auch Victor eine andere Erklärung gegeben, die Zeugen aber, da sie seiner Kirchengemeinschaft angehören, falsche Angaben zu Protokoll gegeben haben. Ist aber Proculeianus geneigt, in friedlicher Verhandlung alle zwischen uns schwebenden Streitfragen zu verhandeln, so bin ich gern zufrieden, damit der offenbare Irrtum sich noch offenbarer zeige. Wie ich nämlich gehört habe, hat er den Wunsch ausgesprochen, es möchten unter Vermeidung jeglicher Aufregung des Volkes zehn ernste und gewissenhafte Männer von jeder Partei aus der Heiligen Schrift die Wahrheit erforschen. Hat er aber etwa, wie mir von einigen berichtet worden ist, sein Erstaunen geäußert, warum ich nicht nach Constantina125 gegangen bin, als sich ihrer mehrere dort befanden, oder die Forderung aufgestellt, ich solle nach Mileve126 gehen, wo sie, wie man behauptet, nächstens ein Konzil halten wollen, so ist das lächerlich; denn es handelt sich nicht um meine eigene Person, sondern um die Kirche von Hippo. Ich habe es in der ganzen Angelegenheit vorzüglich mit Proculeianus zu tun. Wenn er sich mir nicht gewachsen glaubt, so mag er die Hilfe irgendeines Amtsbruders in Anspruch nehmen. Denn wir tun in anderen Städten nur, was uns unsere Mitbrüder und Mitbischofe, die in den betreffenden Städten ihren Sitz haben, gestatten oder auftragen.
6.
Indessen verstehe ich nicht, was er, der sich seit so vielen Jahren Bischof nennt, eigentlich von mir, dem Neuling, befürchtet, daß er sich in kein Gespräch einlassen will. Was die Kenntnis der freien Künste anbetrifft, die er vielleicht gar nicht oder weniger als ich erlernt hat, was hat sie mit der Frage zu tun, die uns beschäftigt und aus der Heiligen Schrift und kirchlichen und weltlichen Aktenstücken zu entscheiden ist? Mit solchen Dingen beschäftigt er sich jedoch schon seit so vielen Jahren, daß er in ihnen mehr bewandert sein sollte als ich. Doch befindet sich hier mein Bruder und Amtsgenosse Samsucius, Bischof von Turris127, der jene Kenntnisse nicht erlernt hat, vor denen sich offenbar Proculeianus fürchtet. Er soll sich ihm stellen und mit ihm verhandeln. Ich will ihn bitten — und er wird mir, wie ich im Namen Christi vertraue, gern den Gefallen erweisen —, in dieser Sache meine Stelle zu vertreten. Und der Herr wird ihm, wie ich ebenfalls hoffe, zur Seite stehen, da er für die Wahrheit kämpft und im Glauben unterrichtet ist, mag auch seine Rede der Glätte entbehren. Es liegt also keine Veranlassung vor, die Sache auf irgendwelche andere Leute zu schieben, bloß damit sie nicht unter uns ausgetragen werde, obwohl sie uns angeht. Will jener sie jedoch zu Hilfe rufen, so habe ich, wie bemerkt, gar nichts dagegen.
XXI. (Nr. 35.) An Eusebius
Geschrieben im Jahre 396.
An den erlauchten Herrn, den nach Verdienst zu verehrenden und geliebtesten Bruder Eusebius.
Inhalt. Eusebius hatte auf den vorigen Brief gereizt geantwortet, er könne nicht den Schiedsrichter abgeben zwischen Proculeianus und Augustinus; doch hatte er den Proculeianus nicht um das gefragt, was Augustinus gewünscht hatte, vielmehr ihn wegen jenes Falles in Schutz genommen und entschuldigt. Augustinus verteidigt sich nun wegen seines ersten Briefes, bittet nochmals, Eusebius möge dem Proculeianus die gewünschten Fragen vorlegen, und zählt weitere Beispiele donatistischer Zuchtlosigkeit und Verfolgungssucht auf. Proculeianus selbst gebe ihm keine Antwort, ja nehme nicht einmal seine Briefe an; deshalb sehe er sich gezwungen, die Vermittlung des Eusebius in Anspruch zu nehmen.
1.
