aus weit aufgerissenen Augen den Mann mit der Maschinenpistole beobachtete.
Er versuchte dagegen anzukämpfen, mußte aber einfach laut aufschreien – und noch lauter, als er sah, wie der Mann sich bückte und zum Schuß ansetzte.
Er erlebte alles in Zeitlupe.
Er hörte das vertraute Geräusch der ersten Geschosse, die die Maschinenpistole verließen. Makrele hatte dieses Geräusch für »arrogant« gehalten, wenn er mit seinen Kumpels Probeschüsse abgegeben, und wenn er sich an Überfällen auf andere Clubs beteiligt hatte. Jetzt war ihm das alles egal. Er wußte, daß es das letzte war, was er jemals hören würde.
Die Salve trennte ihn von seiner Frau, die noch immer versuchte, sich in Sicherheit zu bringen, während er selber keine Waffe in Reichweite hatte. Er merkte, daß er getroffen wurde. Sein Körper wurde seltsam schwer. Er wußte, daß er nicht tot war, aber er konnte nicht mehr fliehen.
Aus der Ferne hörte er Schreie. Und Schritte. Für einen Moment glaubte er, ein weiteres Mal überlebt zu haben. Er würde aussteigen, jetzt, wo das hier überstanden war. Das versprach er sich selbst.
Eine weitere Salve zerriß die Luft, die ihn umgab.
Und dann war die Sache überstanden.
Die Frau reagierte als erste. Sie hatte den Wagen schon fast verlassen, als Makrele aufging, was hier passierte.
Der Mann war froh darüber, daß sie nicht mehr so dicht beieinander saßen. Das würde ihm die Arbeit erleichtern. Sie konnte nicht wissen, daß es das Beste für ihn gewesen wäre, sich beschützend über ihren Mann zu werfen. Makrele versuchte – zur großen Überraschung des Mannes – durch dieselbe Tür auszusteigen wie die Frau. Handelte er im Schock oder hatte er eine versteckte Waffe?
Der Mann fing Makreles verängstigten Blick ein. Dann ging er in die Hocke, um besseren Halt zu haben. Makrele schrie jetzt lauter als die Frau, aber der Mann kannte keine Gnade. Er gab eine kurze Salve auf das Führerhaus ab, um Makrele an der Flucht zu hindern. Dann lief er zum Wagen. Die Frau war jetzt nicht mehr zu sehen – vermutlich befand sie sich hinter dem Auto. Er richtete die Maschinenpistole auf Makrele, der bäuchlings auf dem Vordersitz lag, und leerte sie in den Leib seines Opfers.
Dann machte er kehrt und lief zurück zum Lieferwagen. Er ließ die rauchende Maschinenpistole fallen. Riß sein Fahrrad von der Ladefläche, sprang hinauf und fuhr los, in Richtung …
Die Zeit danach
Ich schaue aus dem Fenster auf die schöne Natur, die mich umgibt. Ich schreibe diese Zeilen in einem Sommerhaus. Ich bin müde wie ein ganzes Altersheim.
Ich habe den ganzen Tag in den mächtigen Wellen gebadet und danach einige Stunden Sonnenbad angehängt. Wenn ich bade, gehe ich in Shorts und Hemd zu einem Boot, das hier verankert liegt, und lege dort Kleidung und Badetuch ab. An meinen Armen habe ich einige Tätowierungen, die niemand sehen und erkennen darf. Nicht, weil sie besonders schön ausgeführt wären, sondern weil ich wegen Mordes gesucht werde.
Ich halte mich schon seit einem Monat in diesem Ferienparadies auf. Es war eine schöne Zeit, sie wird mir sicher als eine der besten in meinem Leben in Erinnerung bleiben. Aber ab und zu kommt es doch vor, daß ich mich einsam fühle. Ab und zu langweile ich mich. Nach der ersten Woche hier oben ist mir aufgegangen, daß ich meine Zeit auch zu etwas Vernünftigem nutzen könnte. Und deshalb habe ich beschlossen, über mein bisheriges Leben zu schreiben. Es war kein langweiliges Leben, und bestimmt war es kein Leben, das ich bereue.
Ich miete dieses Haus hier für tausend Kronen pro Woche, und es ist seinen Preis wert. Ich kann es mir gemütlich machen, wie ich es will, ohne neugierige Blicke fürchten zu müssen.
Ich bin von sympathischen Nachbarn umgeben. Auf der einen Seite hausen einige surfbegeisterte junge Menschen. Von denen sehe ich nicht viel. Hinter mir wohnt eine kinderreiche Familie. Ich habe ein wenig mit ihnen geplaudert – sie sind wirklich nett. Auf meiner anderen Seite wohnt ein älteres Ehepaar, mit dem ich mich schon häufig unterhalten habe. Sie sind überaus lieb zu mir. Es ist mir fast ein wenig peinlich, daß ich ihnen gegenüber nicht die Wahrheit sagen kann. Gestern hat der Mann mich durch den Garten geführt. Und sie haben mir eine ganze Schüssel Erdbeeren aus ihrem Küchengarten geschenkt.
