erhalten die Westfranken das Studium. Sacerdotium und Studium sind des Reiches Dach und Fundament; aber das Imperium, nämlich Aachen, Arelat, Mailand und Rom, sind seine Mauern. Die Schrift hatte den Zweck, die Feinde der Deutschen, namentlich die Kirche und Frankreich, zu warnen. Es ist göttliche Bestimmung, das ist ihr Grundgedanke, nicht menschliche Erfindung, daß das Kaisertum den Deutschen gegeben ist. Wie die Kirche die Kirche Gottes ist, so ist das Reich das Reich Gottes, Kirche und Reich sind nicht zu trennen. Stürzt das Imperium, so stürzt auch die Kirche, und der Weltuntergang ist da. Es war die allgemeine Annahme, daß dem Untergang des römischen Weltreiches die Herrschaft des Antichrist folgen werde.
Magnanimiter et imperialiter, mit großem Herrschersinn, sollten die Deutschen das Reich innehaben; dieser Aufgabe haben die deutschen Kaiser entsprochen. Sie erfaßten die Pflichten, die das Imperium, die Weltherrschaft ihnen auferlegte, als die größte und wichtigste. Nach ihrer Meinung und der ihres Volkes unterschieden sie sich durchaus von allen anderen Königen und Fürsten dadurch, daß sie nicht nur ihrem Volke, sondern daß sie der gesamten Welt, insbesondere der Christenheit vorstanden. Sie vollzogen zwar, nachdem sie zu Königen gekrönt waren, zuerst den Umritt durch Deutschland, um sich von allen Stämmen huldigen zu lassen; denn als den Königen der Deutschen stand ihnen das Imperium zu, und diese Grundlage mußte also zuerst gesichert werden; dann aber hatte der Zug nach Rom zu folgen, wo durch die Krönung des Papstes die Übernahme der höchsten irdischen Würde besiegelt wurde. Während andere Kriege und Feldzüge nur mit Zustimmung der Großen des Reiches unternommen werden konnten, waren alle Reichsglieder ohne weiteres verpflichtet, dem Könige zur Romfahrt Zuzug und Beiträge zu leisten. An eine Weltherrschaft im altrömischen Sinne dachten die deutschen Nachfolger der Cäsaren nicht, und es hätte das auch dem germanischen Staats- und Rechtsgefühl gar nicht entsprochen; nur auf eine persönliche Oberhoheit des Kaisers kam es an, die auch lange Zeit allgemein anerkannt wurde. Die Reiche des Nordens und Ostens, die zum Teil von Deutschland aus christianisiert und kolonisiert waren, unterwarfen sich, wenn auch nur nach immer wiederholten Auflehnungen, der Lehenshoheit des Kaisers, was sich darin ausdrückte, daß sie ihn nicht bekämpften, zuweilen sogar ihm Heeresfolge leisteten. Auch England und Frankreich anerkannten das Imperium, Frankreich allerdings mit dem (nur so lange es schwach war) zurückgehaltenen Gedanken, daß sie, die Westfranken, mehr Recht daran hätten, als die Ostfranken. Das Bewußtsein der Einheit, das in den Völkern des Abendlandes lebendig war, kam in der Anerkennung der miteinander verbundenen päpstlich-kaiserlichen Herrschaft zum Ausdruck. Man hätte sich aus der abendländischen Gemeinschaft ausgeschaltet, wenn man die Hoheit der beiden Häupter, die zusammen das Ewige Rom beherrschten, geleugnet hätte. Daran allerdings konnte man zweifeln, ob die Deutschen durchaus Träger des Imperiums sein müßten. Daß sie es waren, konnte man, wenn man Lust hatte, auf Priamus und Äneas zurückführen; tatsächlich waren sie es geworden durch ihre militärische Übermacht und ihre geographische Lage. Als das Reich der Mitte, als ein Land, reich an starken Männern und Waffen, als ein empfängliches Volk, das fremden Einflüssen zugänglich und zugleich fähig war, sie eigenartig zu verarbeiten, als ein phantasievolles Volk, das zwar kriegstüchtig, aber nicht eigentlich eroberungssüchtig war, besaßen die Deutschen viele Eigenschaften, die sie geeignet machten, Vermittler, Träger der Einheit zu sein.
