Will Berthold

Hanussen - Hellseher und Scharlatan


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Dauer-Souffleur.

      »Ich glaube nicht«, erwidert Juhn, »aber von einem Schwarm Bekannter.«

      »Worauf wartest du noch?« fährt der Papier-Tscheche aus Wien seinen Adlatus an: »Ich möchte alles über sie wissen, und zwar schleunigst!«

      »Jetzt?« fragt der Ex-Journalist ungläubig.

      »Ja«, befiehlt Hanussen. »Eine solche Augenweide sieht man nicht alle Tage.«

      »Mein Kompliment, Ihr Geschmack wäre nicht schlecht«, erwidert der Informant süffisant. »Schade um die Mühe«, setzt er hinzu, »diesmal hängen die Trauben verdammt hoch.«

      Kurz nach 21 Uhr tritt der Mann im Frack ins Rampenlicht, verbeugt sich, umtost von Ovationen. Der schillernde Prophet muß in der letzten Zeit noch gewachsen sein, irgendwie wirkt er größer als bei seinem letzten Auftritt. Wieder holt er sich Leute aus dem Publikum, stellt sie zur Volksbelustigung bloß, seine unverschämte Selbstsicherheit vorführend wie einen dressierten Zirkusgaul.

      Diesmal nimmt Kriminalkommissar Molitor mit zwei weiteren Kripobeamten an der Veranstaltung teil. Dienstlich. Obwohl inzwischen das Dossier auf seinem Schreibtisch beträchtlich angewachsen ist, beginnt der Beamte, den Bühnenzauber zu bewundern. Wie schnell er Zusammenhänge erfaßt, sich korrigiert, wenn er einmal auf dem Holzweg ist, einfach gekonnt. Fraglos ist Hanussen ein erstklassiger Artist, aber ein solcher hat auch die Gesetze zu befolgen und darf keine Gutgläubigen hereinlegen.

      Kopfschüttelnd verfolgt der Kriminalist die Demonstrationen. Selbst wenn der Hellseher nur Ortsklatsch wiedergibt, die Art, wie er es tut, ist überzeugend. Keine Verwechslung, keine Unsicherheit, und, dessen ist sich der Mann mit den grauen Locken um die Stirnglatze ganz sicher, mit sehr viel Improvisation. Er ist schlagfertig, verfügt über eine intuitive Menschenkenntnis, errät sicher in einigen Fällen, was ihm die Versuchspersonen verschweigen wollen, verblüfft sie durch spontane Behauptungen, die immer ins Schwarze treffen.

      Vielleicht gibt es Gedankenübertragung; Molitor hat erst vor kurzem einen Aufsatz darüber gelesen. Womöglich sind Ausnahmemenschen tatsächlich übersinnliche Kräfte zu eigen. Im deutschen Norden nennt man so etwas ›Spökenkieker‹, andernorts ›das zweite Gesicht. Aber ausgerechnet Hanussen, dieser schräge Vogel, soll der unerreichte Meister dieser wenigen sein? Vielleicht erläge auch Molitor dem Schauder vor dem Übersinnlichen, vor dem das Wissen eines aufgekärten Menschen mitunter kehrtmacht wie die Katze vor dem Hund – wenn da nicht der Akt auf seinem Schreibtisch läge, angefüllt mit teuer bezahlten Fehlleistungen, mit Anzeigen von Geschädigten, die sich nicht erklären können, wie Hanussen den Mord aufgeklärt hat, aber zu Papier geben, warum ihre Firma nach einer Konsultation bei dem berühmten Hellseher in Bedrängnis geriet und in einem Fall sogar in Konkurs gegangen ist.

      Eine Stunde lang landet der Magier Schlag auf Schlag; alle sitzen, und nicht wenige unter der Gürtellinie. Die Zuschauer toben bis auf eine damenhafte Endzwanzigerin in der vierten Reihe. Hanussen hat ein Gespür für Menschen, empfindet den Widerstand, sieht in ein hochmütiges Gesicht voller Verachtung. Er weiß, daß die Baronin einer Gesellschaftsklasse angehört, die meistens nichts mit ihm zu tun haben will: alter Adel, blaues Blut, echter Geschmack, Rasse und Klasse – und er, einer aus der Hefe des Volkes, der von ganz unten kommt und seinen Frack uneleganter trägt als jeder Oberkellner im Luxusrestaurant. Die Ovationen nehmen kein Ende. Immer wieder wird der Magier vor den Vorhang gerufen, muß sich verbeugen. Aber trotz des riesigen Erfolges ist Hanussen mit dem Verlauf des Abends unzufrieden. Während er sich in seiner Garderobe abschminkt, läßt er sich von seinem Sekretär mit Details versorgen: »Verena von Panwitz, von ihren Freunden und Bekannten nur Jane genannt, 27 Jahre alt«, berichtet Adolf-Erich Juhn. »Sehr guter Ruf, keine Affären, seit sieben Jahren verheiratet, keine Kinder. Die Ehe scheint nicht sehr aufregend zu verlaufen, und …«

      »Um wie viele Jahre älter ist der Baron?« unterbricht ihn Hanussen.

