Will Berthold

Heißes Geld


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der alte Roskoe.

      »Sehr ehrenwert«, entgegnete Feller und lächelte ein wenig resignant. »Und sehr romantisch.« Er betrachtete einen Moment seine Schuhspitzen. »Ich fürchte, wir Juristen werden das Unrecht so wenig aus der Welt schaffen wie die Mediziner den Tod.«

      »Keine Philosophie, Henry«, sagte der Senior. »Sie werden jetzt gleich auf dem Schreibtisch in Ihrem Büro Nathans Brief finden. Zunächst verlange ich von Ihnen nicht mehr, als daß Sie ihn lesen.«

      Sie hatten die Fifth Avenue erreicht und stiegen, bevor der Fahrer die schwere Mercedes-Limousine in die Tiefgarage zur 53. Straße brachte, aus. Sie fuhren im Lift hoch, erreichten die noble Kanzlei, in der es keine unechten Orientteppiche, keine falschen Antiquitäten und keine leeren Worte gab. Nach einem geflügelten Wort, das der Senior durchaus ernst nahm, suchten sich Brown, Spencer & Roskoe ihre Klienten aus und nicht diese ihre Anwaltsfirma.

      »See you later«, verabschiedete Roskoe seinen Mitarbeiter.

      Gleich bei Betreten seines Büros sah Feller in einem verschlossenen Umschlag auf seinem Schreibtisch die Unterlagen, die ihm sein Förderer angekündigt hatte. Er wußte, daß ihm der Tag nichts schenken würde, und griff nach dem Begleitbrief der texanischen Anwälte, die darum baten, ihnen die Übergabe des Schreibens ihres im März 45 gefallenen Klienten Nathan Greenstone zu bestätigen und »alles Nötige und Mögliche veranlassen zu wollen«. Der Anwalt griff nach dem Hauptschreiben.

      Bevor er sein Jurastudium an der Harvard University als Zweitbester seiner Crew absolviert hatte, war er als Leutnant in einem der Eliteregimenter des Panzergenerals Patton von der Normandie bis zur deutschen Grenze gestürmt. Während die Kämpfe im Reichswald bei Aachen tobten, versetzte man den Offizier – der zweisprachig aufgewachsen war – zu einer Spezialeinheit für psychologische Kriegführung. Automatisch landete Feller dann in der Besatzungszeit für zweieinhalb Jahre beim US-Geheimdienst. Aus der Zeit beim »Counter Intelligence Corps« in Frankfurt waren ihm Beziehungen und Erfahrungen geblieben, die sich ihm eingebrannt hatten, und so könnte ihn – wie er annahm – ein über Deutschland abgeschossener Bomberpilot kaum mit etwas Neuem überraschen.

      Er nahm den Brief zur Hand und erfaßte als erstes, daß der alte Greenstone doch erheblich länger gelebt haben mußte, als sein jüngster Sohn bei der Niederschrift des Briefes, der zu einem Vermächtnis werden sollte, Ende 44 angenommen hatte.

      »Ich werde morgen mit meinem Geschwader nach Italien verlegt, um von dort aus Einsätze über Deutschland zu fliegen. Für den Fall, daß mir dabei etwas zustoßen sollte, möchte ich meine Aussage über einige Vorgänge in Paris festhalten, die in direktem Zusammenhang mit dem Tod meines Bruders Joseph stehen. Ich bin bereit zu beschwören, daß es sich bei meinem Bericht um die reine Wahrheit handelt.

      Ich hatte mich 1940 in Frankreich aufgehalten, um mich in Vertretung meines Vaters um unsere französische Zweigniederlassung zu kümmern. Als sich die deutschen Truppen Paris näherten, flüchtete ich aus der französischen Hauptstadt nach Süden und gelangte mit vielen anderen in den zunächst unbesetzten Teil Frankreichs. Ich war 24 Jahre alt, hatte bereits die amerikanische Staatsbürgerschaft und sprach – da ich in Berlin aufgewachsen war – fließend deutsch, weshalb ich den Maquisards der Résistance gelegentlich behilflich sein konnte. Gleichzeitig versuchte ich, unsere Besitzungen in Südfrankreich zu verkaufen, bevor sie die Nazis enteignen konnten. Im Norden war die Registrierung der jüdischen Bevölkerung und Firmen bereits angeordnet; es schien nur eine Frage der Zeit, bis sich die Vichy-Regierung den Verfolgungen im besetzten Frankreich anschließen würde.

      Freunde, bei denen ich mich versteckt hielt, warnten mich davor, daß Hitlers Truppen bald den Doubs überschreiten und auch den unbesetzten Teil Frankreichs okkupieren würden. Ich wollte mich nach Portugal durchschlagen und wartete auf eine Gelegenheit, doch meine Abreise verzögerte sich immer wieder. Ich wurde denunziert und fiel in die Hände der Leute, die mich aus Deutschland vertrieben hatten. Ich wurde mißhandelt und mit anderen Leidensgefährten zusammen in das berüchtigte Lager Drancy geschafft, um von hier aus mit einem Sammeltransport per Viehwagen in den Osten › verschubt‹ zu werden. Ich machte mir keine Illusionen über unser weiteres Schicksal und tröstete mich, daß wenigstens Joseph das Furchtbare erspart bliebe. Ich hatte vor meiner Abreise gehört, daß er sich als Soldat freiwillig zur Army gemeldet hatte. Das gleiche hatte ich vorgehabt, aber nun war es zu spät.

