Ricarda Huch

Gesammelte Werke


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persönlichen Gott absah, und mechanisierend, indem sie die mit Notwendigkeit wirkenden Gesetze, die sie in der Natur suchte, auch im menschlichen Geiste finden wollte; aber sie wirkte auch befreiend. In die entschleierte Welt, die unbekannt und unermeßlich vor ihm lag, wagte sich der wissenschaftliche Mensch, ausgerüstet mit seinen gesunden Sinnen, seiner Vernunft und seiner Wahrheitsliebe. Er verachtete nicht grundsätzlich, was andere vor ihm gedacht hatten; aber es hemmte ihn auch nicht. Alterius non sit, qui suus esse potest. Er hatte kein anderes Ziel als das, was er mit seiner Ausrüstung erforschen würde; er war stark genug, um sich nicht selbst zu belügen, wenn das Ergebnis seiner Studien etwaige frühere Wissensschätze entwertete oder ihm teure Vorstellungen zerstörte. Er traute sich zu, die Welt umzugestalten, und tat es. Schon im Beginn des 18. Jahrhunderts hatte die Wissenschaft die Religion aus ihrer herrschenden Stellung verdrängt, nicht nur an den Universitäten, wo die Philosophie den Platz der Theologie einnahm, sondern auch im Leben.

       Inhaltsverzeichnis

      Lange bevor es im Dreißigjährigen Kriege zusammenbrach, spürten die Deutschen den Untergang des Reiches, dessen Träger sie waren. Er meldete sich in kleinen und großen Anzeichen, er ließ sich wittern in einer wunderbaren Herbstlichkeit der Luft. Ein Aroma wie von braunen Blättern, die zerfallen, ein Übermaß an Sinnesrausch und Frevel, ein gieriges Ausschöpfen von Vorstellungen und Gedanken, von Lust und Schmerz, alles deutete auf die Neige der Zeit. Es kann so nicht dauern, es geht dem Ende zu, das drängte sich allen auf, die nachdenkend inmitten des steigenden Verderbens standen. Der, welcher nach dem Ablauf von Jahrhunderten zurückschaut, sieht, daß das erwartete Ende eine Verwandlung war, und erkennt die neuen Gebilde, die sich zu formen und mit Lebenskraft zu füllen begannen. Unter den staatlichen Gebilden war eines, das ganz besonders das Wesen des sterbenden Reiches in sich aufnahm und weiterentwickelte, das war Österreich. Die Ostmark, die durch ihre Aufgabe, das Reich vor den hereinbrandenden Völkern Asiens zu schützen, sich stark gemacht hatte, so daß sie beinah unabhängig vom Reich geworden war, nahm nun den Grundgedanken des Reiches in sich auf: die Universalität, die Verbindung mit Rom und Italien; zugleich aber blieb sie verantwortlich für den Schutz nach Osten und belud sich, da sie inzwischen sich nach Westen ausgedehnt hatte, mit dem Schutz nach Westen. Seit Rudolf von Habsburg gab es immer wieder österreichische Fürsten, die klar erkannten, was für eine großartige, umfassende Aufgabe ihnen zugefallen war. Seltsam, wie Friedrich III., wenn er blumenzüchtend in seinem Garten hantierte oder auf einem Ochsenwagen von einer Reichsstadt zur anderen geschoben wurde, von der Weltherrschaft Österreichs träumte. Nicht immer glücklich in der Ausführung, hat Maximilian doch seherisch sicher seinen Nachkommen den gewaltigen Umkreis ihrer Aufgaben vorgezeichnet. Vom Reiche kaum unterstützt, beständig durch aufreibende Kämpfe um des Reiches Beisteuer zu den Türkenkriegen gehemmt, wendete er sich hauptsächlich gegen das an Mitteln reiche, unternehmende Frankreich, das den Deutschen ihre überlieferte Vormachtstellung entreißen wollte. Daß Deutschland sich zwischen zwei so gut ausgerüsteten, hitzigen Feinden, wie Frankreich und die Türkei es waren, behaupten konnte, ist seiner und seines Enkels Unermüdlichkeit, ihrem großen Sinn, ihrer leidenschaftlichen Energie zu danken. Was für ein Aufstieg! Es ist kein Wunder, daß Maximilian sein Leben als eine denkwürdige Abenteuergeschichte niederschrieb. Durch seine Vermählung mit Maria, der Erbin von Burgund, gewann er der Dynastie und dem Reiche die Niederlande zurück, deren Kranz von Provinzen und Städten mit ihrem Reichtum und ihrer Kunst das bewunderte Vorbild der europäischen Staaten war. Dadurch, daß er seinen einzigen Sohn, Philipp den Schönen, mit einer Tochter der Könige von Spanien, Ferdinand und Isabella, vermählte, und durch eine Reihe unerwarteter Todesfälle wurde sein Enkel König des Reiches, das kurz zuvor Columbus mit einer neuen Welt jenseits des Meeres beschenkt hatte. Und was für einen Ausblick gewährte das Doppelverlöbnis mit den beiden Erben der Kronen von Böhmen und Ungarn, das Maximilian im Jahre 1515 zustande brachte! Dem Sohne des Königs, Ludwig, wurde Maximilians Enkelin Maria, Ludwigs Schwester Anna sein Enkel Ferdinand bestimmt, und so wichtig war dem Kaiser diese Verbindung, daß er sich seufzend verpflichtete, Anna selbst zu heiraten für den Fall, daß aus der Ehe mit Ferdinand nichts wurde. Diese beiden Eheschließungen, die 1521 vollzogen wurden, haben die Grundlage zur Vereinigung von Ungarn und Böhmen samt Nebenländern mit Österreich gebildet. Der bekannte lateinische Vers spottet: bella gerant alii, tu, felix Austria, nube – mögen andere Krieg führen, du, glückliches Österreich, heirate. Allein, die Heiraten waren doch nur wie die Fahnen, die die Seefahrer zum Zeichen der Besitznahme an der erreichten Küste aufpflanzten; dann mußte das Land erobert werden. Alle diese Hochzeiten ersparten den Habsburgern nicht zum Teil langwährende Kämpfe, die Österreich Blut und Geld kosteten. Maximilian I. und Karl V. brachten die meiste Zeit ihres Lebens im Harnisch zu, und die Regierungen ihrer Nachfolger waren, mochten sie auch persönlich nicht kriegerisch sein, von Kriegen erfüllt.

