Verstehen Sie mich recht, gnädige Frau: Ihr Evoe hat mir weh getan. Das war ein Schrei aus toter Zeit, der ein heisses Echo in mir weckte. Nicht, dass ich Sie unterschätze. Ich weiss, Sie zittern in dem Sinnefluss Hellas, Sie dürsten dem perikleischen Zeitalter nach und haben den sinnlichen Ehrgeiz, Aspasia zu sein — — aber: wo?
Im Schlafzimmer?
Die Frage reisst die Verschalung von dem Misthaufen unserer Liebeskultur.
Wir suchen beide die Schönheit. Ach, wie würde ich es bedauern, wenn aus unserer Idylle im Namen des Eros Pornographie entstünde! Wie würde ich das bedauern!
Seit zweitausend Jahren ist die Freiheit der Liebe (nicht die „freie Liebe“ — schmutzverzerrtes Wort! — —) tot, leblos, und nur Ahasverus und Ahasvera ziehen heimatlos durch Wüsteneien. Glauben Sie im Ernst, liebe Frau, dass das Reichstagsgebäude in Berlin die Akropolis vortäuschen könnte, und dass es zu übersehen sei, dass Sie Gummischuhe aus Russland tragen, weil dieser Himmel ein ewiges Putzschaff ist, aus dem göttliche Mägde schöpfen, um den Olymp mit antiseptischen Mitteln zu reinigen?
Gibt es eine Illusion, die stark genug wäre, zwei Jahrtausende zurückzuschrauben?
Evoe! Nein, das ist kein Lebens- und Glaubensbekenntnis mehr für uns. Das Christentum und die Revolution — — die Inquisition und Maria Magdalena — — Himmel, diese Dinge sind nicht spurlos, an uns vorübergegangen.
Wir haben eine andere Sehnsucht als sie Alten, und das Kreuz auf Golgatha sendet seine Strahlen über alle Teile der Erde und pflanzt den Gram des Gottsuchers in die Herzen der verstocktesten Atheisten, sie wissen es nur nicht.
Wir haben eine andere Sehnsucht, gnädige Frau, als die, welche Evoe riefen, wenn Phryne nackt aus dem Meere stieg. Dagegen nützt alle Kraft des Leibes und der Seele nicht, und aller Mut zur Sünde nicht, von dem Sie mir schrieben.
Aber haben Sie schon bedacht, wie deplaciert es ist, von dem „Mut zur Sünde“ zu reden? Haben Sie das schon bedacht?
Glauben Sie, dass Aspasia, wenn sie Perikles mit Evoe begrüsste, den Mut zur Sünde hatte?
Dass sie wusste, was Sünde war?
Sie wissen es, sonst würden Sie nicht davon sprechen. Dann aber können Sie unmöglich wissen, was in dem „Evoe!“, liegt, denn dieses und Sünde sind wie Feuer und Wasser.
Ach, liebe Frau, Sie sind auch nur Lats nach zweitausend Jahren Inkarnation — — und Sie suchen die Liebe.
Sprechen Sie nicht von Sünde, gnädige Frau, und rufen Sie mir nimmer Evoe.
Ich kenne die Liebe nicht, Sie kennen die Liebe nicht. Aber wir suchen sie. Und wer weiss, ob wir sie, die wir reinen Herzens sind, nicht endlich finden?
Wer weiss?
Denn nimmer würde ich zu behaupten wagen, ich kenne die Liebe. Das vermögen nur die sexuellen Hochstapler, arme Narren, die Surrogate schlürfen und denen Sie, gnädige Frau, mit dem Mut zur Sünde mächtig imponieren würden.
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Unsere Liebe ist eine Illusion. Eine bis zu einem gewissen Grade reale Illusion, doch nimmer ein sicher festzustellender Wert. Denn nur, was sie dem Einzelnen darstellt, ist Liebe. Was sie der Gesamtheit ist, lässt sich nimmer mit einem Begriff abtun. Man müsste sonst die Liebe in hunderttausend Einheiten, gute und schlechte, logische und sinnlose, konsequente und immer wechselnde, zerlegen.
Das Paradies hat auch nicht zwischen Euphrat und Tigris gelegen, und kein Erzengel hat uns daraus vertrieben. Der Garten Eden und die Erbsünde sind in uns selbst begründet.
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„Jeder Mensch ist ein Adam, und jeder wird einmal aus dem Paradiese — — der warmen Gefühle — vertrieben.“
Goethe.