Wenn mir auf meinen Spaziergängen Einheimische begegnen, dann grüßen sie mich herzlich. Ich komme mir selber schon wie ein Einheimischer vor.
Abgesehen vom Schreiben vertreibe ich mir die Zeit mit langen Spaziergängen am Strand und im Wald. Ich hätte nie geglaubt, daß ich die Natur so sehr genießen könnte, aber es kommt vielleicht daher, daß ich weiß, was mich erwartet, falls sie mich finden. Die übliche lange Isolationsrunde, die einen mürbe klopfen soll. Die Polizei behauptet, sie steckten Leute in Isohaft, um in Ruhe ihre Ermittlungen durchführen zu können. Aber das ist gelogen. Es ist eine psychische Folter, die den Gefangenen brechen soll.
Mein Sommerhaus besteht aus einem großen gemütlichen Wohnzimmer, einem Flur, zwei Schlafzimmern, einem schönen modernen Badezimmer und einer Küche. Ich koche nicht selber. Wenn ich warm essen will, dann gehe ich zum Grill, der anderthalb Kilometer von hier entfernt liegt. Wenn Gäste kommen, bringen sie etwas Leckeres mit, und dann machen wir es uns in meinem Unterschlupf gemütlich. Nur sehr wenige wissen, daß ich hier bin. Aber die kommen dafür um so öfter. Sie kommen jedoch nur werktags, die Wochenenden sind für meine Frau reserviert, und wenn sie hier ist, dann gibt es keinen Grund, warum noch andere hier sein sollten. Sie hat mich kein einziges Wochenende im Stich gelassen, seit ich gesucht werde, obwohl sie sorgfältig beschattet wird. Vermutlich riskiert auch sie eine Freiheitsstrafe, wenn sie hier bei mir gefunden wird, obwohl ihr einziges Verbrechen doch nur darin besteht, daß sie mich liebt.
Heute hatte ich Besuch von zwei von meinen Brüdern. Wir haben gut gegessen, aber wir sind nicht an den Strand gegangen – zusammen besitzen wir eine ganze Galerie von Tätowierungen. Es wäre nicht leicht, sie zu verbergen – und drei Mann, die zu einem Boot waten, um sich dort umzuziehen, wirken einfach idiotisch. Ein Schornsteinfeger, der unerwartet den Garten betrat, als wir splitternackt und zufrieden in der Sonne lagen, hätte uns fast zu Tode erschreckt. Nur mein einer Bruder konnte noch sein Hemd überstreifen. Der andere stürzte in ein Zimmer und versteckte sich unter der Bettdecke. Peinlich, denn genau in diesem Zimmer war die Schornsteinklappe angebracht. Der Schornsteinfeger hat uns sicher für verrückt gehalten. Vielleicht hat er auch geglaubt, eine Schwulenbande beim geilen Sommerspiel zu überraschen.
Meine Brüder sind wieder weg, und ich bin allein mit meinen Gedanken und meinen unsicheren Zukunftsplänen.
Vor kurzem, während ich an der Arbeit saß, verirrte sich plötzlich eine Kohlmeise in mein Zimmer. Sie geriet in wilde Panik, als sie in einer Ecke gefangen war. Und das auch noch zusammen mit einem riesigen, ihr unbekannten Tier. Ich blieb auf meinem Stuhl sitzen, um ihre Angst nicht noch zu vergrößern. Nachdem sie mehrere Male gegen meine Aussichtsfenster geflogen ist, mußte ich sie auf den richtigen Weg bringen. Sie flog mit glücklichem Piepsen davon. Aus dem Gefängnis.
Der Gedanke an das Gefängnis stellt sich immer wieder ein, wenn ich allein bin. Aber das ist ja auch kein Wunder. Wenn ich für das verurteilt werde, was in der Anklageschrift steht, dann bekomme ich sechzehn Jahre.
Die ersten Tage hier oben waren hart. Doch nach drei Tagen, in denen ich ganz allein in meiner Gedankenwelt saß, brachte mich ein kleines Mädchen von acht oder zehn Jahren in bessere Laune. Ich machte einen meiner langen Spaziergänge und kam an einem Ferienlager für Kinder vorbei. Eine große Gruppe von Zelten, ein Ballspielplatz, eine Fahnenstange und viele spielende Kinder. Plötzlich riß die Kleine sich aus dem Spiel los und kam auf mich zugelaufen. »Hallo, wir sind im Lager«, rief sie – ihre Stimme bebte vor Begeisterung. »Das sieht herrlich aus«, erwiderte ich. »Habt ihr viel Spaß?« – »Ja«, rief sie und rannte zu den anderen zurück. Ohne es zu wissen, hatte sie soeben mit einem Mann gesprochen, den die Kopenhagener Mordkommission als »außergewöhnlich gefährlich und bis an die Zähne bewaffnet« eingestuft hat. Andererseits könnten sie ja kaum mit der Mithilfe der Öffentlichkeit rechnen, wenn sie Mitteilungen dieser Art veröffentlichen würden:
»Das