      Es blieb uns nur die Hoffnung, darauf zu setzen, daß sich der Transport so lange verzögerte, bis wir eine Fluchtmöglichkeit gefunden hätten. Ein-oder zweimal gelang es mir, der wahllosen Verladung in die Waggons zu entkommen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis ich das Schicksal der anderen teilte.

      Ende 43 erschienen einige Offiziere der SIPO im Stab des Höheren SS- und Polizeiführers von Paris, um uns zu vernehmen. Ich berief mich darauf, daß ich Amerikaner sei, und stellte fest, daß sich der Obersturmführer Dumbsky – wie sich bald herausstellte, unter den Vernehmern für die subtileren Verhörmethoden zuständig – mehr für unsere Firma in New York interessierte als für meine Tätigkeit in Frankreich.

      Ich wurde von meinen Schicksalsgefährten getrennt und in eine Art Privatgefängnis in der Nähe des Boulevard Lannes gebracht, wo die Gestapo während der Besatzungszeit ihre feudalen Quartiere bezogen hatte. Ich kam mit anderen Gefangenen zusammen und erfuhr, daß wir uns nunmehr in den Händen einer zivilen Firma, der Dewako, befänden, die im neutralen Ausland dringend benötigte Rohstoffe für die deutsche Rüstung besorgte. Dafür brauchte sie Devisen, und zwar in erster Linie Dollars, und so war die tatsächliche Handelsware dieses ›Deutschen Warenkontors‹ die Erpressung in ihrer übelsten Form:

      Aus der zunächst grob aussortierten Menge der Gefangenen wurden die ›Devisenbringer‹ herausgefischt. Während die anderen wieder nach Drancy geschafft oder ›auf der Flucht‹ erschossen wurden, verblieb in dem zum Gefängnis umgebauten Hotel eine äußerst gemischte Gesellschaft: Neben einigen jüdischen Insassen auch Sozialisten, Freimaurer, Nationalisten, Katholiken und tatsächliche oder angebliche Mitglieder der Résistance. Es waren Alte und Junge, Kranke und Gesunde, Franzosen und Ausländer, Juden und Christen. Es waren zähe, tapfere Burschen unter ihnen wie auch Feiglinge und Opportunisten. Sosehr wir uns auch voneinander unterschieden, es gab eine Gemeinsamkeit: Alle hatten wir Verwandte in den USA, in der Schweiz oder Schweden, reiche Verwandte, die uns mit Dollars freikaufen sollten, womit die Dewako wiederum ihre Einkäufe finanzierte. Die Summen wurden willkürlich festgesetzt und laufend erhöht. Es ergab sich der zwingende Verdacht, daß einige Dewako-Bedienstete auch und zunehmend in die eigene Tasche arbeiteten.

      Das Unternehmen, in dessen Vorstand aus Tarnungsgründen auch zwei französische Kollaborateure saßen, war eine Tochterfirma der ›Deutschen Ausrüstungswerke GmbH‹, die über blendende Beziehungen zur Pariser Außenstelle des Reichssicherheitshauptamts in Berlin verfügte und dadurch den Menschenhandel ankurbeln konnte. Sipo und Gestapo trieben bei Razzien brutal Tausende von Menschen zusammen, und Vertreter der Dewako oder in ihrem Auftrag handelnde Offiziere tasteten oft nur flüchtig und willkürlich ihren ›Marktwert‹ ab, er wurde von Verhör zu Verhör, je nach Solvenz unfreiwilliger Finanziers aus Übersee, erhöht und über das neutrale Ausland in US-Währung eingetrieben. Erst nach Eingang des Lösegeldes wurden dann die Freigekauften auf Schleichwegen aus Frankreich hinausgeschafft, wobei die Dewako – um ins Geschäft zu kommen – auch einige Vorleistungen erbracht hatte.

      Nunmehr aber hieß es: Geld oder Leben. Der Handel wurde über eine Genfer Anwaltsfirma, deren Namen ich nicht kenne, abgewickelt. Beauftragte der Dewako fuhren in regelmäßigen Abständen in die. Schweiz, um die Dollars persönlich in Empfang zu nehmen. Selbstverständlich gab es bei dieser Art Geschäfte keine Belege, keine Buchung und keinen Schriftverkehr. Da die Dewako auch noch Diskretion für die ›Vereinbarung‹ verlangte, war der Zahlungsmodus kompliziert. Meistens schaffte ein Kurier aus den USA in seinem Handgepäck die abgepreßte Summe als Bargeld in die Schweiz. Die genauen Zusammenhänge erfuhr ich von Joseph.

      Er war nicht bei der US-Army, sondern tauchte zu meinem Entsetzen mit einem Schub Gefangener auf, der hier eingeliefert wurde. Er war – wie ich erst später erfuhr – mit einer ganz speziellen Aufgabe