Amanda Cross

Die letzte Analyse


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wissen, und selbst wenn die Polizei ihr Bestes tut – was sie mir versprochen hat –, werden die Zeitungen berichten, dass er eine Frau hat und zwei Kinder, ganz zu schweigen davon, dass er verdächtigt wird, eine Patientin auf der Couch erstochen zu haben, und ich kann mir nicht vorstellen, wie wir das jemals überstehen werden, selbst wenn Emanuel nicht ins Gefängnis kommt, auch wenn die zweifellos einen brillanten Psychoanalytiker im Gefängnis gut gebrauchen könnten, aber wenn Emanuel vorgehabt hätte, die Seele des Kriminellen zu studieren, dann wäre er von Anfang an vor Ort gewesen. Wenn er das getan hätte, wüsste er jetzt vielleicht auch, wer es war. Ich sage ihm ständig, es muss einer seiner Patienten gewesen sein, und er sagt dazu die ganze Zeit: ›Lass uns darüber nicht diskutieren, Nicola‹, und ich soll eigentlich mit niemandem darüber reden, außer vielleicht mit Mutter, die alles um sich scharen will, aber sie sieht dabei so furchtbar tapfer aus, aber Emanuel hat gesagt, mit dir darf ich reden, weil du den Mund halten kannst und ein gutes Ventil bist. Für mich, meine ich.«

      »Ich hole dir einen Sherry«, sagte Kate.

      »Also, jetzt fang nicht an, ›vernünftig‹ zu werden, oder ich schreie. Pandora ist vernünftig mit den Jungen, und das bin ich auch, aber ich brauche jetzt jemanden, der sich zu mir setzt und mit mir jammert.«

      »Ich bin nicht ›vernünftig‹, sondern selbstsüchtig. Ich könnte nämlich selbst einen Drink gebrauchen. In der Küche? Gut, bleib hier, ich hole ihn. Du legst dir inzwischen zurecht, wie du mir alles am besten erzählst, und zwar von Anfang an …«

      »Ich weiß, von Anfang bis Ende und dann halt! Wir brauchen bestimmt einen Red King, nicht wahr? Das entspricht ziemlich der Lage.«

      Während Kate in die Küche ging und mit den Getränken zurückkam, wobei sie erst durch den Türspalt lugte, um sicher zu sein, dass der Weg frei war (es wäre nicht gerade empfehlenswert, einem Patienten zu begegnen, mit einem Glas in jeder Hand), überlegte sie sich, was für Dinge sie Nicki entlocken müsste, wenn sie die ganze Affäre annähernd begreifen wollte. Sie hatte sich bereits entschlossen, Reed im Büro der Staatsanwaltschaft anzurufen und ihn zu erpressen (wenn es nötig sein sollte), damit er ihr erzählte, was die Polizei bereits wusste, aber inzwischen war es das Vernünftigste, erst einmal die Fakten zu sammeln. Mit ihrer seltsamen Fähigkeit, sich selbst quasi von außen zu betrachten, bemerkte Kate voller Interesse, dass sie den Mord bereits als Tatsache hingenommen hatte, dass der Schock vorbei war und sie nun das Stadium erreicht hatte, in dem ein geplantes Vorgehen möglich war.

      »Also«, sagte Nicki und nippte mechanisch an ihrem Sherry, »es begann wie an jedem anderen Tag.« (Das tun alle Tage, dachte Kate, aber wir bemerken es nicht, wenn sie nicht auch so enden wie jeder andere Tag.) »Emanuel stand mit den Jungen auf. Es ist die einzige Zeit, zu der er sie wirklich sieht, bis auf gelegentliche Augenblicke im Laufe des Tages, und sie haben alle zusammen in der Küche gefrühstückt. Um acht Uhr hatte er nämlich einen Patienten, und um zehn Minuten vor acht schob er die Jungen in ihr Zimmer, wo sie spielten, obwohl ruhiges Spielen für sie nicht mehr das Richtige ist, während ich meinen unterbrochenen Schlaf bis neun Uhr fortsetzte …«

      »Du meinst, Emanuel hat um acht Uhr morgens schon einen Patienten?«

      »Natürlich, das ist die beliebteste Stunde von allen. Wer zur Arbeit geht, muss entweder vorher kommen, in der Mittagspause oder nach der Arbeit am frühen Abend, und das ist auch der Grund, warum Emanuels Arbeitstag, und wahrscheinlich der aller Psychiater, sich an beiden Enden so hinzieht. Natürlich hat Emanuel im Moment fünf Patienten am Morgen, aber das ist eine sehr schlechte Vereinbarung, und er hat vor – also, er hatte vor –, einen Patienten von zehn Uhr morgens auf den Nachmittag zu verlegen, sobald er, der Patient, seinen Zeitplan entsprechend ändern kann. Jetzt ist die Elf-Uhr-Patientin weg, wahrscheinlich werden alle anderen folgen.«

      »Die Elf-Uhr-Patientin war Janet Harrison?«

      »Kate, glaubst du, dass sie eine Vergangenheit gehabt hat? Sie muss doch eine Vergangenheit gehabt haben, nicht wahr, wenn jemand ihr gefolgt ist und sie in Emanuels Praxis umgebracht hat? Ich sage immer wieder, dass jeder in der Analyse höchstwahrscheinlich seine Vergangenheit erwähnt, und warum, zum Teufel, erzählt Emanuel der Polizei nichts über sie, ja, natürlich, es muss wie das Beichtgeheimnis gewahrt werden, aber jetzt ist das Mädchen schließlich tot und Emanuel in Gefahr …«

