Schreibtisch herumzuwühlen, wobei sie fortwährend Wo ist es denn nur? murmelte. Lulu hat viele besondere Talente. Sie ist witzig und nie lange schlecht drauf, sie kann bühnenreif tanzen und sich mit dem dicken Zeh hinterm Ohr kratzen. Sie schafft es, in nur fünf Minuten einen Schokokuchen in der Mikrowelle zu backen, in den man sich reinlegen möchte. Und sie ist immer, wirklich immer, für mich da.

      Ordnung zu halten, zählt allerdings nicht zu Lulus Stärken. Zum Glück besitzen ihre Sachen die Fähigkeit, an den erstaunlichsten Orten von selbst wieder aufzutauchen. Ihr Haustürschlüssel zum Beispiel, den wir einen ganzen Nachmittag lang gesucht hatten, lag unbekümmert in ihrer Sockenschublade, die Lulu eigentlich nur öffnete, weil sie ihre Lieblingsohrringe darin vermutete, die sie völlig überraschend drei Tage später im Vorratsschrank hinter den Schoko-Pops entdeckte, wo sie eigentlich ihr Hausaufgabenheft zu finden hoffte, das