Группа авторов

Herzstück Musizieren


Скачать книгу

Plenumsbezug werden ergänzt durch zwei Inszenierungsmuster, die Einzel- und Gruppenbetreuung stärker verbinden, allerdings in sehr unterschiedlichen Formaten, die man als konsekutiv und integrativ bezeichnen könnte.

      Im Muster des Ritualisierten Wechsels von Plenumsbezug und Einzelbetreuung (Inszenierungsmuster 3) entsteht die Verbindung konsekutiv in der kurzfristigen Abfolge von Gruppenbetreuung und Einzelbetreuung. Auf Phasen des gemeinsamen Spiels eines musikalischen Abschnitts folgen jeweils sehr kurze Einzelspielphasen der Schülerinnen und Schüler mit der gleichen Passage, meist in derselben Reihenfolge und gegebenenfalls mit kurzer, individueller Rückmeldung des Lehrenden.

      Fachdidaktisch besonders interessant sind die Unterrichtsszenen, in denen der Beschäftigungsradius der Gruppe aufrechterhalten wird und gleichzeitig eine Einzelbetreuung stattfindet (Inszenierungsmuster 4). Den Begriff Beschäftigungsradius nutzt Jacob Kounin als Beobachtungskategorie zur „Charakterisierung des Unterrichtsaufbaus im Hinblick darauf, wie stark sich die Gruppenmitglieder an den Aktivitäten beteiligen müssen“ (Kounin 2006, 120). Entsprechend den oben genannten Kategorien gilt die Zuwendung der Lehrkraft sowohl der Gruppe als auch speziell einem einzelnen Schüler und alle Gruppenmitglieder sind involviert. Während die Lehrerin oder der Lehrer sich individuell einem einzelnen Kind widmet, sollen die anderen Kinder zum Beispiel

      ■ zuhören und Töne erraten,

      ■ sich gegenseitig beobachten, um anschließend untereinander Feedback zu geben,

      ■ stumm auf dem Instrument mitspielen oder

      ■ das solistische Spiel eines einzelnen Schülers begleiten, der aktuell im Fokus der Zuwendung steht: Eine Cello-Lehrerin wendet sich z. B. jeweils nacheinander einem einzelnen Kind zu, unterstützt es bei der Bogenführung und gibt individuelle Hilfestellungen, leitet gleichzeitig die anderen dabei an, im Pizzicato das Streichen auf der leeren Saite zu begleiten (vgl. Kranefeld et al. 2015). Dies sind Beispiele für Versuche von Lehrenden, die Einzelbetreuung und die Aufmerksamkeit für die Gruppe integrativ zu verbinden.

      Bei den beschriebenen Inszenierungsmustern handelt es sich zunächst lediglich um „beobachtbare Oberflächenstrukturen“ (Hugener 2008, 93) von Unterricht, die per se keine Auskunft über die Qualität des Unterrichts geben, sondern zunächst jenseits normativer Bewertung dazu dienen können, Handlungsmuster von Lehrenden systematisch zu beschreiben und zu unterscheiden.

      Diese können anschließend unter unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden, etwa auch in Bezug auf Merkmale guten Unterrichts, wie sie die Unterrichtsqualitätsforschung diskutiert, etwa die Frage nach dem Anteil aktiver Lernzeit6 an der Unterrichtszeit: Wird etwa ein Sequenzieller Einzelunterricht konsequent und ausschließlich durchgeführt, so werden die Kinder in der Regel nacheinander „instruiert“, die übrigen Kinder sind in der Zeit unbeschäftigt und es entsteht für sie die Situation, die Kounin als „untätiges Warten“ (Kounin 2006, 124) und Lohrmann als „ungenutzte Lernzeit“ (Lohrmann 2008, 97) beschrieben haben und die dort als Ursache für Störungen bzw. für Langeweile assoziiert wird. Bei einem so ausgerichteten JeKi-Unterricht wird dann die steigende Gruppengröße unweigerlich zum Problem, das Unbeschäftigtsein der Kinder wird durch die Anzahl der Einzelbetreuungsphasen vervielfacht. Gerade der Anteil aktiver Lernzeit wird aber in der empirischen Unterrichtsforschung als „wichtigste Voraussetzung für wirkungsvolles und erfolgreiches Lernen“ (Weinert 1996, 124) angesehen. Anders verhält es sich beim Inszenierungsmuster 4, bei dem durch die Aufrechterhaltung eines Gruppen-Fokus (Kounin 2006) ein hoher Anteil aktiver Lernzeit für alle Kinder in der Stunde entsteht.

      Keine der von uns beobachteten Lehrpersonen hat ausschließlich ein einziges Inszenierungsmuster genutzt, dennoch ließ sich bei den meisten Lehrkräften eine Bevorzugung eines dieser Inszenierungsmuster konstatieren, die bei der oben beschriebenen Überbetonung zu charakteristischen Problemstellen führen kann. Dies gilt ebenso für die konsekutive Verknüpfung von Einzelzuwendung und Plenumsphasen, wenn – wie in einem beobachteten Fall – der ritualisierte Wechsel zum bestimmenden Muster einer gesamten Unterrichtsstunde wird und die Abläufe für die Schülerinnen und Schüler somit monoton und vorhersehbar werden und damit wenig Überraschungen oder Abwechslung bieten.

