darin, zu raten, was die Menschen wollen.«
»Wie geht es dir und Autum?«, erkundigte sich Rhodan. Die Trennung von seiner Frau hatte Bull noch immer schwer zugesetzt gehabt, als sie sich zuletzt gesehen hatten.
Zu seiner Überraschung strahlte Bull. »Bestens! Ich habe deinen Rat befolgt und sie angerufen.«
»Und sie hat abgenommen?«
»Mehr als einmal. Es ist anders als früher – ich weiß noch nicht, was das ist, was wir da haben ... Aber es fühlt sich gut an.«
»Das freut mich. Komm, lass uns einen Kaffee trinken.«
Sie spazierten zu einem der zahlreichen kleinen Cafés, die sich überall in Government Garden verteilten. Obwohl der Park für die Öffentlichkeit zugänglich war, herrschte eine hohe Sicherheitsstufe. Automatische Systeme und unauffälliges Personal sorgten dafür, dass niemand auf den Gedanken kam, jemanden zu belästigen oder gar ein Attentat zu verüben. Unter den Gästen in den Restaurants und Bars fanden sich zu jeder Zeit zahlreiche Rats- und Regierungsmitglieder. Von daher fühlten sich Rhodan und Bull unter sich – es gab nicht viele Lokalitäten, in denen sie ungezwungen verkehren konnten.
Sie nahmen an einem der Tische im Freien Platz und bestellten. Dann brachte ihn Bull weiter auf den Stand der Dinge. »Imperator Mascudar hat seinen Antrittsbesuch verschoben, nachdem er hörte, dass ihr nicht verfügbar sein würdet. Aber er hat einen hohen Beamten geschickt, und Thoras Stellvertreter, dieser Kitrina, hat seine Sache recht ordentlich gemacht. Es gab Feierlichkeiten und ein paar Pressetermine, und die diplomatischen Beziehungen werden weiter ausgebaut.«
Rhodan nickte. »Thora hat schon so etwas erwähnt.« Das Verhältnis der Terranischen Union zum Großen Imperium der Arkoniden war ebenso essenziell wie kompliziert, und Atlans Vater auf dem Kristallthron mochte sich noch als gefährlicher Gegenspieler erweisen – Verbündeter oder nicht. Rhodan hatte sich mit seiner Frau darüber ausgetauscht, ehe sie zu einem Besuch bei ihrer Tochter nach Olymp aufgebrochen war.
»Dann ist da natürlich noch die Sache mit Imart«, fuhr Bull fort und nahm dankend seinen Espresso entgegen. Aufgrund seines Zellaktivators hatte der Protektor keine Augenringe und empfand genau wie Rhodan keine Schwäche, nur weil er ein paar Nächte schlecht geschlafen hatte.
Allerdings bestand jederzeit die Gefahr, dass der Aktivator schlappmachte. Und Rhodan kannte Bull lange genug, um die Zeichen zu deuten: der gesenkte Blick, die nervöse Geste, mit der Bull den Zuckerwürfel in den Espresso schnippte ... Die Krise der Solaren Union machte ihnen allen zu schaffen. Die Union verkörperte die Vision, die sie beide verfolgt hatten, seit sie damals auf dem Mond über das arkonidische Raumschiff gestolpert waren, das ihrer aller Leben verändert hatte.
»Seit Imart vorigen Monat die Mitgliedschaft in der Terranischen Union auf Eis gelegt hat, wurde im Rat eigentlich nur noch gestritten«, erzählte Bull. »Imarts Vertreter werfen uns vor, sie verkauft und verraten zu haben. Die Embolischen Wellen seien die Schuld der Kolonialbehörde und des Variable Genome Project, und wir hätten die Siedler als lebende Versuchskaninchen missbraucht. Der Chinesische Block steigt voll auf diese Argumentation ein.«
Letzteres wunderte Rhodan nicht sonderlich. Seit dem tragischen Verlust seiner eigenen Kolonien ließ der Block keine Gelegenheit aus, die Kolonien der Terranischen Union als unterdrückte und geknechtete Planeten darzustellen, die von Terrania mit eiserner Hand bei der Stange gehalten wurden.
»Aber die Hilfen für Imart laufen noch?«, vergewisserte sich Rhodan.
»Selbstverständlich«, sagte Bull. »Darauf sind die Imarter nach wie vor angewiesen, und das schmeckt ihnen kein bisschen. Vielen Ratsmitgliedern wiederum stinkt das Verhalten Imarts allmählich. Nicht dazugehören wollen, aber die Hand aufhalten – das empfinden sie als undankbar. Ich glaube, auch der alte Ngata verliert langsam die Geduld. Shalmon Dabrifa ist einer der Wenigen, die sich noch Mühe geben und dem man auch zuhört.«
Rhodan rührte gedankenvoll in seinem Kaffee. Es war nicht das erste Mal, dass der junge Israeli sich auf der politischen Bühne hervortat. Rhodan verfolgte seinen Werdegang nun schon eine Weile und war sich immer noch nicht sicher, was er von Dabrifa halten sollte.
