mache, so sei dies, nächst Gott, einem Höheren zu danken, dessen erhabene Weisungen er seinerseits in freudigem Gehorsam ausführe ... Alle, auch Kunze und Kühnchen, waren bewegt. Es war ein großer Abend. Diederich stiftete einen Pokal – und er hielt eine Rede, worin er die Schwierigkeiten berührte, denen die neue Militärvorlage im Reichstage begegnete. „Einzig unser scharfes Schwert“, rief Diederich aus, „sichert unsere Stellung in der Welt, und es scharf zu erhalten, ist der Beruf Seiner Majestät des Kaisers! Wenn der Kaiser ruft, wird es herausfliegen aus der Scheide! Die Gesellschaft im Reichstag, die da was dreinreden will, mag sich hüten, daß es sie nicht zuerst [pg 262]trifft! Mit Seiner Majestät ist nicht zu spaßen, meine Herren, das kann ich Ihnen nur sagen.“ Diederich blitzte, und er nickte schwerwiegend, als wüßte er manches. Im selben Augenblick kam ihm wirklich ein Einfall. „Neulich auf dem Brandenburgischen Provinziallandtag hat der Kaiser dem Reichstag den Standpunkt klargemacht. Er hat gesagt: ‚Wenn die Kerls mir meine Soldaten nicht bewilligen, räum’ ich die ganze Bude aus!‘“ – Das Wort erregte Begeisterung; und als Diederich allen, die ihm zutranken, nachgekommen war, hätte er nicht mehr sagen können, ob es von ihm selbst war oder nicht doch vom Kaiser. Schauer der Macht strömten aus dem Wort auf ihn ein, als wäre es echt gewesen ... Tags darauf stand es in der „Netziger Zeitung“ und schon am Abend im „Lokal-Anzeiger“. Schlechtgesinnte Blätter verlangten ein Dementi, aber es blieb aus.
V.
Noch schwellten solche Hochgefühle Diederichs Brust, da bekamen Emmi und Magda eine Einladung von Frau von Wulckow, nachmittags zum Tee. Es konnte nur wegen des Stückes sein, das die Regierungspräsidentin beim nächsten Fest der „Harmonie“ aufführen ließ. Emmi und Magda sollten Rollen bekommen. Freudegerötet kehrten sie heim: Frau von Wulckow war überaus gnädig gewesen; eigenhändig hatte sie ihnen immer wieder Kuchen auf den Teller gelegt. Inge Tietz mochte platzen. Offiziere spielten mit! Man brauchte besondere Toiletten; wenn Diederich vielleicht glaubte, daß sie mit ihren fünfzig Mark –. Aber Diederich eröffnete ihnen einen unbegrenzten Kredit. Nichts von dem, was sie kauften, fand er schön genug. Das Wohnzimmer lag voll von Bändern und künstlichen Blumen, die Mädchen verloren den Kopf, weil Diederich ihnen dreinredete: da kam Besuch, Guste Daimchen.
„Ich habe doch der glücklichen Braut noch gar nicht richtig gratuliert“, sagte sie und versuchte gönnerhaft zu lächeln; aber ihre Augen gingen besorgt über die Bänder und Blumen. „Das ist wohl auch für das dumme Stück?“ fragte sie. „Wolfgang hat davon gehört, er sagt, es ist unerhört dumm.“ Magda erwiderte: „Dir muß er es doch sagen, weil du nicht mitspielst.“ Und Diederich erklärte: „Damit entschuldigt er sich dafür, daß Sie seinetwegen bei Wulckows nicht eingeladen werden.“ Guste lachte geringschätzig. „Auf Wulckows verzichten wir, aber zum Harmonieball gehen wir gerade.“ Diederich fragte: [pg 264]„Wollen Sie den ersten Eindruck des Prozesses nicht lieber vorübergehen lassen?“ Er sah sie teilnehmend an. „Liebes Fräulein Guste, wir sind so alte Bekannte, ich darf Sie wohl darauf hinweisen, daß Ihre Verbindung mit den Bucks Ihnen jetzt in der Gesellschaft nicht gerade nützt.“ – Guste zuckte mit den Augen, man sah, sie hatte sich das schon selbst gedacht. Magda bemerkte: „Gott sei Dank, mit meinem Kienast ist es nicht so.“ Worauf Emmi: „Aber Herr Buck ist interessanter. Neulich bei seiner Rede hab’ ich geweint, wie im Theater.“ – „Und überhaupt!“ rief Guste ermutigt. „Erst gestern hat er mir diese Tasche geschenkt.“ Sie hielt den vergoldeten Sack empor, nach dem Emmi und Magda schon lange schielten. Magda sagte spitz: „Er hat wohl viel verdient mit der Verteidigung. Kienast und ich, wir sind für Sparsamkeit.“ Aber Guste hatte ihre Genugtuung gehabt. „Dann will ich auch nicht länger stören“, sagte sie.
