Thomas Meyer

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)


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»häufigen Seltenen«.

      9 Stimmt es, dass die ALS in ihrer Häufigkeit zunimmt?

      In Deutschland liegen bisher keine zuverlässigen Daten über die ALS-Häufigkeit und deren zeitlichem Verlauf vor. Allerdings konnte eine große Studie zur Häufigkeitsentwicklung der ALS in den USA zeigen, dass (im Verlauf von den 1950er bis zu den 1990er Jahren) eine Zunahme der Häufigkeit um 30 % zu verzeichnen war. Die Studie wurde von einem Institut für Epidemiologie erstellt und veröffentlicht. Die Epidemiologie ist eine Teilwissenschaft der Medizin, die sich mit Häufigkeitsverteilungen, Veränderungen und Risiken von Erkrankungen in Bevölkerungsgruppen wissenschaftlich beschäftigt. In epidemiologischen Studien werden damit Faktoren der Diagnosegenauigkeit (z. B. durch veränderte diagnostische Möglichkeiten in den 1990er Jahren im Vergleich zu den 1950er Jahren) sowie eine veränderte Aufmerksamkeit bestimmter Diagnosen berücksichtigt. Damit sind die beschriebenen 30 % der Häufigkeitszunahme als »bereinigte Werte« und relevant zu betrachten. Trotz der fehlenden Datenlage in Deutschland zur Entwicklung der ALS-Häufigkeit ist (in Analogie zu den USA) zu vermuten, dass auch in Deutschland die Häufigkeit der ALS in den zurückliegenden Jahrzehnten zugenommen hat.

      10 Was ist ein typisches Alter für den Beginn der ALS?

      Das mittlere Erkrankungsalter bei der ALS beträgt 55 Jahre. Eine Erkrankung vor dem 18. Lebensjahr und nach dem 80. Lebensjahr ist jedoch sehr selten. Insbesondere der frühe Erkrankungsbeginn (vor dem 18. Lebensjahr) ist besonders selten. Eine Erkrankung nach dem 80. Lebensjahr ist ungewöhnlich, aber nicht so selten wie die jugendlichen Verlaufsformen der ALS. Eine Erkrankung vor dem 25. Lebensjahr wird als »juvenile ALS« (JALS) bezeichnet (»juvenil« lässt sich mit »jugendlich« übersetzen). Eine Erkrankung zwischen dem 25. und dem 40. Lebensjahr wird »frühe adulte ALS« genannt (»adult« lässt sich mit »erwachsen« übersetzen). Damit soll unterstrichen werden, dass in diesem Fall die ALS vor dem typischen mittleren Erwachsenenalter auftritt. Die juvenile und die frühe adulte ALS sind durch besondere Verlaufsmerkmale gekennzeichnet. Bei der frühen adulten ALS stehen schlaffe Lähmungen (Paresen, image Frage 87) und ein Muskelschwund (Myatrophie, image Frage 88) der Arme in Kombination mit einer Steifigkeit (Spastik, image Frage 97) der Beine besonders häufig auf. Dieser Verlaufstyp ist auch bei der JALS bekannt. Jedoch ist bei der JALS die Variabilität des Krankheitsverlaufes sehr hoch. So ist eine chronische JALS bekannt, deren typischer Krankheitsverkauf 20–30 Jahre beträgt. Der bekannteste Patient mit einer chronischen JALS war der Astrophysiker Stephen Hawking. Im Gegensatz zur chronischen JALS ist auch eine akute Verlaufsform der JALS bekannt, die ein besonders hohes Erkrankungstempo aufweist. Bei der akuten JALS kommt es in rascher Abfolge zu schlaffen Lähmungen und einem ausgeprägten Muskelschwund sowie einer Einbeziehung der Atemmuskulatur. Die akute JALS kann innerhalb weniger Monate zum Tode führen – oder zur Notwendigkeit einer Beatmungstherapie.

