dem Blick auf all die vielen neuen und alten Herausforderungen manifestiert sich das Bewusstsein darüber, dass es nun einmal vorhersehbarere und unvorhersehbarere Anteile der Zukunft – mit allen Übergängen dazwischen – gibt. Die COVID-19-Pandemie ist ein Beispiel dafür, dass das, womit sich der Mensch auseinandersetzen muss, wofür Lösungen gebraucht werden, nicht immer einfach in zwei Zukünfte, eine vorhersehbare und eine unvorhersehbare, unterteilt werden kann. So klar es ist, dass Pandemien immer wieder kommen können, so unvorhersehbar ist es, welcher Erreger wann, wie und mit welchem Ausmaß die Welt heimsuchen wird. Für so manche bereits gut bekannte Herausforderungen der Menschheit ist es schon fünf vor zwölf. Und es kommen aber mit Sicherheit demnächst andere, heute noch gar nicht bekannte Problemstellungen dazu. Konsequenterweise ergibt sich die Frage, ob die Zukunft heute vorhersehbarer ist, als sie das früher einmal war, oder ob sie weniger vorhersehbar geworden ist. Wird die Zukunft in Zeiten digitaler Revolution und Industrie 4.0, durch globale Vernetzung, nahezu uneingeschränkte Daten- und Informationsverfügbarkeit, Big Data, Predictive Analytics, das Auswerten digitaler Fußabdrücke in sozialen Netzwerken, Internet of Things und künstliche Intelligenz immer kalkulierbarer? Oder zeigen uns überraschende Wahlergebnisse, exzentrische Politikerpersönlichkeiten, Finanzkrisen, gesellschaftliche Transformationsprozesse, Fukushima, 9/11, durch Klimawandel ausgelöste, extreme Wetterereignisse oder Virus-Pandemien immer öfter, wie VUKA (volatil, unsicher, komplex und ambivalent) die Welt geworden ist? Die einen argumentieren, dass in unserer heutigen digitalisierten Datenwelt der einzelne Mensch, Kommunen, Staaten und Unternehmen so transparent, durchschaubar und »gläsern« sind wie noch nie in der Geschichte unseres Planeten. Die anderen wiederum sprechen schon immer öfter vom völligen Verlust der Vorhersehbarkeit.
Globale Einigkeit scheint aber darüber zu bestehen, dass Ausmaß und Geschwindigkeit der Veränderung enorm zugenommen haben. Das Ende der Linearität, exponentieller Wandel und permanent zunehmende Beschleunigung scheinen dazu zu führen, dass jeder täglich immer mehr vorhersehbare Dinge zu erledigen hat, aber sich auch immer öfter und immer mehr mit unvorhergesehenen Entwicklungen und Ereignissen konfrontiert sieht. Es scheint fast so, als würden in unserer schnelllebigen Welt sowohl vorhersehbare als auch unbekannte Fragestellungen immer öfter und immer schneller in unserem privaten und beruflichen Alltag aufschlagen. Das schafft für die Zukunft der Gegenwart natürlich Chancen, schürt aber auch Ängste.
Wir haben so viel erreicht! Die Welt ist so viel besser geworden! Ja, es gibt noch sehr viele ungelöste Probleme, und es kommen, oft vom Menschen selbst verschuldet, auch stetig neue dazu. Wir müssen also dranbleiben. In Anbetracht der vielen über die Medien permanent zeitgleich in jedes Wohnzimmer transportierten, globalen und lokalen Problemstellungen darf es aber nicht verwundern, dass Menschen sich und ihren Talenten immer öfter die Lösungen dafür nicht mehr zutrauen. Und unweigerlich taucht die Frage auf: »Was würde mein Beitrag schon daran ändern?« Dann nehmen politischer Frust, die Ablehnung jeglicher Andersdenkender, die Flucht in eine ausschließlich anonymisierte Beteiligung, psychische Überbelastungssyndrome und Ängste aller Art logischerweise zu. Und schon steckt man in der Mitmachkrise. Irgendwie scheint die weithin bekannte und kontinuierlich erfahrbare Tatsache, dass das Unergründbare dem Menschen mehr Angst macht als das Vorhersehbare, ja auch nachvollziehbar. Auf vorhersagbare Trends und Ereignisse kann man sich einstellen, man kann sich gerichtet auf die Fragen, die sich dabei ergeben, vorbereiten und dann die daraus abgeleiteten Leitlinien immer wieder bei solchen oder ähnlichen Situationen zum Einsatz bringen. Die Auffassung, das Unvorhersehbare entziehe sich vollkommen der Planbarkeit und man könne sich darauf nicht vorbereiten, hat sich aber ohne großen Widerspruch mehr oder weniger schleichend in die Liste der Begründungen für Untätigkeit eingereiht. Innere Widerstände gegen die Beschäftigung mit der Unvorhersehbarkeit, mit dem Unbekannten, basieren in Wirklichkeit oft auf einer übertriebenen Angst vor Kontrollverlust. Hier gilt es für das an sich vernunftbegabte Wesen Mensch, ein Konzept bereitzustellen, seine genetisch mitbestimmten evolutiv Jahrtausende alten Ängste zu überwinden. Die Vernunft weiß bereits, dass viele dieser instinktiven Ängste in unserer Zeit nicht nur ihren Nutzen verloren haben, sondern uns immer öfter einfach nur im Weg stehen. Aber für das tief verwurzelte, verinnerlichte Gefühl der Angst braucht es genauso wirkungsvolle Gegenmittel wie etwa für das Gefühl der Hilflosigkeit.
