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Illustration: Swen Papenbrock
Die Skulptur trug nicht bloß die Züge von Shara Verner, einem Besatzungsmitglied der ROMEO CHO. Die Skulptur war Shara Verner, wie er gefangen in einer beinahe hautengen Hülle.
Sie sah zu ihm herüber, blickte ihm direkt in die Augen, lächelte ein wenig. Doch das Lächeln wirkte traurig, verzweifelt und voller Schmerz. Ihre Lippen bewegten sich, als spräche sie, aber Overgaard hörte ihre Worte nicht.
In diesem Augenblick trat jemand zwischen ihn und Shara, gut drei Meter groß mit für menschliche Begriffe überdimensioniert langen Beinen. In einer der sechsfingrigen Hände lag eine Apparatur, ein Kästchen, womöglich eine Steuerung. Ein Finger huschte darüber, und der Neuankömmling glitt in die Tiefe.
Eine perspektivische Täuschung, begriff Thies Overgaard. Nicht der Neuankömmling sank herab, sondern er selbst stieg in die Höhe, bis er in das Gesicht des Wesens sehen konnte. Aus einem spitz nach hinten verlaufenden ovalen Kopf mit silbrig-blauem Fell starrten ihm zwei große, blaue Augen entgegen. Der Mund war nach vorne gestülpt und wies leichte Trichterform auf.
Ein Gharse. Aber nicht irgendeiner, sondern der, der ihn ...
Der Nebel in Overgaards Gedächtnis riss ein wenig auf. Er erinnerte sich, dass er zwischen dem Angriff auf die ROMEO CHO und dem ersten Erwachen in diesem Museum nicht ununterbrochen ohnmächtig gewesen war. Gelegentlich war er in einen Zustand schläfriger Benommenheit gewechselt, weiterhin gelähmt, aber mit schmerzenden Gliedern wie bei einem fürchterlichen Muskelkater.
Bilder und Töne trudelten durch seinen Geist, fanden sich zusammen, formten sich zu einer Erinnerung: ein Gharse, der sich über ihn beugte, eine Hand nach ihm ausstreckte, ihm mit dem Finger über die Stirn strich, wie er fünf oder sechs Stunden – oder einen Tag? – später über die kästchenförmige Steuerung streichen würde, ihm in die Wange kniff und sagte: »Ich beanspruche dieses hier.«
Vor Overgaard stand der Gharse, der ihn gefangen genommen hatte. Oder gejagt? Erbeutet?
Er fühlte Hitze in sich aufkochen. Für einen Augenblick glaubte er, dass die Gefängnishaut unter seinem Atem und der Wut, die aus den Poren seines Körpers sickerte, beschlug und ihm die Sicht raubte, doch dann bemerkte er, dass es Tränen waren, die ihm den Blick verschleierten.
Wie gerne hätte er dieser Kreatur seinen Hass entgegengeschleudert, sie beleidigt und beschimpft, einfach nur um Dampf abzulassen und dieses fürchterliche Gefühl loszuwerden, innerhalb der Kunsthaut vor Verzweiflung zu platzen.
»Wo bin ich?«, fragte er stattdessen. Overgaard hatte einen langen, schmerzhaften Weg seit Troja-Stigma beschreiten müssen, aber wenn er auf diesem Weg eines gelernt hatte, dann, dass es nur selten half, seine Emotionen explosionsartig zu entladen. Egal, wie befreiend es sich anfühlen mochte. »Warum tut ihr uns das an?«
Die Worte kamen nuschelig aus seinem Mund. Wie es sich eben anhörte, wenn man mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt war und beim Sprechen den Unterkiefer nur um einen Millimeter bewegen konnte, ehe er an die Grenze des Kerkers stieß.
