der alleinige Herrscher im Reiche der Liebe war.
Goethe hat jeden eigen gesetzlichen Sachverhalt durch die Tatsache, dass er ihn, erlebte, so von innen her geformt, als wäre er aus der Einheit dieses Lebens selbst geboren. Auch die erotischen Inhalte seiner Existenz treten auf, als wären sie von der Entwickelungsnotwendigkeit seines Innern bestimmt… Nirgends, selbst in so extremen Fällen, wie in der Leidenschaft für Lotte und für Ulrike von Levetzow, spüren wir jenes Preisgegebensein, das dem erotischen Erlebnis das Symbol des Liebestrankes verschafft har…. Wir hören, dass er mit all seiner sinnlichen Hingerissenheit doch immer Herr seiner selbst geblieben ist. Lili erzählte später, dass sie ihm unbedingt gehört haben würde und ihre Unberührtheit nur seiner Selbstbeherrschung zu danken habe; über eine schöne Frau, deren Eindruck ihm sehr nahe ging, schreibt er an Herder: „Ich möchte mir solch ein Bild nicht durch die Gemeinschaft einer flüchtigen Begierde besudeln.“. Diese Bestimmtheit und Formung des erotischen Erlebnisses durch seinen Willen ist nur das äussere Phänomen der tieferen Tatsache, dass es durch sein Seinbestimmt war. Er sagt: „Die Liebe ist ein Geschenk, das man nicht zurücknehmen kann, und es würde unmöglich sein, ein ehemals geliebtes Wesen zu beschädigen oder ungeschützt zu lassen.“
Als einmal Lotte von Jemandem sehr gelobt wurde und rühmend besondere Eigenschaften in ihr hervorgehoben wurden, sagt Goethe — — und hier habt Ihr den ganzen Goethe, den Deutschen, das Phänomen des Idealismus der Liebe: „Ich wusste wahrlich nicht, dass das alles in ihr war, denn ich habe sie viel zu lieb von jeher gehabt, um auf sie acht zu haben.“
Nicht dem kritisch Wägenden, nicht dem Skeptiker, nicht dem Erotiker erschliesst sich die Liebe: Dem Liebenden allein. Immer und ewig wird die Liebe so sein, wie wir sie sehen, gleichviel, ob wir Könige oder Bettler sind. Denn „auf dem Stroh und bei trockenem Brote erhebt Meister Priapus so gut das Haupt wie in dem weichsten und besten Bette der Welt“, sagt Brantome.
„Die Bestimmung der Frau auf Erden, ihr augenscheinlicher Beruf ist: Die Liebe.“
Michelet.
Diese Frau (Gräfin Hahn-Hahn) ruft in der Wirrnis ihres Herzens, das nur lieben kann, ohne Erklärungen zu geben, dem Geliebten (Heinrich Simon) zu: „Wird denn ein Mensch, ein Denker, ein Dichter, ein Prophet kommen, der die Frage, warum liebt man, wenn man liebt, genügend beantworten kann? Ist denn der tiefe, dunkle Schatten, der über diesem Gefühle schwebt, wie die Urnacht über der Entstehung der Welt, durch keine Forschung und Berechnung zu lichten? Nero liess seine geliebte Cäsonia foltern, um von ihr das Geheimnis zu erpressen, weshalb sie ihn liebe — — das war neronisch!“
Darauf antwortet fühl bis ans Herz hinan die göttlich frivole Ninon: „Lieben heisst, die Gesetze der Natur erfüllen.“
Aber dies sind nur Meinungen, Bekenntnisse, keine Wahrheiten, die fundamental sind. „Die Liebe aber ist ein völlig persönliches Gedicht. Alles, was uns Die Schriftsteller darüber sagen, ist zugleich falsch und wahr.“
Balzac.
Ist die Liebe erloschen, so tritt an ihre Stelle die Freundschaft. Larochefaucould sagt zwar: „Es gibt kaum Menschen, die sich nicht schämen, einander geliebt zu haben, wenn sie sich nicht mehr lieben“ — doch damit schlägt der geistreiche Zeitgenosse Molières den Tatsachen ins Gesicht. Es wird bei dem Bekenntnis Heinrich Heines bleiben:
Kannst du nicht mehr Geliebte sein,
Sei Freundin mir sodann.
Hat man die Liebe durchgeliebt,
Fängt man die Freundschaft an.
*
Die Sehnsucht und ihr natürlicher Ausdruck.
Durch aller Zeiten Wende geht wie ein heiliges Lied die Sehnsucht. Sie ist unmittelbar und gross und unsterblich, denn sie hat an dem Schöpfungsakt der Gestirne teilgenommen. Sie setzte die rohesten Elemente in Musik und gab der Menschheit die Zusage der Ewigkeit: Unsterblich zu werden.