Natürlich spielen Gene bei der Entstehung von Gefühlen und dem Verhalten eine Rolle. Aber der Mensch ist bei all diesen Aspekten nicht auf seine Gene reduzierbar. Er ist das Produkt der Wechselwirkung von Genetik und Umwelt. Und die aktuellen Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Epigenetik, die die Brücke zwischen sozialen und biologischen Effekten schlägt, weisen darauf hin, dass der Mensch sein Leben und sein Verhalten, und gewissermaßen auch das seiner Nachkommen, noch mehr als früher angenommen, selbst in der Hand hat. Es ist richtig, dass die wissenschaftlichen Entwicklungen, die technologischen Möglichkeiten zur Veränderung von Genen betreffend, in den letzten Jahren große Schritte gemacht haben. Aber die Utopie, dass sehr bald durch Genoptimierung ein immer glücklicherer und viel leistungsstärkerer Mensch kreiert werden kann, der Lösungen für alle Probleme der Menschheit aus dem Ärmel schütteln wird, entbehrt zum aktuellen Stand der Forschung jeglicher ernsthaften wissenschaftlichen Grundlage. Wir müssen also wirklich dranbleiben. Aber wir können es ja auch.
»Ich kann, weil ich will, was ich muss.« (Immanuel Kant)
Ob im Kleinen oder im Großen, für die Lösung eines ganz bestimmten Problems bedarf es zuerst einmal des Erwerbes des dafür entsprechenden Wissens und des Aneignens der dafür spezifisch relevanten Kompetenzen. Das allein führt aber noch nicht zu einer neuen Idee oder einer kreativen Lösung. Dafür muss der wissende Mensch neue Wege beschreiten, motiviert Extra Miles gehen und schließlich auch entsprechend handeln. Die Voraussetzungen dafür entstehen allerdings immer nur dann, wenn das wichtigste angeborene und genetisch mitbestimmte Potenzial des Menschen – seine Lösungsbegabung – entwickelt und laufend abgerufen werden kann. Lösungsbegabung setzt sich aus vielen, auch genetischen Komponenten zusammen, die nichts wert sind, wenn wir sie nicht durch die entsprechende Umwelt zur Entfaltung bringen und im Team anwenden. Der Mensch ist einerseits das wohl lösungsbegabteste Wesen des Planeten und andererseits die alternativlose Chance auf dem Weg in eine erfolgreiche, humane, lebensbejahende Zukunft. Wie kann es also gelingen, bei uns und unseren Kindern das zum Erblühen zu bringen, was die Menschheit im Innersten zusammenhält: das mutige, kreative und kooperative Sich-Einbringen jedes Einzelnen?
Für das uneingeschränkte Erblühen der Lösungsbegabung braucht es in Zukunft eine neue Gegenwart. Es braucht eine neue duale Gegenwartskompetenz mit der Bereitschaft, sich permanent gleichzeitig mit bereits voraussagbaren, aber auch mit noch unvorhersehbaren zukünftigen Fragestellungen zu beschäftigen. Sowohl gerichtete, also fokussierte, orientierte, zielstrebige Strategien als auch ungerichtete, also flexible, ergebnisoffene Strategien sollen dabei laufend parallel zur Anwendung kommen. Das richtige Mischungsverhältnis dieser beiden Vorgehensweisen immerzu an sich ändernden Rahmenbedingungen zu reiben und dadurch zu optimieren, ist eine unverzichtbare Komponente einer von individuellem mutigem Einsatz geprägten, zukunftsorientierten Gegenwart. Erst aus der Umsetzung solch eines dualen Ansatzes entstehen die fünf Fundamente für die Entfaltung der Lösungsbegabung: 1) Mut aus Sicherheit, 2) die gegenseitig beflügelnde Wechselwirkung der Instrumente gerichteter und ungerichteter Strategien, 3) das Fördern von Schnittstellen zwischen verschiedenen Disziplinen und Kulturen, 4) ein gesteigerter Kreativitätsprozess und 5) das Aufrechterhalten der Chancen für Serendipität, also auch etwas finden zu können, was man nicht gesucht hat. Solch ein Konzept soll Einzug halten in der Bildung, im Talent- und Personalmanagement, in Wissenschaft und Forschung, der Politik, der Arbeitswelt und unserem Privatleben. Das Ziel ist, dass jeder Einzelne seine Lösungsbegabung entfalten kann und sich damit kooperativ für Lösungen aktueller Problemstellungen einbringen kann.
1)Es braucht Mut, sich durch gerichtete Konzeptplanung auf zwar vorhersagbare, aber eben noch nicht gelöste Fragen der Zukunft vorzubereiten. Und es braucht noch viel mehr Mut, sich auf das Unbekannte vorzubereiten. Wenn ich weiß, was kommt, bereite ich mich gewissenhaft und zielgerichtet darauf vor, um dadurch eine sehr wahrscheinliche und realistische Chance auf Erfolg zu nutzen. Das schafft Sicherheit und dadurch gleichzeitig die Basis für den Mut und die Risikobereitschaft, auch den bisher bewährten Weg immer wieder einmal in andere Richtungen zu verlassen. Für das Unvorhersehbare muss ich in