Will Berthold

Hanussen - Hellseher und Scharlatan


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rot anlaufendes Gesicht unterstreicht, daß der Gedankenleser recht haben muß.

      So geht es ohne Pause weiter. Hanussen sagt seinen Versuchspersonen Dinge auf den Kopf zu, die sie meistens nicht gerne hören wollen und oft ängstlich vor ihrer näheren Umgebung verbergen; sein Auftritt lebt auch von der Schadenfreude. Er mag ein Dämon sein, ein Scharlatan oder ein Trickbetrüger, jedenfalls bewegt er sich auf einem Hochseil ohne Netz. Vielleicht ist er ein Schwindler, aber immer erweist er sich als schwindelfrei.

      Bis jetzt hat der Hypnotiseur und Hellseher nur Volltreffer gelandet. Das Publikum ist so erschrocken wie überwältigt. Den größten Teil der Zuhörer stellen die Frauen, als wollten sie beweisen, daß sie tatsächlich das neugierige Geschlecht repräsentieren.

      Neugierig ist auch der erschreckend dünne, große Herr in der zweiten Reihe: Staatsanwalt Dr. Swoboda nimmt dienstlich an der Veranstaltung im Kursaal teil. Er hat streng vertraulich ein Ermittlungsverfahren gegen Hanussen eingeleitet, nachdem einige Strafanzeigen wegen Betrugs gegen den Hellseher auf seinem Schreibtisch gelandet waren.

      Der Beamte aus dem benachbarten Leitmeritz, der aussieht, als litte er an Magersucht, ist entschlossen, einem mutmaßlichen Hochstapler das Handwerk zu legen, doch zunächst einmal muß er feststellen, daß der Magier sein Handwerk blendend beherrscht. Die Verdachtsmomente gegen ihn sind bis jetzt noch so dürftig wie der Tatbestand in den Betrugsanzeigen: viele Worte, wenig Wolle.

      Staatsanwalt Swoboda mustert die auswärtigen Journalisten in der ersten Reihe, Reporter, die den Protagonisten mit den angeblich übersinnlichen Fähigkeiten glorifizieren oder in die Pfanne hauen. Beides macht ihn nur noch berühmter. Der Jurist ahnt, daß dieser Hellseher eine beispiellose Karriere machen wird, wenn es der Staatsanwaltschaft nicht schleunigst gelingt, ihn als Scharlatan zu entlarven. Bis dahin ist Hanussen jedenfalls mehr gefeiert als umstritten. Großstädtische Zeitungen berichten häufig in riesiger Aufmachung auf den Frontseiten über Séancen und Auftritte des Erik-Jan Hanussen, beschreiben ihn als Dämon oder verurteilen ihn als Hochstapler. Selbst die Gelehrten sind sich in seiner Beurteilung nicht einig. Durchaus ernst zu nehmende Wissenschaftler schreiben Hanussen telepathische und hypnotische Fähigkeiten zu, während ihn andere als Taschenspieler abwerten. Wenn er einer ist, dann jedenfalls ein hervorragender, denn er läßt sich bei keinem Trick ertappen, wiewohl ihm seine Feinde und Neider in jeder Vorstellung scharf auf die Finger sehen.

      Zwischen den Experimenten, die alle gelingen, gibt Erik-Jan Hanussen Erklärungen. Häufig beruft er sich auf den berühmten Dr. Sigmund Freud. Der Begründer der Psychoanalyse lebt in Wien. Über Wien freilich spricht der Star des Abends nur ungern. Die Polizei seiner Geburtsstadt hat ihn aus Österreich ausgewiesen und über die Grenze abgeschoben. Hanussen, der teilweise in Böhmen und Mähren aufgewachsen war, hatte für die tschechoslowakische Republik optiert, was ihm an der Donau wenig Freunde einbrachte. Während ihn Wiener Zeitungen als Gauner bezeichnen, machen Prags nationalistische Blätter aus dem »tschechischen Patrioten« ein Opfer österreichischer Willkür.

      »Und jetzt komme ich zu Ihnen, gnädige Frau«, sagt der umstrittene Gefeierte und verbeugt sich vor einer gutgewachsenen Dreißigerin mit einem pikanten Gesicht und flirrenden Augen. Sie hat offensichtlich von dem gewissen Etwas etwas viel. »Erlauben Sie mir, daß ich Ihr Leben aufblättere?« fragt er Eva Pflügler aus Prag.

      »Warum nicht?« erwidert die Blondine, nur zu bereit, sich vor großem Haus zu produzieren. »Aber seien Sie bitte nicht allzu indiskret.«

      Eva Pflügler steht im Mittelpunkt, und es macht ihr Spaß. Sie sieht in Hanussens bleichgeschminktes Gesicht, aus dem die Augen groß hervortreten. Der Magier wirkt nachdenklich, konzentriert. Der Schweiß läuft ihm über die Stirn; er konzentriert sich sichtbar.

