Recht auf Kindergrundsicherung
Kitas und Schulen angemessen fördern
Investitionen in Kinder zahlen sich für alle aus
Soziale Sicherheit gerecht finanzieren
Welche Schultern tragen welche Last?
Handwerker haben keinen Firmensitz im Ausland
Steuern halten ein Land zusammen
Exkurs: Wer zahlt eigentlich die Kosten der Corona-Krise?
»Die letzte Million ist nicht so wichtig«
Staatliche Hilfe nicht nur für Arme
Sicherheit auch für Selbständige
Sozialversicherung schafft Werte
Das Privileg der Festanstellung
Nach der Krise ist vor der Krise
Soziale Sicherung bedeutet gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität
Soziale Sicherung: Ein Verfassungsauftrag
EINLEITUNG: WAS MICH ANTREIBT
Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
haben Sie gestern beim Frühstück die Zeitung gelesen, Radio gehört oder abends die Nachrichten im Fernsehen gesehen? In den Medien sind Rente, Pflege, Kinderarmut und die Finanzierung von Krisen täglich Thema. Chronisch Kranke, ältere Menschen am Existenzminimum, Solo-Selbstständige, Familien mit geringem Einkommen: Viele von ihnen sind auf staatliche Sicherungssysteme angewiesen. Wie man diese neu gestalten kann, dazu werde ich in diesem Buch sehr konkrete Vorschläge machen.
Zunächst möchte ich auf den folgenden Seiten erklären, warum ich mich heute so intensiv mit Politik beschäftige, was mich geprägt hat und was mich antreibt. Lassen Sie mich also kurz damit beginnen, wo ich herkomme. Dies hilft zu verstehen, woher mein starker Wille und mein Wunsch nach politischer Veränderung kommen.
Aufgewachsen bin ich in einer liebevollen Familie mit zwei Brüdern und meinen Eltern auf einem wunderschönen Bauernhof am Bodensee. Unsere Eltern haben uns Kindern vertraut und uns etwas zugetraut, und dieser Rückhalt half mir, manche Startschwierigkeiten gut zu meistern. Ich bin blind von Geburt an. Das bedeutet, dass ich nur Licht wahrnehmen kann. Und es bedeutet auch, dass mir viele Menschen zunächst nicht zugetraut haben, dass ich Leistung bringen und Ziele erreichen kann.
Mein Glück waren einerseits meine Eltern, die mich gefördert haben, und andererseits mein sportliches Talent, das in meiner Schule früh erkannt wurde.
Ich habe schon früh gemerkt, wie wichtig gesellschaftliche Unterstützung für mich ist. In der Schule für blinde Kinder wurde mein erstes Sprachprogramm für den Computer damals von der Krankenkasse bezahlt. Als ich erfuhr, was das kostet, war ich geschockt: Das hätte ich mir als Schülerin nie selbst leisten können. Der Zugang zu entsprechender Technologie und der Umgang damit waren jedoch eine wichtige Grundlage für mich – ebenso wie für alle anderen Kinder und Jugendlichen seit den 1990er-Jahren. Nur mithilfe dieser Unterstützung konnte ich in der Schule so viel technisches Verständnis entwickeln, dass ich an der Universität problemlos in den Vorlesungen mitschreiben und Bücher scannen konnte, um sie mir anschließend vorlesen zu lassen. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder das Recht hat, sein Potenzial zu entfalten. Für dieses Recht kämpfe ich. Ich glaube, dass alle Menschen tief im Herzen motiviert sind, etwas zu leisten. Doch nicht alle haben den familiären Hintergrund, jemanden, der ihre Fähigkeiten erkennt und fördert, und die erforderliche Portion Glück, um aus eigener Kraft ihr Leben zu meistern. In unser aller Leben gibt es Situationen, in denen wir auf Unterstützung angewiesen sind: von unserem Umfeld, aber eben auch vom Staat. Ein funktionierender Sozialstaat und eine gerechte Gesellschaft sind wir, wenn wir zusammenhalten, füreinander eintreten und uns gegenseitig helfen. So haben alle Menschen die Möglichkeit, ihre Potenziale auszuschöpfen.
Mit zehn Jahren habe ich angefangen, Skirennen zu fahren, Skilanglauf wurde meine große Leidenschaft. Bei den Wettkämpfen hatte ich einen Begleitläufer, der mir die Richtung angesagt hat. Ohne Begleitläufer hätte ich keine meiner zwölf paralympischen Goldmedaillen gewinnen können.
Und ohne die Unterstützung staatlicher Sicherungssysteme könnten noch weniger Menschen sich medizinische Behandlung oder Pflege leisten oder im Alter ihre Miete bezahlen.
Klar wurde mir dies, nachdem ich über den Sport den Weg in die Politik gefunden hatte. Im Jahr 2012 engagierte ich mich in München politisch für Sport und Inklusion. In dieser Zeit erwachte mein Interesse an Sozialpolitik. Besonders spitzte ich die Ohren, wenn Experten über Arbeitsmarkt und Rente referierten. Damals habe ich für mich erkannt: Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist ein Teil des großen Ganzen. Und ich will das große Ganze verändern, ich möchte unsere Gesellschaft fairer machen und, wie im Sport, alles geben, damit jeder Mensch die Chance auf ein gutes Leben hat. Mehr und mehr begann sich damals für mich abzuzeichnen, worum es mir bis heute geht; wusste ich, was ich wollte: Sozialpolitik machen, mich einbringen, mich einmischen! Ich will die ganz großen Fragen von Gerechtigkeit und Solidarität diskutieren und unser Land voranbringen.
Seit 2018 bin ich nun Präsidentin des Sozialverbands VdK. Diese Aufgabe gibt mir die Möglichkeit, mit Politikern über ganz konkrete Gesetzesentwürfe zu diskutieren. In diesem Buch möchte ich etwas grundsätzlicher werden und meine Vision für einen Sozialstaat für alle präsentieren. Der Sozialstaat ist etwas, worauf wir in Deutschland stolz sein können und was uns alle verbinden sollte. Daher sollten auch alle Bürger einbezogen werden – indem sie, so wie sie können, Beiträge zahlen und, wenn sie es benötigen, Leistungen erhalten. Wem es gut geht, der kann