      Es ist eine der traurigsten Folgen der Reformation, daß ihre Anhänger sich von der Überlieferung loslösten, gleichsam ihr Gedächtnis abschnitten. Sie gewöhnten sich so sehr daran, alles zu schmähen, was vor der Reformation gewesen war, daß sie sich als ganz abgesondert von der Vergangenheit betrachteten, wie wenn ihre Ahnen nicht darin wurzelten und nicht davon getränkt gewesen wären. Was in der Zeit der Abgötterei geschehen war, mußte verwerflich sein. Sie dachten nicht daran, daß ihre Väter und Mütter oder Großeltern und Urgroßeltern in den Vorstellungen der papistischen Zeit gelebt hatten und vielleicht ehrbare Leute gewesen waren, vielleicht Großes geleistet hatten. Sie wollten ihr rühmliches Erbe nicht antreten. Diese Folge der Reformation machte sich zwar sofort bemerkbar, trat aber allmählich immer verhängnisvoller hervor. Das Gefühl der Anhänglichkeit an den Kaiser und des Zusammenhangs mit seinen Erbländern erhielt sich in den leitenden Kreisen zunächst noch; in allgemeinen herrschte im 16. Jahrhundert das Bestreben, sich dem Kaiser gefällig zu zeigen. Die entgegenkommende Stimmung erfüllte nicht nur das Kurfürstentum Sachsen, das sein Emporkommen dem Kaiser dankte. Ferdinand I. und Maximilian II. hofften immer noch auf die Möglichkeit eines Ausgleiches zwischen den Glaubensparteien, der liebenswürdige, kluge und scharmante Maximilian verhielt sich so, daß Katholiken und Protestanten ihn zu den ihren zählen konnten. Weil er die Calvinisten haßte, hielten sich auch die lutherischen Fürsten ängstlich vom Calvinismus fern, es war ein allseitiges Bestreben, die gegenseitigen Empfindlichkeiten zu schonen, nichts Explosives anzurühren. Erst als der Katholizismus unter dem Einfluß der Jesuiten und Bayerns wieder erstarkte und daran dachte, Verlorenes zurückzugewinnen, wurde der Gegensatz schroffer, unversöhnlicher. Die Verbindung mit Spanien, die durch die Einheit der Dynastie gegeben war, fügte sich deshalb gut in die österreichische Politik, weil Spanien im Gegensatz zu Frankreich stand, dem Erbfeind des Reiches. Die furchtbare Tragik des Reiches wollte, daß die protestantischen Fürsten, um sich gegen Österreich zu erhalten, darauf angewiesen waren, den Gegensatz zwischen Österreich und Frankreich auszunützen, obwohl er zugleich ein Gegensatz zwischen Frankreich und dem Reiche war. Man gewöhnte sich im protestantischen Lager daran, die Verbindung mit Frankreich als das einzige und notwendige Mittel zur Erhaltung ihres Glaubens und der Libertät, das heißt ihrer Souveränität, anzusehen. Auch als der Kaiser nicht mehr daran denken konnte, den Protestantismus auszurotten, blieb noch das Schlagwort, der blinde Gegensatz der Partei, die unüberwindliche Entfremdung.

      Nachdem die protestantischen Fürsten die Bistümer Metz, Toul und Verdun an Frankreich ausgeliefert hatten, bemühte sich Karl V. mit dem Aufwand seiner letzten Kräfte, Metz zurückzuerobern. Die englische Gesandtschaft, der er damals Audienz gab, berichtete, wie bleich, einem Sterbenden ähnlich, er aussah, wie durchsichtig seine Hände waren, wie er sich vergebens bemühte, vernehmlich zu sprechen. Trotzdem, während ihm alle rieten, die Eroberung aufzugeben, sein Leibarzt Vesalius meinte, weder Karl noch einer von ihnen allen werde mit dem Leben davonkommen, verbot der Kaiser, vorn Rückzug zu sprechen, bis zuletzt die Notwendigkeit ihn zwang. Die protestantischen Fürsten kümmerten sich wenig mehr um den Verlust: ihr Territorium ganz in ihre Hand zu bringen, es ertragsfähig zu machen, war, wenn es pflichteifrige Herren waren, ihr Bemühen, und manche, wie der Kurfürst von Sachsen, haben dabei zur Hebung des Handels, des Handwerks, der Landwirtschaft viel getan. Aber der Reichsgedanke ging in ihren kleinlich eng umhegten Gebieten verloren. Er lebte in Österreich, war Österreichs Wesen. Durch Österreich, wenn