      11 Erkranken Männer und Frauen gleichermaßen häufig?

      Männer und Frauen erkranken fast gleichermaßen an ALS. Das männliche Geschlecht überwiegt leicht. Das Geschlechterverhältnis beträgt 1,5 : 1. Dieses Verhältnis bedeutet, dass 15 ALS-erkrankten Männern etwa zehn betroffene Frauen gegenüberstehen. Auffällig ist jedoch, dass spezifische Verlaufsformen der ALS sehr dominant mit dem männlichen Geschlecht assoziiert sind (z. B. das Flail Arm-Syndrom, image Frage 46). Die Ursache für den deutlichen Geschlechtsunterschied ist unbekannt. Diskutiert wird der Einfluss von Genen auf den Geschlechtschromosomen (X- oder Y-Chromosom), die das Risiko oder das Ausprägungsmuster der ALS bestimmen. Diese Hypothese wird durch andere neurologische Erkrankungen unterstützt, die Parallelen zur ALS aufweisen und durch Mutationen in einem geschlechtsbezogenen Gen verursacht werden. So kommt die Spinobulbäre Muskelatrophie (SBMA; Kennedy-Erkrankung image Frage 61) nur bei Männern vor. Die SBMA führt zu Muskelschwund (Myatrophie) und Lähmungen (Paresen) der Zungen- und der Extremitätenmuskulatur – wie bei der ALS. Im Unterschied zur ALS schreiten jedoch die Lähmungen wesentlich langsamer fort. Die Ursache der SBMA liegt in Gen-Veränderung im Androgen-Rezeptor-Gen auf einem Geschlechtschromosom (X-Chromosom). Die SBMA zeigt, dass Motoneuron-Erkrankungen in geschlechtsabhängiger Weise (mit Bezug zu Veränderungen auf Geschlechtschromosomen oder durch hormonelle Prozesse) verursacht oder beeinflusst werden können.

      12 Gibt es Geschlechterunterschiede bei der ALS?

      Die ALS verläuft grundsätzlich bei beiden Geschlechtern in gleicher Weise. Das Erkrankungsalter, die Verlaufsgeschwindigkeit und die Krankheitsdauer zeigen keine wesentlichen Unterschiede. Bestimmte Verlaufsformen der ALS kommen beim männlichen oder weiblichen Geschlecht häufiger vor. So tritt eine Sonderform der ALS, das Flail-Arm-Syndrom (image Frage 46) überwiegend bei Männern auf (Verhältnis von Männern zu Frauen; 9 : 1). Im Gegensatz dazu tritt eine Sonderform der ALS mit einer Spastik der Zunge (Pseudobulbärsyndrom) in Kombination mit einer Verhaltensstörung (frontotemporale Demenz, FTD, image Frage 51) überwiegend bei weiblichen Patienten auf. Diese geschlechterbezogenen Sonderformen der ALS sind insgesamt sehr selten.

      13 Können Kinder an ALS erkranken?

      Die Erkrankung von Kindern und Jugendlichen an ALS ist extrem selten. Der Beginn einer ALS vor dem 16. Lebensjahr wird nur im Ausnahmefall beschrieben. Allerdings treten im Kindes- und Jugendalter andere Motoneuron-Erkrankungen auf, insbesondere die Spinale Muskelatrophie (SMA, image Frage 60) oder die Spastische Spinalparalyse (SSP, image Frage 65), die ebenfalls mit Lähmungen (Paresen, image Frage 87), Muskelschwund (Myatrophie, image Frage 88) oder Steifigkeit (Spastik, image Frage 97) einhergehen können. Zumeist liegt diesen kindlichen Motoneuron-Erkrankungen eine genetische Ursache zugrunde

      14 Gibt es Regionen mit einer besonderen ALS-Häufigkeit?

      In Deutschland und Europa ist von einer ähnlichen Häufigkeit auszugehen. Dennoch sind regionale Unterschiede möglich, deren Ursachen noch nicht geklärt sind. Informationen über die Größe der regionalen Unterschiede ist von »ALS-Registern« zu erwarten, die derzeit in der Region Schwaben und anderen Bundesländern aufgebaut werden. Wiederholt wurden kleinere Orte beschrieben, in denen mehrere Menschen an ALS zeitgleich erkrankt sind. Das gilt