glaube, sie ist ein bißchen aufgeregter als sonst«, sagte Bobbos Mutter mißbilligend. »Hoffentlich behandelt Bobbo sie gut.« Und damit setzten sie und Bobbos Vater sich auf die niedrige Bank vor dem Haus, starrten in die über Nightbird Drive hereinbrechende Nacht und unterhielten sich ziellos über ihr eigenes und anderer Leute Leben.
»Lassen wir ihr Zeit, sich zu beruhigen«, sagte Bobbos Mutter. »Dinnerparties können, auch wenn bloß Familienmitglieder dabei sind, ganz schön anstrengend sein!«
Bobbos Mutter hatte für jeden Anlaß ein paar beruhigende, beschwichtigende Worte und Gedanken parat. Kein Mensch konnte begreifen, woher Bobbos rastloses, ehrgeiziges, wehleidiges Wesen stammte. Bobbos Vater teilte die Fähigkeit seiner Frau zu positivem Denken; zu 66,66 Prozent war eine solche Denkweise auch durchaus berechtigt. Die Dinge wenden sich oft genug zum Guten, wenn man nur fest daran glaubt; man mußte nur alles seinen gerechten Gang gehen lassen, ohne einen Finger zu rühren. Doch anders als seine Eltern überließ Bobbo nur äußerst ungern etwas dem Zufall. Bobbos Ehrgeiz lief auf eine hundertprozentige Erfolgsrate im Leben hinaus.
Bobbo kleidete sich fertig an. Für ihn war es selbstverständlich, daß stets sauber gefaltete, gebügelte Kleidung bereitlag. War er bei Mary Fisher, so kümmerte sich der Diener Garcia um diese Dinge; auch das war für Bobbo eine Selbstverständlichkeit.
»Was gibt es wohl bei Mary Fisher zum Abendessen?« fragte sich Bobbo, so wie es seine Frau schon zuvor getan hatte und wünschte sich, eines jener köstlichen Häppchen zu sein, die seine Geliebte in ihren Mund schob. Ah, völlig verschlungen, einverleibt zu werden! Ein Scheibchen Räucherlachs, ein Stück Orange, ein Schluck Champagner!
Das waren Köstlichkeiten, die Mary Fisher gerne aß. Anspruchsvolle, unmögliche Mary Fisher! »Ein Stückchen Räucherlachs«, pflegte sie zu sagen, »kostet auch nicht mehr als eine große Dose Thunfisch. Und schmeckt wesentlich besser.«
Das war zur Hälfte Lüge, zur Hälfte Wahrheit – wie so vieles andere auch, was Mary Fisher sagte und schrieb.
Bobbo ging in den Salon, wo seine zu groß geratene Frau mit den Händen in der Luft herumfuchtelte.
»Warum heulst du?« fragte er.
»Weil ich mir den Kopf angeschlagen hab«, sagte sie, und er nahm diese Lüge hin, weil seine Eltern jeden Moment eintreffen konnten; abgesehen davon interessierte es ihn ohnehin kaum noch, was seine Frau sagte oder tat oder weshalb sie weinte. Er vergaß Ruth und fragte sich, wie so oft in letzter Zeit, in welcher Beziehung wohl Mary Fisher zu ihrem Diener Garcia stand. Garcia schnitt den Lachs auf, entkorkte den Champagner und putzte die großen Fenster im Erdgeschoß von innen und außen. Andere untergeordnete Haushaltsarbeiten überließ er den Hausmädchen. Garcia erhielt 300 Dollar die Woche, das Doppelte von dem, was Bobbos andere Klienten für gewöhnlich ihren im Haus lebenden Dienern zahlten. Garcia brachte seiner Herrin kleine Kännchen mit Kaffee, die er auf dem großen Glastisch abstellte, auf dem Mary Fisher ihre Romane schrieb, mit klarer roter Tinte auf sehr, sehr dünnem Papier. Ihre Handschrift war spinnwebfein und winzig. Garcia war groß und muskulös und dunkel und jung; seine Finger waren lang, und manchmal fragte sich Bobbo, wo sie überall herumwanderten. Garcia war fünfundzwanzig, und allein sein Gesichtsausdruck lenkte Bobbos Spekulation in Richtung Sexualität.
»Aber Bobbo«, sagte dann Mary Fisher, »du wirst doch nicht etwa eifersüchtig sein! Garcia ist jung genug, um mein Sohn zu sein.«
»Ödipus war auch ziemlich jung«, lautete Bobbos Antwort, womit er Mary Fisher zum Lachen brachte. Wie hübsch ihr Lachen klang, und wie leicht es ihr über die Lippen kam. Nur er allein sollte dieses Lachen hören, das wünschte er sich. Doch wie konnte er ständig um sie sein? Gewiß gab es keine andere Möglichkeit, sie ganz für sich zu behalten und sich ihre Treue zu sichern, als bei ihr zu bleiben. Doch Bobbo mußte Geld verdienen, mußte arbeiten, seinen Kindern ein Vater sein und seiner Frau, mochte sie auch noch so plump und verheult und langweilig sein, ein Ehemann. Er war eine Ehe eingegangen; er würde es durchstehen. Und weil er dabei litt, sollte auch Ruth leiden.
