Will Berthold

Die Nackten und die Schönen


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der Verleiher jetzt nicht mehr nach Ubersee blickt, sondern zum Bareingang, wo eine hochgewachsene Blondine mit einer Löwenmähne auftaucht, ein Blickfang nicht nur für Gremlitzka. Fast an allen Tischen stockt einen Moment lang das Gespräch und gehen die Augen der Besucher fremd.

      Sicher bis zur Arroganz, geschickt zurechtgemacht, demonstriert die Eintretende, daß sie sich sehen lassen kann und will. Von dem gewissen Etwas hat sie etwas viel, doch das mögen Herren ohne Damenbegleitung zumindest in einer Messestadt. Während die Schöne von einem fünfzigjährigen Begleiter – er wirkt wie ein Mann, der sich ein solches Luxusgeschöpf leisten kann – an die Bar geleitet wird, vergreifen sich die Augen vieler Umsitzenden an ihren überlangen Beinen. Die pikante Unbekannte bewegt sich lässig und geschmeidig, passiert den Tisch, an dem Gremlitzka und Gärig sitzen. Die tiefdekolletierte Versucherin erkennt den AUWAG-Produzenten und nickt ihm in einer fast unmerklichen, ungemein diskreten Art zu, bevor sie sich auf dem Barhocker niederläßt.

      »Superb«, stellt Gremlitzka mit Stielaugen fest. »Wirklich ganz exzellent. Du kennst diese Gazelle, Auwa?«

      »Allerdings.«

      »Näher?«

      »Nahe genug«, erwidert Gärig mit einem gewissen Lächeln. »Interessiert sie dich, Eugen?« fragt er spöttisch. »Da kann ich dir helfen: Die Lady schätzt Verschwender mehr als Geizkrägen. Sie mag keine Herren, die auf ihrer Brieftasche hocken oder das Gesäß zu tief unten tragen.«

      »Und wer ist sie?« fragt Gremlitzka.

      »Evamarie Dutscheweit«, entgegnet Gärig. »Knapp unter dreißig. Sie hat ein elegantes, zweistöckiges Apartment ganz in der Nähe, trägt sündteure Pelzmäntel, besitzt wertvollen Schmuck, sie fährt einen Supersportwagen, verfügt über Wertpapiere und lebt davon, daß sie von ihrer Schönheit Gebrauch macht.«

      »Und ihr Begleiter?«

      »Vermutlich einer der wenigen, die sehr viel Geld haben und es auch ausgeben«, erwidert Gärig. »Er führt mit Sicherheit einen Namen von Rang und Klang. Die Dame zeigt sich selten in der Öffentlichkeit, und wenn sie sich sehen läßt, dann nur in Begleitung von sehr bedeutenden Persönlichkeiten.«

      »Woher kennst du diese blonde Pracht?«

      »Ich hab’ ihr vor einiger Zeit Probeaufnahmen vorgeschlagen.«

      »Abgeblitzt?« fragt Gremlitzka.

      »Sie hatte keine Ambitionen für den Film«, entgegnet der Traumfabrikant. »Sie behauptete, auf ihre Art mehr Geld zu verdienen.«

      »Vielleicht warst du nur zu geizig.«

      »Ich hab’ ihr so viel angeboten, wie in der Kalkulation überhaupt drin war«, versetzt Gärig. »Ich will doch nicht mit ihren Sponsoren, diesen Geldsäcken, von denen sie lebt, konkurrieren und mich dabei ruinieren!«

      »Ist sie ein Callgirl?« fragt ihn Gremlitzka direkt.

      »Das ist gewaltig untertrieben«, entgegnet der Gedrungene mit dem schnellen Verstand und der angeborenen Schläue. »Auf ihrem Nachttisch steht zum Beispiel ein Foto von einem der Krupps aus Essen und –«

      »Woher weißt du das?«

      »Unterschätz mich nicht«, versetzt Gärig großartig.

      »Das war also drin in deiner Kalkulation?«

      »Motivsuche«, erklärt er. »Die Dame ist käuflich, aber unbezahlbar. Ihre Klientel stammt aus Hochfinanz und Schwerindustrie. Die Namen ihrer Stammkunden lesen sich wie ein Auszug aus dem Wirtschafts-›Who’s who‹. Evamarie Dutscheweit ist die zur Zeit gefragteste und teuerste Mätresse, die Wirtschaftswundernutte schlechthin.«

      Unentwegt betrachtet der Verleihgewaltige von der Seite die unbezahlbare Käufliche, aber seine Blicke laufen von ihr ab wie Regentropfen von einer Gummihaut.

      »Wolltest du nicht mit mir über die neue Machart meiner künftigen Filme sprechen, Eugen?« fragt der Produzent süffisant.