      »Ja«, fährt er fort. »Sie hatten kurz vor Kriegsende geheiratet – als Neunzehnjährige …«

      »Richtig«, antwortet die Pragerin, »meine erste Liebe.«

      »Ihr Mann ist dann im Krieg gefallen.«

      »Am vorletzten Tag«, bestätigt die Blondine überrumpelt. »Es war mehr als tragisch, und ich hab’ lange gebraucht, bis ich …«

      »Drei Jahre später wollten Sie wieder heiraten«, unterbricht sie Hanussen. »Leider wurde Ihr Verlobter kurz vor der Hochzeit von einem Automobil überfahren.«

      »Ja«, entgegnet die Mitwirkende verblüfft, »drei Tage vor der Trauung.« Ihr Gesicht ist eine einzige Werbung für Hanussens Seriosität.

      »Nun können Sie mir vorhalten, daß ich nur in die Vergangenheit sehe«, erwidert der Magier. »Wenn Sie es mir gestatten, befasse ich mich jetzt mit Ihrer Gegenwart…«, er hebt die Stimme, »und auch mit Ihrer Zukunft.«

      »Wenn Sie meinen –«, antwortet die Versuchsperson zwischen Koketterie und Bangen.

      »Sie haben einen neuen Gefährten gefunden«, fährt Hanussen fort. »Sie sind mit ihm verlobt und möchten in diesem Jahr noch heiraten.« Er spricht langsam, als müßte er seine Wahrnehmungen erst noch sondieren und kontrollieren. »Es handelt sich um einen hochgewachsenen Herrn mit einem gepflegten Schnurrbart. Einen Handelsvertreter. Er ist – Moment, ich muß mich da noch vergewissern – ja, er ist vier Jahre jünger als Sie, deshalb sind Sie oft – und gar nicht grundlos – recht eifersüchtig.«

      »Es reicht«, erwidert Eva Pflügler. Jetzt würde sie lieber in der zweiten Reihe sitzen, statt hier im Mittelpunkt zu stehen.

      »Aber diese Verbindung wird sich leider zerschlagen«, behauptet Hanussen unerbittlich. »Ich möchte nicht weiter darauf eingehen.« Schnell setzt er hinzu: »Sie haben aber nicht nur Pech mit Männern. Sie werden wieder heiraten, aber erst in zwei Jahren.« Es ist, als nähmen die Augen des Hellsehers die kleinlaut gewordene Mitspielerin in die Zange. »Ich sehe Ihren Zukünftigen vor mir«, behauptet er. Seine Hände modellieren eine Figur, eine ziemlich üppige. »Er ist nicht sehr groß und etwas dicklich, er fährt einen teuren Wagen, ist Makler und sehr begütert. Reich, sehr reich sogar – und diesmal wird er eifersüchtig sein, nicht Sie.«

      Die Blondine schüttelt den Kopf.

      »Ich könnte Ihnen sogar sagen, wie Ihr künftiger Mann heißt, wo er wohnt und welche Vergangenheit er hat, aber …«, setzt er hinzu, »… ich möchte nicht weiter in Ihre Intimsphäre eintreten. Wenn es Sie interessiert, gnädige Frau, kommen Sie morgen früh zu mir ins Hotel. Ich würde dann meine Vorhersagen unter vier Augen präzisieren.«

      »Ich werde mich hüten«, erwidert Eva Pflügler und geht auf ihren Platz zurück, als flüchte sie vor einem Ungeheuer, während der Beifall der Zuschauer im Saal explodiert.

      Dr. Swoboda spürt, daß ihn die Darbietung beeindruckt, und es ärgert ihn, auf sie hereinzufallen. Hokuspokus, tut er es ab, und folgt dem Spektakel mit verkniffenen Lippen und einer Ahnung, daß Hanussen den eigentlichen Trumpf erst noch aus dem Ärmel zaubern wird. Es ist doch ganz klar, versucht sich der Staatsanwalt selbst zu überzeugen, da kommt ein Vielbeschäftigter schon vier Tage vor seinem Auftritt nach Teplitz-Schönau – warum? Natürlich, um sich mit dem Ort und seinen Honoratioren vertraut zu machen und sein Wissen als Hellseherei auszuprobieren.

      Getratscht wird in Kleinstädten gerne – und Hanussens Privatsekretär hat seine Augen überall, wirft mit Geld um sich und sammelt Pikanterien und Indiskretionen ein. Der Mathematikprofessor zum Beispiel ist ein bekannter Mann; längst raunt man sich hinter vorgehaltener Hand zu, daß sein Sohn – nicht nur, aber vorwiegend – wegen miserabler Leistungen in Algebra und Geometrie in der sechsten Klasse sitzengeblieben ist. Und diese Blondine mit dem tiefen Ausschnitt und der Musik unterm Rock ist bereits zum dritten Mal zur Kur nach Teplitz-Schönau gekommen. Daß ihr erster Mann am vorletzten Kriegstag gefallen und ihr Verlobter unmittelbar vor der Hochzeit verunglückt ist, erzählt sie vermutlich jedem, der es hören will oder auch nicht. Ob Eva Pflügler nun den jüngeren Mann heiraten wird oder nicht, oder in zwei Jahren erst den dicken Makler mit dem feinen Auto, wird das Publikum dieses Abends nie erfahren; bis dahin ist der große Magier längst über alle Berge.

      »Und nun«, sagt Hanussen, als die Scheinwerfer seine eintretende Assistentin erfassen und die gutgewachsene Mittzwanzigerin auf die