      »Um 14 Jahre – sehr wohlhabend, früher ein ziemlicher Windhund«, feixt der Ex-Journalist, »jetzt aber bedeutend ruhiger geworden. Verena stammt zwar aus einer Familie mit Namen, aber sie ist durch Krieg und Inflation verarmt.« »Wie sieht denn der Herr Gemahl aus?« fragt der Spiritist. »Wie ein Baron in einem UFA-Schinken«, antwortet der wendige Sekretär: »Sehr vornehm und leicht vertrottelt. Wenn Sie Ihr Glück versuchen wollen«, setzt Juhn hinzu, und die Schadenfreude läuft ihm wie Sirup über das Gesicht. »Die Baronin sitzt mit ihrer Gesellschaft im Vorraum an der Bar und lästert über Sie.«

      »Hol sie her!« befiehlt der Illusionist. »Lade sie ein.«

      »Sie wird nicht kommen«, versetzt der Ex-Journalist.

      »Sie wird kommen«, fährt Hanussen seinen Adlatus an wie eine Versuchsperson.

      Der Mann geht, stößt am Gang auf den Impresario und tippt sich mit dem Finger an die Stirn.

      »Hat er wieder seinen Rappel?« fragt der Manager.

      »Ja«, erwidert Juhn. »Aber diesmal, verlaß dich drauf, diesmal trägt auch er den Hintern zu tief unten.«

      Die kleine Bar ist vollbesetzt mit Zuschauern, die den Abend noch einmal durchgehen und von Hanussen in den höchsten Tönen schwärmen. In ihrer Mitte die junge Baronin. Sie hat wieder die Beine übereinandergeschlagen, raucht aus einer langen Zigarettenspitze, schüttelt den Kopf und lächelt spöttisch und zeigt dabei herrliche Zähne.

      »Nein«, sagt sie. »Ich war mal in München auf dem Oktoberfest. Eine Schaubude zeigte als Attraktion das Zersägen einer lebenden Jungfrau in zwei Teile. Ein Spiegeltrick, raffiniert gemacht. Ohne Blutvergießen. Zum Schluß zeigte sich die Zweigeteilte im hübschen Goldlamétrikot als ›one piece‹ auf der Bühne. Und dieser Illusionist arbeitet garantiert mit ähnlichen Gaukeleien.«

      »Aber ohne Spiegeltrick, Jane«, erwiderte der dicke Bier-Graf an ihrer Seite.

      »Dann eben mit anderen«, versetzt Verena Panwitz. »Ihr könnt euch ja von ihm Hörner aufsetzen lassen«, fährt sie mit angenehmer Stimme fort. »Ich interessiere mich weder für Kartenschlägerei noch für Stühlerücken. Weisheiten aus dem Kaffeesatz lassen mich kalt, die Voraussagen der Sterndeuter werfe ich in den Papierkorb.« Die Baronin pudert sich die Nase und sieht im Schminkspiegel, wie Adolf-Erich Juhn versucht, sich an sie heranzudrängen. »Verzeihung, Frau Baronin. Juhn, mein Name. Ich bin der Privatsekretär von Herrn Hanussen«, stellt er sich vor. »Herr Hanussen würde sich freuen, wenn Sie ihm Gelegenheit gäben, Ihnen in einer kleinen Sonderdemonstration seine hellseherische Fähigkeit vorzuführen.«

      »Ach nein«, versetzt die Baronin Panwitz, »sogar nach Feierabend?«

      »Herr Hanussen möchte Ihnen Ihre Skepsis nehmen«, erwidert der Sekretär. »Es wird nicht lange dauern.«

      »Er wird es nicht schaffen.«

      »Das käme auf einen Versuch an.«

      »Und meinen Sie«, entgegnet die Baronin mit verengten Augen, »er ruft, und ich folge ihm auf Pfiff?«

      »Sei nicht dumm, Jane«, mischt sich der Bier-Graf ein. »Was meinst du, was unsereiner für so eine Einladung geben würde?«

      »Du kannst ihn ja auslachen«, sagt ein anderer Umsitzender. »Ja, mach ihn doch fertig – wir sind alle gespannt, ob du das schaffst, Jane.«

      »Ihr seid verrückt«, entgegnet die Baronin. Schließlich steht sie doch auf und folgt dem Sekretär. »In drei Minuten bin ich zurück«, behauptet sie. »Und bis dahin hab’ ich diesen Scharlatan auf Null gebracht.«

      Der Sekretär geht voraus, geleitet die Baronin beflissen zu seinem Meister, klopft an, öffnet die Garderobentür. Er verschwindet mit einer Verbeugung. Erst als sie Juhns Gesicht nicht mehr sehen kann, setzt sich der Hohn in seinen Mundwinkeln fest: Diesmal ist er der Prophet. Bei Verena von Panwitz wird Hanussen ausrutschen wie der Esel auf dem Eis.

      »Entschuldigen Sie, gnädige Frau«, empfängt sie der abgeschminkte Magier und beugt sich über Janes Hand. »Ich muß einfach mit Ihnen sprechen.«

      »Warum?«

      »Ich spürte