Nicht ich habe als lästiger Mahner und Bittsteller deinem widerstrebenden Willen die Aufgabe auferlegt, den Schiedsrichter zwischen Bischöfen zu machen. Wäre es aber auch meine Absicht gewesen, dich dazu zu bewegen, so könnte ich vielleicht unschwer nachweisen, daß du allerdings in einer so offenkundigen und unzweideutigen Sache zwischen uns richten könntest; auch könnte ich deine Handlungsweise näher beleuchten, wie du schon jetzt, ohne die Parteien gehört zu haben, unbedenklich der einen Partei das Recht zuschreibst, obwohl du von einem ordentlichen Gerichte nichts wissen willst. Ich lasse dies aber, wie gesagt, vorläufig auf sich beruhen. Nur um das eine aber hatte ich deine sehr zu verehrende Güte angesprochen, worauf ich wenigstens in diesem Briefe zu achten bitte: du mögest den Proculeianus fragen, ob er seinem Priester Victor jenen Auftrag gegeben, von dem im amtlichen Berichte die Rede ist, oder ob etwa die abgesandten Auskunftspersonen nicht, was sie von Victor gehört, sondern eine Lüge zu Protokoll gegeben haben, schließlich, was er von einer Erörterung der ganzen zwischen uns schwebenden Frage halte. Ich meine nun, daß man durch die Bitte, jemanden fragen und die erhaltene Antwort mitteilen zu wollen, noch nicht zum Richter aufgestellt sei. Auch diesmal bitte ich, diese Mühe auf dich zu nehmen; denn wie ich schon erfahren habe, will er keinen Brief von mir annehmen. Täte er dies, dann würde ich nicht durch deine Herrlichkeit mit ihm unterhandeln. Da er sich aber weigert, kann ich da milder vorgehen, als ihn durch dich, einen so angesehenen und ihm dazu noch befreundeten Mann über etwas zu fragen, wozu ich aus Amtspflicht unmöglich schweigen kann? Dein sittlicher Ernst hat sich allerdings darüber entrüstet, daß die Mutter vom Sohne geschlagen wurde. Aber so sagst du: „Wenn Proculeianus dies wüßte, würde er den jungen Verbrecher aus seiner Kirchengemeinschaft ausschließen.“ Darauf antworte ich kurz: „Jetzt weiß er es, also schließe er ihn auch jetzt aus!“
2.
Ich füge noch folgendes bei. Einem früheren Subdiakon der Kirche von Spanium128, Primus mit Namen, waren seine dem Gesetze der Kirche zuwiderlaufenden Besuche bei gottgeweihten Jungfrauen129 verboten worden; da er aber die heilsamen und ordnungsgemäßen Vorschriften verachtete, wurde er aus dem geistlichen Stande ausgeschlossen. Aus Zorn gegen die Zucht des Herrn ging er zu den Donatisten über und wurde von ihnen wiedergetauft. Zwei gottgeweihte Jungfrauen, die sich gleich ihm auf einem Grundstücke katholischer Christen angesiedelt hatten, verführte er zu dem gleichen Schritt oder gab ihnen wenigstens das Beispiel. Auch sie wurden wiedergetauft. Jetzt jubelt er stolz unter den abscheulichsten Ausschweifungen der Trunksucht mit den Sklaven der Circumcellionen und umherirrenden Haufen von Weibern, die deshalb keinen Mann haben, damit sie zuchtlos sein können. Er freut sich, daß ihm jetzt volle Freiheit zu schlechtem Umgange gegönnt sei, während ihm in der katholischen Kirche dies nicht gestattet war. Vielleicht weiß Proculeianus auch dieses nicht. Möge er also durch dich, einen so strengen und milden Mann, davon in Kenntnis gesetzt werden. Möge er befehlen, daß der aus seiner Kirchengemeinschaft ausgeschlossen werde, der sie nur erwählt hat, weil er in der katholischen Kirche wegen Ungehorsams und schlechter Sitten aus dem geistlichen Stande ausgeschlossen worden war.
3.
Ich jedenfalls beabsichtige, mit Gottes Gnade die Regel einzuhalten, daß ein bei den Donatisten wegen seines Lebenswandels Abgesetzter, wenn er in die katholische Kirche eintreten will, nur als Büßer aufgenommen wird, und zwar in jenem Bußgrade, zu dem er wahrscheinlich auch bei ihnen im Falle seines Verbleibens angehalten worden wäre. Aber erwäge, ich bitte dich, wie abscheulich jene handeln, wenn sie die, die wir wegen ihres schlechten Lebens mit Kirchenbußen bestrafen, zu einer zweiten Taufe bereden, zu deren Erlangung sie sich als Heiden bekennen müssen. Und wieviel Märtyrerblut ist geflossen, damit dieses Wort nicht aus dem Munde eines Christen komme! Haben sie dann diese sogenannte Wiedergeburt und diese sogenannte Heiligung erlangt, so spotten sie, durch jenes Zerrbild neuer Gnade noch schlimmer geworden, mit neuer gottesräuberischer Wut der Kirchenzucht, die sie nicht ertragen konnten. Sollte ich aber unrecht tun, durch deine Wohlwollenheit eine Heilung dieser Mißstände zu erstreben, so möge doch niemand über mich klagen, wenn ich sie ihm durch amtliche Berichte zur Kenntnis bringe; denn dies kann mir nach meiner Ansicht in einer römischen Stadt130 nicht verweigert sein. Denn da uns Gott befiehlt, zu reden und sein Wort zu predigen, die „Irrlehrer zu widerlegen“131 und „zu gelegener und ungelegener Zeit“132 zu mahnen, wie aus den Worten des Herrn und der Apostel hervorgeht, so glaube ja kein Mensch, er werde mich bewegen, über diese Dinge Stillschweigen zu beobachten. Sollten sie aber an Raub und Gewalttat denken, so wird es der Herr seiner Kirche nicht am Schutze fehlen lassen; hat er doch alle Reiche der Erde in dem Schoße seiner Kirche, die über die ganze Welt ausgebreitet ist, seinem Joche unterworfen!