»Erspar dir die Mühe, mit mir reden zu wollen«, sagte der Gharse. »Das Dhosdru lässt keinen Laut von innen nach außen, solange ich es nicht gestatte. Und weshalb sollte ich mich mit den Nichtigkeiten befassen, die du von dir gibst?«
Overgaard wusste nicht, ob der Gharse seine Sprache sprach, ob er einen Translator benutzte oder ob gar die ihn umgebende Hülle übersetzte. Das Dhosdru, wie sein Kerkermeister es genannt hatte.
»Was willst du von mir?«, brachte er hervor. Sicher, der Gharse hörte ihn nicht, dennoch konnte er es sich nicht verkneifen.
»Es dürfte für dich nicht von Bedeutung sein«, fuhr das Wesen jenseits des Dhosdru fort, »aber die Höflichkeit gebietet es, dass ich mich dir vorstelle. Mein Name lautet Mhassrod. Ich bin dein Besitzer.«
Besitzer? Der Begriff hallte mit der Gewalt eines Glockenschlags durch Overgaards Bewusstsein. Seine Knie wurden weich, und vielleicht wäre er in sich zusammengesackt, hätte ihn die künstliche Haut nicht in seiner Position festgehalten.
»Ich bin enttäuscht von dir«, sagte Mhassrod. »Selbstverständlich weiß ich, dass Exponate häufig eine gewisse Zeit der Eingewöhnung brauchen, ehe sie eine Zierde für die Galerie darstellen. Du jedoch bist eine Schande! Warum nur habe ich mir ausgerechnet dich ausgesucht?«
Etwas zerbrach in Overgaard. Wut und Hass auf den Gharsen waren wie weggeblasen, stattdessen fühlte er sich ... schuldig? Plötzlich wünschte er sich nichts dringender, als seinem Besitzer zu gefallen. Dann käme der vielleicht gelegentlich vorbei, betrachtete ihn, spräche zu ihm und, ja, öffnete auf diese Art ein winziges Tor nach draußen.
Als sich Overgaard dieser Gedanken bewusst wurde, kehrten Hass und Wut zurück, doch diesmal richteten sie sich gegen ihn selbst. Wie konnte er sich nur so erniedrigen?
»Warum?«, flüsterte er. Die Tränen, die sich während der letzten Minuten in seinen Augen gesammelt hatten, liefen über und perlten ihm an den Wangen hinab. »Warum bin ich eine Schande?«
»Die Medikamente, die das Dhosdru bisher auf dich verwenden musste«, sagte Mhassrod, als würde er Overgaards Frage beantworten, »haben meine letzten fünf lebenden Exponate zusammen nicht verbraucht. Die halbe Besatzung der KUPFER & GRANIT verspottet mich deswegen. Ich weiß nicht, welche Lebenserwartung Exponate deiner Spezies haben, aber diesen Aufwand kann ich unmöglich bis zu deinem natürlichen Tod ...«
Der Rest des Satzes schwamm bedeutungslos an Overgaard vorbei, denn die letzten Worte übertönten alles, was danach noch kam.
Bis zu deinem natürlichen Tod.
So lange wollten sie ihn in dieser Hülle eingeschlossen lassen? Nein, das konnten die Gharsen nicht machen. Das durften sie nicht!
Sein Magen zog sich zusammen. Das Herz setzte einen Augenblick aus und raste danach umso schneller. Die Muskulatur im Rücken verspannte sich.
»Nein!«, schrie er. »Nein! Nein! Nein!«
Er wollte um sich schlagen, prallte aber sofort gegen die Gefängnishaut, woraufhin sich die Muskulatur noch mehr verspannte.
»Geht das schon wieder los!«, sagte Mhassrod. »Was soll ich nur mit dir machen?«
Overgaard hätte durchaus eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung vorschlagen können.
Lass mich frei!
Doch ehe sich die Worte formten, fühlte er ein Kribbeln im Nacken. Ein Geruch nach Kampfer und Alkohol kroch zwischen ihm und dem Dhosdru entlang und drang ihm in die Nase.
Ich bekomme meine Medizin, dachte er noch, dann schwanden ihm die Sinne.
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