unterbrach mit einem Schnauben. »Es ist mir natürlich klar, dass ich mit meinem Beruf nicht das klassische Rollenbild erfülle, das du für mich vorgesehen hast. Aber stell dir vor, ich bin hier, weil ich meinen Job gut mache und …«
»Emma, so war das doch nicht gemeint, Kind, ich …«
»Mama, ich werde jetzt nicht mit dir meinen Lebensentwurf diskutieren. Uns dreien geht es gut und damit ist dieses Gespräch beendet!« Emma pfefferte ihr Telefon zurück in ihre Handtasche.
Vor nicht allzu langer Zeit hätte sie »uns beiden geht es gut« gesagt. Etwas mehr als ein Jahr war es jetzt her, dass sie das erste Mal die Leitung einer Mordkommission übernahm. Damals hatte sie sich von Andreas scheiden lassen wollen. Doch dieser ermordete Gynäkologe und die Suche nach seinem Mörder hatten sie wieder zusammengeführt. Doch erst, als Andreas zusammengeschlagen im Koma lag, wurde ihr das bewusst. Er hatte versucht, allein und auf eigene Faust den Täter zu stellen. Denn er hatte nichts mit dem Fall zu tun, da er ja Dienstgruppenleiter in Bodenwerder war. Er hatte aus Liebe gehandelt - und das hatte ihm fast das Leben gekostet.
Sie seufzte. Zeit, diese Erinnerungen abzuschütteln.
Andreas, Montag,
achtzehnter Juni
Andreas hatte schon die Lebensmittel zurechtgelegt, die es zum Abendessen geben sollte, als er Emmas Schlüssel im Schloss hörte. Während er das Gemüse wusch, hörte er, dass sie sich die Hände wusch und mit Anna redete. Dann kam sie zu ihm in die Küche und begann, mit ihm das Gemüse zu schnippeln.
»Hat Anna ihre Hausaufgaben gemacht?«, fragte sie, während er sich ganz auf die Möhre in seiner Hand konzentrierte, die geschält und geviertelt werden wollte.
Andreas nickte. »Ja.«
»Und, wie war dein Tag noch so - abgesehen von der Leiche auf dem Campingplatz?«, fragte Emma, nachdem sie eine Weile schweigend geschnippelt hatten.
»Ich kann dich beruhigen: ziemlich langweilig. Bis auf die Leiche im Keller bei den Klenkemeyers. Sprichwörtlich, natürlich. Er hat sie schon länger betrogen und heute Morgen hat sie es vermutlich herausgefunden. Ich denke, ich spreche mal mit dieser Damenbekanntschaft. Er sagt zwar, dass sie mit dem Verschwinden seiner Frau nichts zu tun haben kann, aber davon würde ich mich gerne selbst überzeugen.«
»Ach ja, die Campingplatz-Nachbarin von Frau Merker, die verschwunden ist. Du hattest angerufen. Sie könnte etwas wissen, was zur Aufklärung des Todesfalles beiträgt. Könnte sie dem Täter oder der Täterin begegnet sein? Wenn wir davon ausgehen, dass es sich um einen Tötungsdelikt handelt?«
»Hm. Ich habe den Ehemann befragt, aber es sieht nicht danach aus. Sie hat nach dem Besuch seelenruhig mit ihm Schach gespielt. Und sie lag am Morgen noch neben ihm im Bett.«
»Du hattest etwas angedeutet, dass du ihr schon einmal begegnet bist?«
Andreas seufzte schwer. »Vor fünf Jahren war doch dieser schreckliche Todesfall eines Kindes in der Sonderschule. Ein Junge ist auf einen anderen mit einem Messer losgegangen und dabei ist dieser zu Tode gekommen.«
Emma schaute vom Herd auf, auf dem sie das Gemüse anbriet. »Frau Merker war die Lehrerin damals, sie hat die Kinder für einen Moment lang allein gelassen. Warum sagst du erst jetzt, dass du mit diesem Fall zu tun hattest?«
»Ich bin nicht stolz auf meine Rolle darin. Damals hatte ich die traurige Aufgabe, der Mutter die Nachricht vom Tod ihres Sohnes zu überbringen. Sie hieß - heißt - Sabine Klenkemeyer. Es war meine erste Todesnachricht und ich war nervös. Dabei bin ich nicht sehr feinfühlig mit der armen Frau umgegangen.«
Er setzte sich an den Küchentisch und stützte den Kopf auf den linken Handballen.
Für einen kurzen Moment schienen die Gerüche aus der Pfanne ihn wie Watte zu umgeben, näherzukommen, langsam zu ersticken, auch das Brutzeln des Gemüses vernahm er nur noch von fern. Er atmete tief durch.
