5.
Ich bitte dich: Was haben wir mit den alten Zwistigkeiten einer früheren Generation zu schaffen? Es soll genug sein, daß die Wunden, die die Gereiztheit ehrgeiziger Männer unseren Gliedern beigebracht hat, bis jetzt fortbestanden haben; jetzt sind diese Wunden vereitert, und wir haben sogar den Schmerz verloren, um dessentwillen man den Arzt zu rufen pflegt. Du siehst, welch große und bedauernswerte Störung in die christlichen Häuser und Familien gedrungen ist. Mann und Weib sind über ihr Bett einig, streiten aber über den Altar Christi. Bei jenem schwören sie sich, miteinander Frieden halten zu wollen, den sie bei diesem nicht haben können. Kinder haben mit ihren Eltern zwar dasselbe Haus, aber nicht dasselbe Gotteshaus; sie wollen die Erbschaft derer antreten, mit denen sie über die Erbschaft Christi zanken. Knechte und Herren zerteilen ihren gemeinsamen Herrn, „der Knechtsgestalt angenommen hat“121, um uns alle durch seine Dienstbarkeit zu befreien. Die Eurigen ehren uns, die Unserigen ehren euch. Die Eurigen beschwören uns bei unserer bischöflichen Krone, bei derselben Krone aber beschwören auch die Unserigen euch. Jedermanns Wort halten wir in Ehren und wollen niemanden beleidigen. Hat uns etwa Christus allein beleidigt, da wir seine Glieder zerfleischen? Die Menschen, die ihre zeitlichen Angelegenheiten mit unserer Hilfe abschließen wollen, nennen uns, falls sie unser bedürfen, Heilige und Gottesdiener, damit sie ihre irdischen Geschäfte beenden: laßt uns also auch einmal das Geschäft unseres und ihres Heiles zum Abschlusse bringen, ein Geschäft, bei dem es sich nicht um Gold und Silber, nicht um Acker und Vieh handelt. Wegen solcher Dinge grüßt man uns täglich geneigten Hauptes, damit wir die üblichen Streitigkeiten unter Menschen beenden; aber über unser Haupt selbst122 besteht ein so schändlicher und verderblicher Zwiespalt. Mögen immerhin die, die uns grüßen, das Haupt vor uns neigen, damit wir Frieden auf Erden zwischen ihnen stiften; unser Haupt hat sich vom Himmel bis zum Kreuz herabgeneigt, und doch haben wir keine Eintracht in ihm.
6.
Ich bitte dich also und flehe dich an: Wenn brüderliche Liebe in dir ist, wie viele rühmen, dann zeige hier deine Güte! Wenn du sie nicht um vergänglicher Ehre willen bloß zur Schau trägst, dann laß dein Herz von Mitleid gerührt werden, entschließe dich endlich, die strittigen Punkte mit uns zu besprechen, verbinde dich mit uns im Gebete und verhandle alles mit Friedfertigkeit! Das arme Volk, das uns so viel Ehre erweist, könnte uns sonst im Gerichte Gottes mit seinen Ehrenbezeigungen zur Last fallen! Möge es vielmehr durch unsere ungeheuchelte Liebe von Irrtum und Spaltung zurückgeführt und mit uns auf den Weg der Wahrheit und des Friedens geleitet werden! Vor den Augen Gottes wünsche ich, daß es dir wohlergehe, ehrwürdiger und geliebtester Herr!
XX. (Nr. 34.) An Eusebius
Geschrieben im Jahre 396.
An den verehrtesten Herrn, den nach Verdienst hochzuachtenden und ehrwürdigen Bruder Eusebius
Inhalt. Der heilige Augustinus wendet sich im vorliegenden Briefe an Eusebius, der Staatsbeamter gewesen zu sein scheint und die Donatisten begünstigte, um ihm einen schweren Fall donatistischer Wiedertaufe, der sich in Hippo ereignet hatte, zu berichten; er ersucht ihn, feststellen zu lassen, ob Proculeianus, der donatistische Bischof von Hippo, jene Wiedertaufe angeordnet oder ob sie der Priester Victor aus eigener Vollmacht vollzogen habe. Wiederum bietet der heilige Augustinus dem Proculeianus durch Eusebius ein Religionsgespräch an.
1.
Gott, dem die Geheimnisse des menschlichen Herzens offenkundig sind, weiß, daß ich zwar den Frieden unter den Christen überaus liebe, ebenso aber auch die gottesräuberischen Handlungen derer verabscheue, die in unwürdiger und gottloser Weise unaufhörlich diesen Frieden in Zwiespalt verkehren. Er weiß, daß ich trotz dieses Abscheues in meiner Seele nach Frieden verlange, daß ich auch nicht beabsichtige, jemanden wider seinen Willen zur Gemeinschaft mit der katholischen Kirche zu zwingen. Vielmehr soll allen Irrenden die offenbare Wahrheit erklärt werden, damit sie mit Gottes Beistand durch unsere Vermittlung ans Licht komme und sich selbst jeglichem empfehle, daß er sie annehme und ihr folge.