      »Nicki, Liebes, sie muss keine Vergangenheit gehabt haben. Eine Gegenwart tut es auch, oder sogar eine Zukunft, die jemand verhindern wollte. Ich hoffe nur, dass, wer immer es getan hat, auch tatsächlich sie ermorden wollte. Ich meine, wenn die Polizei nun nach einem Lustmörder suchen müsste, den es beim Anblick eines Mädchens auf einer Couch überkommen hat; der zufällig hereinkam und nicht einmal wusste, wer sie war – also, das wäre wirklich eine absurde Vorstellung. Zurück zu gestern Morgen. Emanuel hatte Patienten um acht, neun, zehn, elf: und zwölf?«

      »Er erwartete diese Patienten. Wie sich herausstellte, hatten die Patienten für elf und zwölf Uhr abgesagt, oder Emanuel glaubte, sie hätten abgesagt, dabei sind sie natürlich gekommen, und darum habe ich ja auch zufällig die Leiche gefunden, weil der Zwölf-Uhr-Patient …«

      »Nicki, bitte der Reihe nach. Wichtig ist, dass du nichts auslässt, egal wie normal und unwichtig es erscheint. Wie viele Patienten hat Emanuel übrigens insgesamt? Ich meine, wie viele hatte er bis gestern Morgen?«

      »Ich weiß es nicht genau. Emanuel spricht nie über seine Arbeit. Ich weiß, dass er nie mehr als acht pro Tag hat, aber natürlich können sich nicht alle leisten, täglich zu kommen, also hat er im Ganzen wahrscheinlich zehn oder zwölf. Ich weiß es nicht, du musst Emanuel danach fragen.«

      »In Ordnung, wir sind jetzt bei neun Uhr vormittags am gestrigen Tag, als du aus deinem unterbrochenen Schlaf aufwachtest.«

      »Neun Uhr fünfzehn, genau genommen. Dann stürzen die Kinder und ich in die Küche, wo ich mein erstes Frühstück einnehme und die beiden ihr zweites. Da trödeln wir dann ziemlich vor uns hin, und ich mache gewöhnlich meine Einkaufs- und Besorgungslisten, rufe den Metzger an und manchmal meine Mutter und so weiter. Du weißt ja, wie so ein Vormittag verläuft.«

      »Wann kommt Pandora?«

      »Ach ja, Pandora ist dann schon da. Tut mir leid, ich vergesse immer etwas. Pandora kommt um neun. Normalerweise ist sie in der Küche, wenn ich mit den Jungen hereinkomme. Wenn die mir dann das meiste von meinem Frühstück wegprobiert haben, sie das Geschirr abgeräumt hat und so weiter, zieht Pandora die beiden an, und sie gehen nach draußen, es sei denn, es regnet. Es gibt da so eine Gruppe, mit der sich Pandora im Park trifft. Ich habe keine Ahnung, was das für Kinder sind, wie alt, welches Geschlecht und welche Nationalität, aber den Jungen scheint es zu gefallen, und Pandora ist natürlich ein guter Geist, den man unter Denkmalschutz stellen müsste, vor allem jetzt hat sie sich ja …«

      »Es ist jetzt ungefähr zehn Uhr morgens, und die Kinder haben gerade mit Pandora das Haus verlassen.«

      »Kurz nach zehn, genau genommen. Das ist jedenfalls die Regel. Dann fange ich an, mich anzuziehen und so weiter, weil ich spätestens um zwanzig vor elf aus dem Haus muss, um pünktlich zu meiner Analyse zu kommen, aber meistens gehe ich ein bisschen früher, um noch ein oder zwei Besorgungen auf dem Weg zu machen.« Auch Nicki machte eine Analyse, aber warum genau, hatte Kate nie feststellen können. Es hatte irgendetwas mit dem Verständnis für ihren Ehemann und mit der Anteilnahme an seinem Beruf zu tun, aber offenbar hatte Nicki auch ein großes Bedürfnis, eine Reihe bestimmter Probleme aufzuarbeiten; das wichtigste war wohl das, das Nicki als ihre »Angstattacken« bezeichnete. Kate hatte nie genau herausbekommen, was eine Angstattacke war, obwohl sie begriffen hatte, dass es etwas Schreckliches und sein Hauptcharakteristikum die Tatsache war, dass es gerade gar nichts gab, wovor man hätte Angst haben müssen. Soll heißen: nichts Rationales. Zum Beispiel, hatte Nicki erklärt, könnte ein Mensch eine Angstattacke in einem Fahrstuhl bekommen, er würde dann eine furchtbare Angst davor bekommen, dass der Fahrstuhl abstürzen könnte; aber auch wenn man ihm mit absoluter Sicherheit beweisen könnte, dass ein Absturz des Fahrstuhls gar nicht möglich wäre, und er selbst auch genau wissen mochte, dass er nicht abstürzen könnte, würde ihm das alles nicht gegen seine Angstattacke helfen. Kate hatte auch begriffen, dass das Opfer dieser Angstattacke sich nicht schon