      Neben dem Aspekt einer aktiven Lernzeit kann man die unterschiedlichen Inszenierungsmuster auch vor dem Hintergrund eines anderen häufig genannten Merkmals guten Unterrichts diskutieren, etwa unter dem Aspekt des angemessenen Umgangs mit Differenz. Bestimmte Formate des instrumentalen Gruppenunterrichts können ein grundsätzliches Dilemma sichtbar machen: Sobald individuelle Rückmeldungen vor dem Plenum der Gruppe (als Publikum) stattfinden, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, Kinder (auch unabsichtlich) zu exponieren, insbesondere wenn sie in der musikalischen Aktivität isoliert werden, indem sie noch einmal gesondert vorspielen müssen.7 So könnte etwa ein Ausschließlicher Plenumsbezug wie im Inszenierungsmuster 1 dazu beitragen, kein Gruppenmitglied besonders hervorzuheben oder den anderen Gruppenmitgliedern gegenüber zu exponieren. Im integrativen Inszenierungsmuster 4 wird die Exposition,8 die durch die Zuwendung zum Einzelnen entstehen könnte, abgemildert, weil die anderen Kinder ebenfalls in die musikalische Aktivität involviert sind. So wird eine „Isolierung in der musikalischen Aktivität“, die Kerstin Heberle und Ulrike Kranefeld (2012 b) als einen möglichen Beitrag zur Exposition von Schülerinnen und Schülern in der Gruppe identifiziert haben, vermieden: Die übrigen Kinder bleiben nicht unbeteiligte Zuschauer, sondern Akteure im gemeinsamen Spiel.

       Unterricht als Gestaltungsraum für Lehrende

      Die Rekonstruktion von Inszenierungsmustern auf der Ebene von Oberflächenstrukturen fokussiert in der Tradition der empirischen Unterrichtsforschung fast ausschließlich das Lehrerhandeln. Unterricht wird hier also durch den spezifischen Forschungszugriff als Gestaltungsraum der Lehrenden gedeutet, um ihre Inszenierungsmuster systematisch zu erfassen. Dass durch die ausschließliche Fokussierung auf die Lehrerrolle automatisch wichtige Phänomene, die sich innerhalb der Interaktion der beteiligten Akteure vollziehen, ausgeblendet werden, zeigt zum Beispiel Peter Röbkes Idealbild einer musikalischen Praxisgemeinschaft, in der Lernimpulse nicht unweigerlich nur von der Lehrkraft ausgehen: „Wissen und Können zirkulieren unter allen Beteiligten. Lehrer- und Schülerrollen bilden sich vielleicht für den Moment heraus, lösen sich auf, bilden sich wieder neu.“ (Röbke 2010, 49)

      Inwieweit man solche Interaktionsprozesse als wesentlichen Bestandteil der Praxis rekonstruieren kann, zeigt die folgende Perspektive.

       2. Individuell fördern

      Die hier vorgestellte zweite Perspektive auf den instrumentalen Gruppenunterricht richtet sich auf die individuelle Förderung in der Gruppensituation und die damit verbundene Frage zum Verhältnis von individueller Rückmeldung bei Fehlern und der möglichen Gefahr einer negativen Exposition. Zu bedenken ist dabei, dass der instrumentale Gruppenunterricht etwa im Vergleich zum Klassenunterricht in der allgemeinbildenden Schule wie kaum ein anderes Unterrichtssetting Leistungsdifferenzen präsent werden lässt, weil sie für alle hörbar werden (Heberle und Kranefeld 2014).

      An einer Unterrichtssequenz soll im Folgenden gezeigt werden, wie ein Lehrender versucht, die Gefahr einer Exposition zu umgehen, und wie sich die damit verbundene Aushandlung von Differenz in einem Gruppenprozess vollziehen kann. Im Gegensatz zum Vorherigen wird nun aber nicht die Oberflächenstruktur des Unterrichts betrachtet, sondern die Interaktion der beteiligten Akteure als Tiefenstruktur des Unterrichts in den Blick genommen.

       Zum Kontext der Situation

      Es handelt sich um den instrumentalen Gruppenunterricht Gitarre in einer 2. Klasse in einer Grundschule im Ruhrgebiet. Die Kinder (drei Jungen und zwei Mädchen) haben erst vor wenigen Wochen mit dem Gitarrenspiel begonnen. Zu Beginn der Stunde initiiert der Lehrer eine Übung in der Gruppe: Er weist jedem Kind einen unterschiedlichen Ton einer Skala zu und demonstriert, wie dieser zu greifen ist. Jeder Schüler und jede Schülerin ist also für einen der Töne verantwortlich, die nun „wie in einer Kette“ aneinandergereiht werden sollen. Der erste Schüler