Die Sehnsucht stand auf, als die ersten Menschen durch Urwälder irrten, als das erste Weib inmitten der flammenden Not der Gefahren den Blick in die Weite des Horizontes lenkte, wo Himmel und Erde zusammenschmolzen und die brennende Sonne in der Nacht erlosch; da der erste Mann mit Geer und Pfeil dem wilden Tiere nachjagte oder in schwachem Einbaum über die Wogen glitt. Die Sehnsucht war da, ehe der erste Schrei eines Tieres durch die Einsamkeit der Wildnis tönte. Die Sehnsucht war da, ehe sich das gewaltige Präludium des Werdens vollzog, sie war die Kraft und der Anfang aller Dinge, sie war das lebendige Wort Gottes, der sprach: „Es werde Licht!“ Sie letzte zwischen den Dingen, bis der Mensch ward. Sie kam zu ihm und sagte:
Sieh hin! Wohin dein Auge blickt, ist Schönheit, werden und Glanz. Sieh die Sonne in Purpur; den Himmel im Meer, das Meer im Himmel. Wolken und Felsen wie granitene Perlen, die Berge wie silberne Altäre, die in die Ewigkeit thronen. Das Wasser wie rauschende Strähnen, grün und purpur und golden — — die ganze Erde ein Schoss der Liebe.
Warum missverstehen wir heute diese Sehnsucht in den Worten und Gesten der Menschheit? Warum wollen wir ihr das Dogma der Sünde aufdrücken?
Wedekinds „Frühlings Erwachen“ wurde in den meisten Städten Deutschlands verboten, und der Münchner Zensurrat geriet darüber in Spaltung. Wohlbemerkt: Nicht über den Streit wegen der künstlerischen Qualität, sontdern der Tendenz. Der Moral.
Die jungen Mädchen in diesem Schauspiel haben ihre eigene Sehnsucht: Wir aber verschliessen davor die Augen. Auch im Leben! Wir decken die heissen Wünsche junger Frauen mit dem paragraphenbestickten Alltag zu.
Törichte Heuchelei! Das „Tagebuch einer Dame“, in München erschienen, in Münchner Luft geschrieben, hat die Seele eines jungen Mädchens „aus guter Familie“ blossgelegt. Die Dame stammt aus Sachsen. Es ist eine Uebereinstimmung, die zu denken gibt, dass aus dem Lande der stärksten Prüderie die meisten Renegationen der guten Sitte kommen. Die Sehnsucht dieses jungen Mädchens ist die der jungen Frau. Denn es gibt in Wahrheit vom Alter der Pubertät au nur mehr junge Frauen. „Fräulein Mütter“ — — und ich habe die Kühnheit, zu behaupten, es bestehe kaum ein idealer Unterschied zwischen denen, die es in Gedanken, und denen, die es in der Tat sind.
„Ich habe das Bild vor Augen; es verfolgt mich überall. Gravitätische Männer in phantastisch königlichen Gewändern verneigen sich vor einer Mutter und ihrem Kinde. Man möchte sich darüber verwundern, aber da sieht man den Himmel aufgetan in seiner Glorie und himmlische Heerscharen sich herunterneigen. Das Kind hebt segnend ein Händlein; die Mutter weiss nicht, wie ihr geschieht. Heilige Männer, Ritter und Bischöfe, stehen ernst zur Seite.
Es ist das Bild des Freiburger Hochaltars von Hans Baldung Grien.“
Das Mädchen mit dieser heiligen Sehnsucht hat — ich behaupte, durch die Schuld der Moral — als Dirne geendet. Madame Bovary, deren Schicksale Gustave Flaubert berühmt machten, wünschte sich einen Sohn. „Gross, stark und brünett musste er sein und George sollte er heissen. Diese Hoffnung auf einen männlichen Nachkommen erschien ihr wie eine Entschädigung für alle die bisherigen Enttäuschungen …. Das Kind kam an einem Sonntag zur Welt...
„Es ist ein Mädchen“, sagte Charles.
Da bog sie den Kopf zurück und fiel in Ohnmacht.“ — — —
Fühlst Du, verehrte Leserin, Saiten klingen in Deinem Innern? Diese kleine Episode ist eine Madame Bovary für sich, und gelehrte Psychiater könnten ein Konversationslexikon darüber verfassen, in dem der liebe Gott zu Gunsten unseres Ordnungsstaates verdammt schlecht wegkäme.
Die junge Sehnsucht träumt von Märchen. Junge Mädchen träumen so gerne von Kronen und Schlössern; erwachen sie, liegen — — wie leicht! — — die Trümmer ihrer Luftschlösser in der Gosse, und kein Märchenweg führt mehr aus der Wirklichkeit zurück.
Der Madame Bovary waren „die ahnungslosen Seufzer bei Mondenschein, die langen Umarmungen, die Tränen, die auf ein paar verschlungene Hände fallen; alle die betörenden Wallungen der Sinnlichkeit und schmachtenden Hingebung