beider Rollen nach, manchmal seine, manchmal ihre. So fühle ich mich als Teil des Ganzen, ich, die nirgendwo dazugehört. Und dann ruft Bobbo an und sagt, daß er nicht heimkommt, und die Kinder kehren aus der Schule zurück, und eine merkwürdig vertraute Stille senkt sich über das Haus, eine dicke, weiße, erstickende Decke, die über unser Leben geworfen wird; und selbst wenn die Katze eine Maus fängt, scheint das Quietschen aus weiter Ferne, aus einer anderen Welt zu mir zu dringen.
Bobbo ist ein gutaussehender Mann, und ich bin glücklich, daß ich ihn habe. Die Nachbarinnen machen oft Bemerkungen in dieser Richtung. »Nein, was haben Sie doch für ein Glück, jemanden wie Bobbo zu haben.« Wundert uns nicht, sagen ihre Blicke, daß er ziemlich oft weg ist. Bobbo ist einen Meter achtundsiebzig, zehn Zentimeter kleiner als ich, aber fünfzehn Zentimeter größer als Mary Fisher, die Schuhgröße 36 hat; im vergangenen Jahr gab sie für Schuhe 1200,50 Dollar aus. Ganz gleich – bei mir im Bett hat Bobbo keine Potenzprobleme. Er macht die Augen zu. Vielleicht macht er auch bei ihr im Bett die Augen zu, aber ich glaube es nicht wirklich. So stelle ich es mir nicht vor.
Ich denke, daß die anderen Frauen hier in Eden Grove einfach mehr Talent haben, sich selbst was vorzumachen. Ihre eigenen Ehemänner sind oft genug weg. Wie anders als durch Selbsttäuschung könnten sie am Leben bleiben, ihre Selbstachtung bewahren? Natürlich bieten manchmal auch Lügen keinen ausreichenden Schutz. Dann findet man sie in der Garage, mit einem Strick um den Hals, oder sie liegen im Ehebett, kalt, mit einer Überdosis im Bauch. Die Liebe, auch dann noch tödlich, wenn sie in ihren letzten Zuckungen liegt, giftig und beißend, hat sie umgebracht.
Und wie überleben insbesondere häßliche Frauen, die, die von aller Welt bemitleidet werden? Kröten, wie sie uns nennen. Sie leben wie ich, sie starren der Wahrheit ins Gesicht, sie härten die Haut gegen unablässige Demütigungen, bis sie so zäh und kalt wie die Haut eines Krokodils ist. Und wir warten darauf, daß das Alter alles ausgleicht. Als alte Frauen sind wir Klasse.
Meine Mutter war recht hübsch; sie schämte sich wegen mir, das konnte ich an ihren Augen ablesen. Ich war ihr ältestes Kind. »Ganz der Vater«, pflegte sie zu sagen. Da war sie selbstverständlich schon zum zweitenmal verheiratet. Meinen Vater hatte sie schon lange verlassen, hatte ihn voller Verachtung weit hinter sich zurückgelassen. Meine beiden Halbschwestern waren ganz die Mutter, zierlich und zerbrechlich. Ich mochte sie. Sie wußten, wie man jemanden bezaubert, sie bezauberten sogar mich mit ihrem Charme. »Häßliches kleines Entlein«, sagte meine Mutter, den Tränen nahe, einmal zu mir und strich mein widerspenstiges Haar glatt. »Was sollen wir nur mit dir anfangen? Was soll bloß aus dir werden?« Ich glaube, sie hätte mich vielleicht geliebt, wäre sie dazu fähig gewesen. Aber häßliche unharmonische Dinge stießen sie ab; sie konnte nichts dafür. Sie sagte das oft genug, natürlich nicht speziell auf mich gemünzt, aber ich kannte ihre Gedankengänge, ich wußte, was sie damit meinte. Manchmal glaube ich, daß ich mit auf der Haut offen liegenden Nerven geboren wurde, die ständig zuckten und bebten. In dem Bemühen, sie mit einer Schutzschicht zu überziehen, entwickelte ich mich zu einem schwerfälligen linkischen Wesen.
Und ich brachte es nie fertig, nicht mal meiner Mutter zuliebe, einfach nur zu lächeln und den Mund zu halten. Mein Verstand schlug Noten an, als würde jemand auf einem fürchterlich verstimmten, nie verstummenden Klavier ziellos klimpern. Sie taufte mich auf den Namen Ruth, vermutlich von dem Wunsch beseelt, mich schon in den ersten Tagen, so gut es ging, zu vergessen. Ein kurzer, unbedeutender, trauriger Name. Meine Halbschwestern bekamen die Namen Jocelyn und Miranda. Beide haben gut geheiratet und sind aus meinem Blickfeld verschwunden; beide baden ohne jeden Zweifel sehr zufrieden in der allgemeinen Bewunderung der Welt.
3
Oh, Mary Fisher, die du im luftigen Turm wohnst! Was gibt es heute zum Abendessen? Vielleicht weißt du es gar nicht. Vielleicht überläßt du das dem Personal. Und wer leistet dir Gesellschaft? Vielleicht hast du noch andere Liebhaber zur Auswahl, die mit dir durch die Spiegelglasfenster hinaus auf Hafen und Meer schauen; die mit dir zusammen beobachten, wie der Mond aufgeht und der Himmel sich verfärbt? Vielleicht kommst du gar nicht zum Essen und bist in Gedanken schon bei den dir bevorstehenden Liebesfreuden? Du Glückliche! Aber egal, wen sonst, Bobbo wirst du heute abend nicht bei dir haben. Heute abend ißt Bobbo bei mir.