2.
Kann es aber, ich frage dich, etwas Abscheulicheres geben, als was — um von anderem zu schweigen! — eben jetzt geschehen ist? Von seinem Bischof wird ein junger Mann bestraft, der häufig mit Schlägen gegen seine Mutter wütet und seine ruchlosen Hände nicht einmal an jenen Tagen, an denen die Strenge der Gesetze sogar der ärgsten Verbrecher schont123, ruhen läßt, sondern auch dann den Leib, der ihn geboren hat, mißhandelt. Ja er droht derselben Mutter, auf die Seite der Donatisten zu treten und sie, die er mit unglaublicher Wut zu schlagen pflegt, auch noch zu töten. Er droht es ihr, geht zu den Donatisten über, wird in der Raserei seines Zornes getauft und, lechzend nach dem Blute der Mutter, mit weißen Kleidern angetan. Da steht er innerhalb des Chores an hervorragender Stelle, allen sichtbar; den Augen der seufzenden Menge wird er, der auf Muttermord sinnt, als ein Wiedergeborener vorgestellt.
3.
Kann dir, einem durchaus ernst zu nehmenden Manne, solches Tun gefallen? Das kann ich unmöglich von dir glauben; ich kenne ja dein gewiegtes Urteil. Die leibliche Mutter wird an dem Körper geschlagen, der den Undankbaren geboren und ernährt hat; und da die Kirche, die geistige Mutter, es verbietet, so wird auch sie verwundet, und zwar in den Sakramenten, mit denen sie den Undankbaren geboren und ernährt hat. Hat er nicht offenbar mit dem Knirschen eines Muttermörders zu dir gesprochen: „Was soll ich der Kirche antun, die mir verbietet, meine Mutter zu schlagen? Ich weiß, was ich tue. Auch ihr soll alle mögliche Unbill zugefügt werden; ich will tun, worüber ihre Glieder Schmerz empfinden sollen. Ich will mir das Vergnügen machen, zu jenen zu gehen, die es verstehen, die Gnade, in der ich der Kirche geboren bin, wegzuwischen, die Gestalt, die ich in ihrem Schoße empfangen habe, zu zerstören. Meine beiden Mütter will ich mit grausamen Qualen martern. Die mich später geboren hat, erfahre es zuerst. Bei dem Schmerze der einen werde ich dem Geiste nach sterben, durch den Mord der anderen dem Fleische nach leben.“ Was erwarten wir anderes, verehrter Eusebius, als daß er, der nunmehr zu den Donatisten übergegangen ist, gegen das altersschwache Weib, die hilflose Witwe, die Waffen ergreift, da die katholische Kirche ihn bisher von solchem Mord zurückgehalten hat? Hat er denn einen anderen Entschluß in seinem rasenden Herzen gefaßt, als er zu seiner Mutter sprach: „Ich will zu den Donatisten übertreten und dein Blut trinken“? Sieh, mit blutbeflecktem Gewissen, aber in weißen Gewändern hat er den ersten Teil seines Versprechens schon erfüllt; den zweiten, das Blut der Mutter zu trinken, muß er noch wahr machen. Finden solche Vorsätze deinen Beifall, dann mögen seine Kleriker und Heiligmacher ihn drängen, noch innerhalb der Oktave sein ganzes Gelübde zu erfüllen.
4.
Mächtig ist zwar die Hand des Herrn, seine Wut gegen die arme, verlassene Witwe zu bändigen und ihn auf erprobten Wegen von seinem verbrecherischen Vorhaben abzuschrecken. Sollte aber ich nicht wenigstens bei einem so schmerzlichen Vorfalle meine Stimme erheben? Soll jenen solches erlaubt sein, während man mir zuruft: „Schweige!“? Der Herr bewahre mich vor der Torheit, daß ich mich durch ihren Zorn erschrecken lasse und schweige, während er mir doch durch seinen Apostel befiehlt, der es als Aufgabe des Bischofs bezeichnet, „zu widerlegen die, die falsche Lehren aufstellen“124. Wenn ich also Sorge trug, daß ein so ungeheurer Frevel in den Staatsakten verzeichnet werde, so geschah dies deshalb, damit niemand, vorzüglich nicht in anderen Städten, sobald es ihm paßt, meine, ich hätte, was ich beklage, nur erdichtet. Sagt man ja sogar schon zu Hippo, Proculeianus habe gar nicht das befohlen, was ihm amtlich zugeschrieben wird.
5.
Kann ich also vorsichtiger vorgehen, als eine so wichtige Sache durch dich zu verhandeln, einen Mann, der sich in den höchsten Würden befindet und mit so ruhiger Besonnenheit zu Werke geht? Noch einmal bitte ich, wie ich dich schon durch gute und ehrbare Männer gebeten habe, die ich zu deiner Erhabenheit gesandt: forsche doch nach, ob Victor, der Priester des