»Ach, und wenn du Präsident Ngata in die Luft gehen sehen willst, musst mal mit ihm über Oxtorne reden«, versuchte Bull zu scherzen. »Er war ja nie ein großer Freund von NATHAN, aber das ... ja, das ...«
Rhodan konnte gut verstehen, dass seinem Freund die Worte fehlten. Dass die lunare Hyperinpotronik im Geheimen eine neunte Kolonie gegründet, ausgestattet, finanziert und ihre Bewohner genetisch an die extremen Umweltbedingungen angepasst hatte ... Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte: Selbst wenn man NATHAN die besten Absichten unterstellte, war es ein Skandal unfassbaren Ausmaßes, politisch, ethisch und wirtschaftlich.
Schon am Beispiel Cyboras hatte sich gezeigt, dass NATHAN lieber hinterher um Entschuldigung bat, als vorher um Erlaubnis zu fragen. Aber Oxtorne erweckte den Eindruck, als wäre die Union nur ein Witz für ihn. Das Medienecho war noch immer gewaltig. Wieder einmal fühlte es sich an, als hätte die Menschheit die Kontrolle über ihre eigene Zukunft verloren.
»Wäre es nicht NATHAN, würde ich ja sagen, lass uns mit ihm reden«, kommentierte Rhodan.
»Wäre es nicht NATHAN, würde ich ja sagen, ein Nachthimmel ohne Mond wäre vielleicht das geringere Übel«, erwiderte Bull.
»Bitte sag mir Bescheid, bevor du die Flotte schickst.«
Bull lachte. »Keine Sorge, noch reden wir. Das heißt, Michelsen und ihre Leute reden. NATHAN schickt eigentlich nur noch Goslin vor. Ich glaube, weil er weiß, wie sehr das Michelsen ärgert.«
Rhodan konnte es der Administratorin nicht verübeln. Er erinnerte sich noch gut an Jeremiah Goslin, den als »Totengräber« bekannten Staranwalt mit seiner Melone, der schon mehrfach als NATHANS – und Rhodans – Verteidiger aufgetreten war. Vielleicht waren es Typen wie Goslin oder Leibnitz, NATHANS Liebe zum Skurrilen, die Rhodan seinen Glauben an die guten Absichten der Hyperinpotronik noch nicht ganz verlieren ließ.
Rhodans Blick wanderte über die Nachbartische. Regierungsmitarbeiter in der Mittagspause, Besucher mit ihren Familien, Diplomaten aus anderen Sternsystemen. Er erkannte Koordinator Baatar und seine Lebensgefährtin, beide – der blauhäutige Ferrone wie die erdgeborene Frau – in traditioneller mongolischer Seidentracht. Es war ein Bild des Friedens und gleichzeitig eine Erinnerung daran, wie viel sie zu verlieren hatten.
»Wir müssen noch über etwas anderes reden«, sagte Rhodan ernst. »NATHAN hat sich mit den Kolonien nicht bloß eine Spielwiese gebaut. Er verfolgt noch weitere Ziele mit den neun Welten.«
»Warum weiß ich, dass mir nicht gefallen wird, was du gleich sagst?«, beschwerte sich Bull.
Rhodan legte sein kleines Privatsphäregerät auf den Tisch und aktivierte ein Dämpfungsfeld, das es einem etwaigen Zuhörer unmöglich machen würde, sie abzuhören. Er bedauerte, dass dies selbst in Government Garden notwendig war.
»Nathalie hat mich gewarnt, dass es noch ein anderes, größeres Nonagon gibt. So groß wie ... Planeten. Errichtet von den Loowern. Ähnlich wie später die Memeter ihre Sonnentransmitter erbauten ...«
Bull stöhnte. »Du meinst ...«
»Es scheint, dass NATHAN die von New Frontiers besiedelten Welten absichtlich aussuchte, weil sie Teil dieses riesigen Nonagons sind.«
»Dieser Bastard!«, murmelte Bull, und es klang fast wie ein Kompliment. »Sind diese Anlagen identisch mit den Planetenmaschinen? Wie der Installation auf Siga?«
Sie wussten – ebenfalls von Nathalie –, dass die mythischen Vorläufer mit ihren sogenannten Fovea- oder Grubenwelten die Voraussetzungen zum Bau der memetischen Sonnentransmitter geschaffen hatten. Diese Transmitter wiederum hatten die Menschen – und NATHAN – in jene Systeme gelockt, um dort ihre Kolonien zu errichten. So hatte jede Zivilisation die Geheimnisse der vorherigen geerbt.
»Es muss so sein«, bestätigte Rhodan. »Nur das Wie und Warum ist mir noch nicht bis ins Letzte klar. Die Vorläufer schufen