„In unseren Tagen nun ist man mit Nachdruck auf die Fragen der Liebe zurückgekommen. Geniale Schriftsteller haben sie teils in unsterblichen Romanen, teils in schematischer, beredter, scharfer und strenger Form mächtig angeregt. Die Diskussion dauert fort, ohne dass man weiss, dass sie sich um mehr als einen Punkt dreht, den die höchste Autorität, die der Tatsachen, für immer entschieden hat. Die Liebe ist keine Krisis, kein Drama, sondern ein Spos. Wäre sie nur das eine oder andere, so verlohnte sich ein so flüchtiges Ereignis kaum der Aufmerksamkeit. Wenn man die Liebe eine Krisis nennt, so kann man die Loire auch eine Ueberschwemmung nennen.
Wo die Liebe stetig und mächtig ist, da ist alles stark, solid und fruchtbar.“
Michelet.
Warum aber haben ungezählte Schriftsteller ihren Hass, ihren kritisden Witz oder gar ihre Verachtung über diese Liebe gegossen, die die höchste Stelle im Menschenleben einnimmt und heute noch die Weltgeschichte beherrscht?
Paris entführte eine Königin — — was heutzutage die Kabinette kaum mehr in sonderliche Erregung setzen würde — — und hat dadurch einen der blutigsten Kämpfe der grauen Vorzeit heraufbeschworen. Dass er später einem gewissen Offenbach den Text zur „Schönen Helena“ geliefert hat, möge den Zorn der Nachwelt über den unkriegerischen Don Juan des alten Troja mildern.
Um die Mitte des 9. Jahrhunderts wurde ganz Franken durch Waffenlärm erschüttert. Papst Nikolaus I. schleuderte den Bannfluch gegen den König von Lothringen — — eines Weibes wegen, das Waltraute hiess. Und zu einer Zeit, da der Kardinal Mazarin hinreichend durch die äussere Politik beschäftigt war, fand man am Pariser Hofe Zeit, sich eines „Damenkrieges“ anzunehmen, der zwischen den schönen Herzoginnen von Longueville und Montbazon um der Liebe willen entbrannt war. Die Königin Anna von Westerreich entschied zu Gunsten der Herzogin von Longueville, und Coligny trat darauf für die Herzogin von Montbazon in die Schranken, während die Gegnerin Guise zum Ritter ihrer Ehre erkor. Coligny fiel, die Skuderi schrieb einen Roman darüber, ganz Paris sang Gassenhauer über eine Geschichte, die nichts weiter war als ein Liebesstreit zweier Damen.“ — Als die Kronprinzessin von Sachsen mit einem gewissen Giron Heimlich den Dresdner Hof verliess, da wurden die Botschafter halb Europas alarmiert, wenn auch nur zu einem blinden Lärm. Das Schicksal der Frau Toselli hält heute noch die Welt in Atem, und doch handelt es sich nur um eine Frau, die liebte und geliebt worden ist. Larochefaucould würde vielleicht im Hinblick auf die Begleitmusik der Ehescheidungen dieser unglücklich veranlagten Frau wiederholen: „Wenn man die Liebe nach den meisten ihrer Wirkungen beurteilt, ähnelt sie mehr dem Hasse als der Freundschaft“. Aber dieser Autor hat schopenhauerische Ansichten über die Frau: „Die Weiber glauben, zu lieben, obschon sie es nicht tun. Die Beschäftigung mit einer Kabale, die geistige Erregung, die jeder Liebeshandel mit sich bringt, der natürliche Hang zu dem Luftgefühl, geliebt zu werden, und die Pein, sich zu versagen, lässt sie ihre Liebesfreude für wahre Leidenschaft nehmen.“
Er geht noch weiter: „In der Liebe geht der Betrug fast immer über das Misstrauen hinaus“ — — um später sich und seinem ganzen System mit dem naiven Geständnis zu widersprechen, das vielleicht die höchste Wahrheit über die Liebe enthält. „In ihrer ersten Leidenschaft lieben die Frauen den Geliebten, in der späteren die Liebe.“
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Immer, möchte ich behaupten, lieben die Frauen die Liebe, die Männer aber die Geliebte. Aus diesem Widerspruch ergeben sich die grausamen Leiden der Liebenden und ihre Kämpfe. Denn: „Jeder Liebende ist Kämpfer, und Cupido trägt die Waffen, ebenso wie Mars“.
Ovid.
Nicht immer sind die Waffen schuld an den Niederlagen und Enttäuschungen, die uns die Liebe beschert.
„Nur die ausgezeichneten Männer verstehen zu lieben. Denn der Mann gehorcht zwei Prinzipien, dem Bedürfnisse und dem Gefühle. Die untergeordneten Wesen halten das Bedürfnis für Gefühl, während die ausgezeichneten Wesen das Bedürfnis mit den Wirkungen des Gefühles bedecken. Offenbar steht die Gefühlbarkeit mit der Macht der innern Organisation