Diederich begleitete sie hinunter. „Ich bringe Sie nach Haus, wenn Sie artig sind,“ sagte er, „aber vorher muß ich noch einen Blick in die Fabrik tun. Gleich wird Schicht gemacht.“ – „Ich kann ja mitgehen“, meinte Guste. Um ihr zu imponieren, führte er sie geradeswegs zu der großen Papiermaschine. „So was haben Sie wohl noch nicht gesehen?“ Und mit Wichtigkeit erläuterte er ihr das System von Bassins, Walzen und Zylindern, worüber hin, durch die ganze Länge des Saales, die Masse floß: zuerst wässerig, dann immer trockener – und am Ende der Maschine lief auf großen Rollen das fertige Papier ... Guste schüttelte den Kopf. „Nein so was! Und der Krach, den sie macht! Und die Hitze hier!“ Diederich, mit seiner Wirkung noch nicht zufrieden, fand einen Grund, um die Arbeiter anzudonnern; und wie Napoleon Fischer dazu[pg 265]kam, war nur er schuld! Beide schrien gegen den Lärm der Maschine an, Guste verstand nichts; aber Diederichs geheime Angst sah in dem dünnen Bart des Maschinenmeisters immer das gewisse Grinsen, das an seine Mitwisserschaft in der Angelegenheit des Holländers erinnerte und die offene Verleugnung jeder Autorität war. Je heftiger Diederich sich gebärdete, desto ruhiger ward der andere. Diese Ruhe war Aufruhr! Schnaufend und bebend öffnete Diederich die Tür zum Packraum und ließ Guste eintreten. „Der Mann ist Sozialdemokrat!“ erklärte er. „So ein Kerl wäre imstande, hier Feuer zu legen. Aber ich entlass’ ihn nicht: nun gerade nicht! Wollen sehen, wer der Stärkere ist. Die Sozialdemokratie nehme ich auf mich!“ Und da Guste ihn bewundernd ansah: „Das hätten Sie wohl nicht gedacht, auf was für einem gefahrvollen Posten unsereiner steht. Furchtlos und treu, ist mein Wahlspruch. Sehen Sie, ich verteidige hier unsere heiligsten nationalen Güter geradeso gut wie unser Kaiser. Dazu gehört mehr Mut, als wenn einer vor Gericht schöne Reden hält.“
Guste sah es ein, sie hatte eine andächtige Miene. „Hier ist es kühler,“ bemerkte sie, „wenn man aus der Hölle nebenan kommt. Die Frauen hier können froh sein.“ – „Die?“ erwiderte Diederich. „Die haben es wie im Paradies!“ Er führte Guste zu dem Tisch: eine der Frauen sortierte die Bogen, eine zweite prüfte nach, und die dritte zählte immerfort bis fünfhundert. Alles ging mit unerklärlicher Schnelligkeit; die Bogen flogen ununterbrochen einander nach, wie von selbst und ohne Widerstand gegen die arbeitenden Hände, die im endlos über sie hingehenden Papier sich aufzulösen schienen: Hände und Arme, die Frau selbst, ihre Augen, ihr Gehirn, [pg 266]ihr Herz. Das alles war da und lebte, damit die Bogen flogen ... Guste gähnte – indes Diederich erklärte, daß diese Weiber, die im Akkord arbeiteten, sich schändliche Nachlässigkeiten zuschulden kommen ließen. Er wollte schon dazwischenfahren, weil ein Bogen mitflog, woran eine Ecke fehlte. Aber Guste sagte plötzlich mit einer Art von Trotz: „Sie brauchen sich übrigens nicht einzubilden, daß Käthchen Zillich sich für Sie besonders interessiert ... Wenigstens nicht mehr als für gewisse andere Leute“, setzte sie hinzu; und auf seine verwirrte Frage, was sie denn meine, lächelte sie bloß anzüglich. „Ich muß Sie doch bitten“, wiederholte er. Darauf nahm Guste ihre gönnerhafte Miene an. „Ich sage es nur zu Ihrem Besten. Denn Sie scheinen nichts zu merken? Mit Assessor Jadassohn zum Beispiel? Aber Käthchen ist überhaupt so eine.“ Jetzt lachte Guste laut, so begossen sah Diederich aus. Sie ging weiter, und er folgte. „Mit Jadassohn?“ forschte er angstvoll. Da hörte der Lärm der Maschine auf, die Glocke ging, die den Schluß der Arbeit anzeigte, und über den Hof entfernten sich schon Arbeiter. Diederich zuckte die Achseln. „Was Fräulein Zillich macht, läßt mich kalt“, erklärte er. „Höchstens um den alten Pastor tut es mir leid, wenn sie wirklich so eine ist. Wissen Sie das denn genauer?“ Guste sah weg. „Überzeugen Sie sich doch selbst!“ Worauf Diederich geschmeichelt lachte.
„Lassen Sie das Gas brennen!“ rief er dem Maschinenmeister zu, der vorbeiging. „Ich drehe selbst ab.“ Gerade ward der Lumpensaal weit geöffnet für die Fortgehenden. „Oh!“ rief Guste, „dort drinnen ist es aber romantisch!“ Denn sie erblickte dahinten in der Dämmerung lauter bunte Flecken aus grauen Hügeln und darüber einen Wald von Ästen. „Ach“, sagte sie im Nähertreten. [pg 267]„Ich dachte, weil es hier schon so dunkel ist ... Das sind ja bloß Lumpensäcke und Heizungsrohre.“ Und sie verzog das Gesicht. Diederich jagte die Arbeiterinnen empor, die trotz der Betriebsordnung sich auf den Säcken ausruhten. Mehrere, kaum, daß die Arbeit fortgelegt war, strickten schon, andere aßen. „Das könnte euch passen“, schnaubte er. „Wärme schinden auf meine Kosten! Raus!“ Sie standen langsam auf, ohne ein Wort, ohne Widerstand in der Miene; und vorbei an der fremden Dame, nach der alle dumpf neugierig den Kopf wandten, trabten sie in ihren Männerschuhen hinaus, schwerfällig wie eine Herde und umgeben von dem Dunst, worin sie lebten. Diederich behielt