Ich werde die Flügeltüren vom Speisezimmer zum Garten hin öffnen, das heißt falls kein Wind aufkommt. An der Garagenwand ranken sich hübsche Pflanzen hoch, die abends sehr gut duften.
Im vergangenen Monat hat Mary Fisher allein fürs Fensterputzen 295,75 Dollar ausgegeben. Die Summe wurde von der Bank in Zypern auf Mary Fishers Haushaltskonto überwiesen. Wenn Bobbo mal zu Hause ist, dann bringt er recht häufig Mary Fishers Abrechnungen mit. Ich schlafe nicht viel in den Nächten, die er bei mir ist. Ich steige still und leise aus dem Bett, gehe in sein Arbeitszimmer und schaue Mary Fishers Leben durch. Bobbo schläft tief und fest. In Wahrheit kommt er heim, um auszuspannen und um verlorenen Schlaf nachzuholen.
Ich putze unsere Fenster selber; manchmal ist es durchaus ein Vorteil, groß zu sein.
Heute abend gibt es im Haus Nightbird Drive Nr. 19 Pilzsuppe, mit Hühnerragout gefüllte Vol-au-vents und Mousse au chocolat. Bobbos Eltern kommen zu Besuch. Er will sie nicht aufregen, also wird er den braven Vorstadtgatten spielen und ausnahmsweise mal wieder am Kopfende der Tafel sitzen. Er wird hinausschauen zu Kletterpflanzen, Stockrosen und Geißblatt. Mir macht die Gartenarbeit Spaß. Ich liebe es, die Natur zu beherrschen und die Dinge zu verschönern.
Bobbo kommt recht gut voran in dieser Welt. Er hat Erfolg. Früher bekleidete er eine untergeordnete Stellung beim Finanzamt, aber die gab er dann auf, riskierte ohne Rücksicht auf Verluste seine Pension und fing als Steuerberater an. Jetzt verdient er eine Menge Geld. Es paßt ihm gut in den Kram, daß ich in Eden Grove praktisch aus dem Weg bin. Bobbo unterhält in der City ein hübsches Apartment, fünfzehn Kilometer östlich von Mary Fisher, wo er gelegentlich Parties für seine Klienten gibt; hier sah er Mary Fisher das erstemal von Angesicht zu Angesicht, hier übernachtet er, wenn dringende Geschäfte anstehen. Zumindest sagt er das. Ich besuche Bobbos Wohnung oder sein Büro nur äußerst selten. Ich lasse durchblicken, daß ich zuviel zu tun habe. Für Bobbo wäre es peinlich, wenn mich seine schicken neuen Kunden zu Gesicht bekämen. Das wissen wir beide. Bobbos reizlose Frau! Für einen kleinen Steuerbeamten mag sie passen, aber nicht für einen selbständigen Finanzexperten auf dem Weg nach oben.
Mary Fisher, ich hoffe, du ißt heute abend eingedosten roten Lachs, der schon schlecht ist, und bekommst Fischvergiftung. Doch derartige Hoffnungen sind vergeblich. Mary Fisher ißt frischen Lachs, abgesehen davon, daß ihr empfindlicher Gaumen sofort jedes Gift entdecken würde, auch wenn es für andere gröbere Gaumen absolut nicht feststellbar wäre. Wie vornehm, wie geschwind sie den vergifteten Bissen ausspucken und sich so retten würde!
Mary Fisher, ich hoffe, heute abend tobt ein solcher Sturm um deinen Turm, daß die Spiegelglasfenster bersten und die Wasserwogen hereinbrechen und du weinend und schreckensstarr ertrinkst.
Ich mache Blätterteig für die Pasteten, und nachdem ich mit einem Weinglas den Teig ausgestochen habe, nehme ich die dünnen Reststreifen und knete sie zu einem Figürchen, das eine gewisse Ähnlichkeit mit Mary Fisher besitzt, stelle den Backofen auf höchste Leistung und röste das Figürchen, bis die Küche von einem solchen Gestank erfüllt ist, daß nicht einmal mehr der Rauchabzug damit fertig wird. Gut.
Ich hoffe, der Turm verbrennt und Mary Fisher mit ihm, so daß der Geruch brutzelnden Fleisches aufs Meer hinauszieht. Ich würde das Ding selbst anzünden, aber ich kann ja nicht Auto fahren. Zum Turm komme ich nur, wenn Bobbo mich hinfährt, und das tut er nicht mehr. Hundertacht Kilometer. Das ist, so sagt er, viel zu weit.
Bobbo, der Mary Fishers glatte glänzende Schenkel spreizt, dann, wie es seine Gewohnheit ist, seinen Finger dort einführt, wohin sein eigentliches konzentriertes Selbst bald folgen wird.
Ich weiß, daß er es bei ihr genauso macht wie bei mir, weil er es mir erzählt hat. Bobbo glaubt an Ehrlichkeit. Bobbo glaubt an die Liebe.
»Hab Geduld«, sagt er. »Ich habe nicht die Absicht, dich zu verlassen. Es ist einfach so, daß ich im Augenblick in sie verliebt bin und mich dementsprechend verhalten muß.« Liebe, sagte er!