      »Nun werd doch nicht gleich sauer, Auwa«, entgegnet der Luna-Chef und läßt widerwillig den Blick von der sündteuren Blondine. »Ich weiß nur zu gut, daß deine Filme von Jahr zu Jahr mehr Geld eingespielt haben. Im Prinzip sollst du ja auch so weitermachen, aber doch – mit aller Vorsicht natürlich – bei einem oder zwei Projekten neue Wege gehen und dabei langsam eine neue Geschmacksrichtung testen.« Er betrachtet sein Gegenüber. »Geh nicht gleich in die Luft, Auwa, hör mir zu: Ich meine weg von den Feld-Wald-Wiesen- und HerzSchmerz-Arien. Mehr Würze, mehr Schärfe, mehr Realität, mehr Tiefe.« Der blasse Beau zündet sich eine Zigarette an und greift nach seinem Chivas. »Gewitztere Autoren, raffiniertere Drehbücher. Keine faden Happy-Ends«, fährt er fort. »Neue Gesichter, interessantere Schauplätze. Die Italiener haben sich den Neoverismus einfallen lassen, die Franzosen operieren mit der ›Neuen Welle‹. Und Hollywood dreht bald nur noch Cinemascope in Farbe. Da können wir doch nicht weitermachen im Wald und auf der Heide, in grünen Tälern und auf romantischen Bergen, mit prallen Sennerinnen, mit der Försterchristel, der Schützenliesel, mit dem Heideschulmeister und Sissi, der Kaiserin aller Herzen.«

      »Du redest ja schon wie ein Filmkritiker, Eugen«, erwidert Gärig. »Du nimmst von der AUWAG das ordinäre Geld und von diesen besserwisserischen Zeilenschindern den verfeinerten Geschmack. Nörgeln, aber kassieren.«

      »Und sei dir darüber im klaren, Auwa«, fährt Gremlitzka unbeirrt fort, »daß der Boykott, den wir über das Fernsehen verhängt haben, zusammenbrechen wird wie ein alter Karrengaul.«

      »Ich hör’ das Gras wachsen, und ich bin flexibel, Eugen«, versetzt der Exponent von Papas Kino. »Wenn sich der Publikumsgeschmack ändert, schalt’ ich sofort um.«

      »Dann ist es zu spät«, unkt Gremlitzka. »Star ist künftig der Stoff – und du stehst dann mit einem Schrank voller Klamotten da. Stell dich doch nicht so stur – es ist doch keine Kritik, sondern ein Vorschlag. Versuch’s einfach mal anders, wir von der Luna ziehen voll mit. Du hast doch genügend Geld gemacht – und wenn’s ein Flop wird, zahlt’s das Finanzamt.«

      »AUWAGs Hausregel Nummer eins: Bei uns gibt es keine Flops. Wer etwas produziert, was nicht ankommt, fliegt – ich dreh’ doch nicht für die Blindenanstalt.«

      »Ein Fehlschlag kostet dich nicht mehr als deine letzte Scheidung«, hält ihm Gremlitzka das rote Tuch vor.

      »Ich treib’s ja auch nicht auf Armenrecht wie du«, kontert Gärig giftig. »Und wenn du dich auf geschäftliche Abenteuer einlassen willst, dann wende dich gefälligst an einen anderen Produzenten. Bei mir gilt: Keine Experimente. Hat nicht der Alte von Rhöndorf gerade mit dieser Parole die absolute Mehrheit gewonnen?«

      »Kunststück«, erwidert der Verleihchef. »Der Export floriert, die Gewinne explodieren. Keine Arbeitslosen, auch keine Kurzarbeit. Statt zu hungern fressen die Volksgenossen jetzt Entfettungspillen. Jeder hat eine Wohnung und arbeitet nur noch fünf Tage in der Woche. Und die Alten, Rentner und Kranken, die auf der Strecke bleiben, sind ja keine organisierte Wählermasse. Aber die Bäume werden nicht in den Himmel wachsen, und beim ersten Rückschlag heißt es nicht mehr: ›Keine Experimente.‹ Darauf kannst du jetzt schon Gift nehmen.«

      »Das mag schon sein«, entgegnet Gärig. »Aber solange alles so bleibt, wie es ist, stricke ich meine sieben, acht Filme jährlich nach der bisherigen Erfolgsmasche.«

      Der Aufbruch der Evamarie Dutscheweit beendet das Streitgespräch. Der Blickfang läuft Spießruten durch eine Allee männlicher Huldigung. Die Blicke und Wünsche vieler Größen des Filmgeschäfts geleiten sie hinaus und folgen ihr im Geist bis zu ihrer Maisonette-Wohnung.

      »Mensch, Gärig«, sagt der Luna-Chef. »Das war doch eine prächtige Idee, diesen Wonnebrocken auf die Leinwand zu bringen. Warum hast du sie nur so schnell aufgegeben? Diese Luxusbiene ist genau, was wir suchen«, begeistert er sich. »Ich schaff’ das, was dir mißlungen ist: Ich stell’ sie vor die Kamera! Sie hat halt das, was die Leute sehen wollen, die sich so einen Leckerbissen nicht leisten können: vulgäre Dezenz, schräge Eleganz, geile Unnahbarkeit,