Seine Frau erschien ihm unermeßlich groß, und seit er ihr seine Liebe zu Mary Fisher gestanden hatte, schien sie noch größer geworden zu sein. Er fragte sie, ob sie zugenommen hätte, und sie verneinte das und stellte sich zum Beweis dafür auf die Waage. 89 Kilo, sogar ein Pfund weniger als sonst! Dann war es also pure Einbildung, daß sie noch drohender vor ihm aufragte.
Bobbo legte eine Platte auf. Er hoffte, daß darin das Geheul seiner Frau untergehen würde. Er wählte Vivaldi, um sich selbst und sie zu beruhigen. ›Die Vier Jahreszeiten‹. Er wünschte, sie würde nicht weinen. Was erwartete sie von ihm? Er hatte nie behauptet, sie zu lieben. Oder doch? Er konnte sich nicht mehr recht daran erinnern.
Ruth verließ den Raum. Er hörte, wie sie den Backofen öffnete. Ein kleiner Aufschrei, ein Knall. Sie hatte sich die Finger verbrannt. Die Vol-au-vents lagen auf dem Fußboden, das wußte er. Dabei war es doch wirklich nur ein kleines Stückchen vom Ofen zum Tisch!
Bobbo stellte den Plattenspieler lauter und ging in die Küche, wo sich Huhn, Sahnesauce und Pasteten auf den Linoleumfliesen mischten; Hund und Katze machten sich bereits darüber her. Er scheuchte die Tiere in den Garten, stieß Ruth auf einen Stuhl und schärfte ihr ein, die Kinder nicht aufzuregen, die durch ihr Verhalten ohnehin schon aufgeregt genug waren. Dann kratzte er alles so methodisch und hygienisch wie nur irgend möglich zusammen; auch wenn es ihm nicht gelang, einzelne Pasteten nachzuformen, so gelang ihm doch die Andeutung einer einzigen, großen, mit Hühnerfleisch gefüllten Form. Der Hygiene halber ließ Bobbo eine dünne Essensschicht auf dem Fußboden zurück, deren Wert er mit ungefähr 2 Dollar veranschlagte.
Er brauchte Hund und Katze, um die Schicht aufzulecken, doch die schmollten beide draußen und wollten nicht mehr hereinkommen. Statt dessen setzten sie sich auf das Mäuerchen, dicht neben seine Eltern und warteten genau wie jene auf einen häuslichen Stimmungsumschwung.
»Hör endlich auf zu weinen«, bat Bobbo in der Küche. »Weshalb machst du wegen allem und jedem so ein Theater? Schließlich kommen bloß meine Eltern zum Essen. Sie erwarten keinen solchen Aufwand. Mit einer einfachen Mahlzeit wären sie vollkommen zufrieden.«
»Wären sie nicht. Aber deswegen wein’ ich auch gar nicht.«
»Weshalb dann?«
»Das weißt du ganz genau.«
Ah, Mary Fisher. Das wußte er in der Tat. Er versuchte es mit Vernunftgründen.
»Als ich dich heiratete, hast du doch nicht erwartet, daß ich mich nie in irgendeine andere Frau verlieben würde?«
»Genau das hab ich erwartet. Jede Frau erwartet das.«
Sie fühlte, daß sie betrogen worden war.
»Aber du bist nicht wie andere Frauen, Ruth.«
»Du meinst, ich bin ein Monster.«
»Nein«, sagte er vorsichtig, freundlich. »Ich meine, wir sind alle Individuen.«
»Aber wir sind verheiratet, wir sind ein Fleisch.«
»Wir haben doch wohl mehr aus Bequemlichkeit geheiratet, meine Liebe. Ich denke, das war uns beiden damals klar.«
»Bequem für dich.«
Er lachte.
»Worüber lachst du?«
»Du denkst und redest nur in Klischees.«
»Mary Fisher vermutlich nicht?«
»Natürlich nicht. Sie ist eine kreative Künstlerin.«
Die Kinder, Andy und Nicola, tauchten in der Küchentür auf, er klein und schmal, sie breit und groß. Genau verkehrt herum. Er erschien mädchenhafter als sie. Bobbo gab Ruth die Schuld daran, daß sie die Kinder in falscher Reihenfolge zur Welt gebracht hatte. Er hatte das Gefühl, sie habe es absichtlich getan. Sein Herz blutete für die Kleinen. Kinder haben empfindliche Nerven, die sie sich jeden Tag schmerzhaft anstoßen. Obwohl er sie liebte, wünschte er, sie wären nie geboren worden. Sie standen zwischen ihm und Mary Fisher, und er träumte seltsame Träume, in denen