»Da ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, was ein Kind dazu treibt, mit dem Messer auf ein anderes Kind loszugehen, habe ich sie bedrängt. Ich wollte Antworten. Aber eine Mutter, die gerade ihr Kind verloren hat, zu fragen, ob es den Täter provoziert hat, ist hart. Und unprofessionell. Vor allem, wenn es ein behindertes Kind ist. Meine Entschuldigung später hat sie nicht akzeptiert. Und mich hat es nie losgelassen.«
Emma blickte Andreas mitfühlend an, dass ihm warm ums Herz wurde. »Ach, Andy, manchmal hat man als Polizist auch einen Scheißjob!« Sie legte den Kochlöffel beiseite und umarmte ihn.
Er spürte ihre Körperwärme und ihr Haar kitzelte seine Nase. »Danke, Emma. Es war einfach Mist, den ich da gebaut habe. Vielleicht kann ich ja jetzt noch mal einen Anlauf nehmen und mich entschuldigen.«
Winzige Fältchen entstanden auf Emmas Nase; sie entstanden immer dann, wenn sie nachdachte. »Es ist allerdings schon interessant, dass die Mutter des getöteten Jungen und die Lehrerin Nachbarn sind. Ach ja, und Klenkemeyer ist außerdem die Maklerin, die Carolin Merker die Eigentumswohnung verkauft hat. Hat der Hausmeister gesagt. Hat Merker sie dabei gelinkt? Und sie war am Sonntag etwa zwei Stunden auf dem Campingplatz, hat ihr Mann ausgesagt? Hm.«
»Glaubst du …«
»Aber wenn sie es gewesen ist, was ist das Tatwerkzeug? Und warum geht sie erst nach Hause und verschwindet erst am nächsten Morgen?«
Emma, Dienstag,
neunzehnter Juni
Die Eltern von Carolin Merker lebten in einem dieser alten Stadthäuser, die es in Hannover gab. Beide hatten die Nachricht schon erhalten und sahen müde aus. Vermutlich hatten sie wenig geschlafen, dachte Emma.
Sie boten Emma eine Tasse Kaffee an und saßen ihr nun gegenüber, kaum in der Lage, den Kopf zu heben. Die Trauer lastete schwer auf ihnen und durch die hohen Wände wirkten die beiden kleiner, als sie vermutlich waren. »Tja, was für ein Mensch war sie?«, versuchte der Vater, die gestellte Frage zu beantworten. »Ich glaube jedenfalls nicht, dass sie Selbstmord begangen hat. Aber welcher Vater glaubt das schon von seinem Kind?«
»Sie war immer sehr ehrgeizig«, meinte die Mutter. »Hat immer zielstrebig ihre Ziele verfolgt und sich oft gegen andere durchsetzen müssen.«
»Könnte sie sich dadurch Feinde gemacht haben?«, fragte Emma vorsichtig.
Beide schüttelten den Kopf. »Nein, sie war ja immer freundlich zu den Leuten. Sie wollte halt die Beste sein, und das bedeutet nun mal Konkurrenz.«
»Wann haben Sie sie das letzte Mal miteinander gesprochen?«
Die beiden schauten sich an. »Vor unserem Urlaub haben wir telefoniert«, sagte die Mutter schließlich. »Wir haben uns abgemeldet und gefragt, ob bei ihr alles Ordnung sei. Da war sie ganz normal.«
»Hat sie da über den Todesfall vor fünf Jahren in der Schule gesprochen?«
»Warum kommen Sie darauf? Nein, das ist doch schon so lange her und auch vor Gericht jetzt abgeschlossen. Ich finde es immer noch empörend, wie man damals mit ihr umgegangen ist. Die Voraussetzungen waren doch so, dass etwas passieren musste! Und dann hat man ihr die Schuld in die Schuhe geschoben.«
»Inwiefern?«
»Seien Sie mir nicht böse, aber ich bin heute nicht dazu in der Lage, Ihnen das auseinanderzusetzen. Meine Tochter ist tot und außerdem können Sie das alles in den Akten nachlesen - oder mal eine Lehrkraft fragen, wie die Realität aussieht.«
Emma notierte sich etwas auf ihrem Smartphone. Zur Mutter gewandt sagte sie: »Natürlich, das verstehe ich. Nur eines noch, dann müssen wir das Gespräch nicht länger ausdehnen: Hatte sie einen Freund, wollte sie eine Familie gründen?«
»Das war nicht Carolins Sache«, antwortete der Vater. »Nein, sie war Single. Zumindest hat sie uns niemanden vorgestellt.«
»Auch keine feste Freundin?«
»Wo denken Sie hin, nein, Carolin war heterosexuell.