Was den Kaisern oblag, dem Reich, dessen Grenzen der Idee nach mit den Grenzen der Welt zusammenfielen, Richtung, Recht und Frieden zu geben, überstieg Menschenkraft; deshalb hatten die Kaiser fast alle, mit Ausnahme Karls des Großen und Ottos des Großen, einen tieftragischen Zug. Aller Leben war ein fortwährender Kampf, ein fortwährendes vergebliches Bemühen, das Unmögliche zu verwirklichen, wobei sie sich aufrieben. Die meisten starben jung, Otto II. und Otto III. erreichten nicht einmal das Mannesalter, Konrad II. wurde 50, Heinrich III. nur 40 Jahre alt, Heinrich IV. starb mit 56 Jahren, Heinrich V. mit 44 Jahren. Vorteile gab es kaum zu erlangen außer größere Ehre und größere Verantwortung. Daß es trotzdem nie an Bewerbern um die Krone fehlte, erklärt sich daraus, daß es im Kreise derer, die sich berechtigt fühlen konnten, immer Hochherzige gab, die eben die Ehre und die Verantwortung lockte. Schon Deutschland zu einigen erforderte eine ungeheuere Anspannung der Kräfte, die geleistet werden mußte nicht mit Söldnern und einem Volksheer, sondern mit Hilfe von Vasallen, von denen die meisten nur dann gehorchten, wenn sie dabei zu gewinnen hofften. Es kam nie vor, daß alle Stämme, alle Reichsglieder sich freiwillig dem gewählten Kaiser unterwarfen; das Deutsche Reich war nichts fest Umgrenztes, es mußte fortwährend neu gebildet werden. Zu dieser Aufgabe, das Reich im Inneren zu einem Ganzen zusammenzufassen, kamen die Einfälle der fremden Völker im Norden, Osten und Süden, die stets wachsame Angriffslust Frankreichs und die Gegnerschaft des Papstes. War es das Gefahrvolle, so war es doch auch das Wundervolle in der Verfassung des Römischen Reiches Deutscher Nation, daß es darin keine Gewalt gab, die nicht einen Gegenspieler gehabt hätte, der es ihr unmöglich machte, unbeschränkt zu herrschen. Niemand konnte nur befehlen, niemand hatte nur zu gehorchen. Selbst die hörigen Bauern hatten wenigstens in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters ihren Grundherren gegenüber bestimmte Rechte, die es ihnen ermöglichten, übermäßigen Druck abzuwehren; erst in der Verfallzeit wurden sie ganz wehrlos. Jeder Stand mußte sich sein Bestehen und Gedeihen im täglichen Kampf erobern. Ein Spiel von leidenschaftlichen Gegensätzen, die nie aufhörten, sich auszuwirken, führte oft zu unheilvollen Erschütterungen, erzeugte aber doch Jahrhunderte hindurch großartige Schöpfungen auf allen Gebieten und gab Menschen und Ereignissen großen Umriß. Am Gegensatz entbrennt das Feuer der Geschichte. – Heinrich III, Herzog von Bayern, war nach dem Tode Ottos III. der Nächstberechtigte zur Königskrone als nächster Verwandter der Ludolfinger; er war der Enkel von Ottos des Großen Bruder Heinrich und ihm wenigstens im Herrscherbewußtsein ähnlich; aber er war klüger und bedächtiger, er verstand zu warten und versuchte es mit diplomatischen Künsten, bevor er Gewalt anwendete. Da zu seiner Zeit im Osten unter bedeutenden Herrschern, Stephan von Ungarn und Boleslaw von Polen, selbständige Staaten sich bildeten, mußte er sich anstrengen, um den Deutschen die bisherige Sphäre des Einflusses zu erhalten. Er brachte es dazu, daß Boleslaw, vielmals besiegt und immer wieder abfallend, die Oberhoheit des Reiches anerkannte. Der Kirche verstand er seinen Willen aufzuzwingen, ohne sie sich zum Feinde zu machen, ist er doch als einziger unter den deutschen Kaisern unter die Heiligen aufgenommen worden. Nicht einmal daß er vom slawischen Stamme der Liutigen Hilfe gegen Polen durch Freigebung ihres heidnischen Kultus erkaufte, machte die Geistlichkeit an ihm irre. Seine Vorliebe für Bamberg beruhte wohl zum Teil auf dem Verständnis für die freundliche Schönheit der fränkischen Landschaft. Wie ein Geschöpf der Natur in edler Anmut wächst sein Dom daraus hervor und bewahrt das Gedächtnis des letzten Kaisers aus der großen sächsischen Familie.
Die Mischung von Hoheit und Traulichkeit, den Humor, die herzliche Wärme, die den Ottonen eigen war, hatten die Salier nicht. Sie waren ein herrisches Geschlecht, unbeugsam, schroff und hätten Despoten werden können, wenn die vielfachen Widerstände im Reich sich hätten überwinden lassen. Als Konrad II. den Markgrafen Adalbero von Kärnten absetzen wollte und zu diesem Zweck die Großen des Reiches versammelt hatte, erhob sein Sohn Heinrich, damals schon König, Einsprache dagegen, weil er Adalbero gegenüber durch einen Eid gebunden sei. Konrad bat wieder und wieder, bestürmte immer eindringlicher, zuletzt bewirkte der Anprall seines heftigen Willens gegen einen ebenso stark widerstrebenden, daß er ohnmächtig zu Boden fiel. Als er die Besinnung wiedererlangt hatte, stürzte er sich sofort mit frischer Kraft wieder in den Kampf, fiel seinem Sohn zu Füßen und flehte ihn an, einzuwilligen. Da gab Heinrich nach.
Das Reich wurde immer noch als Gottesreich aufgefaßt, der Kaiser als Stellvertreter Christi, Gerechtigkeit zu üben als seine erste Pflicht. Als Konrad II. in Mainz die Weihe empfing, hielt der Erzbischof von Mainz eine Anrede, in der er von den Aufgaben sprach, die Gott den Königen zuerteilt habe, nämlich in seinem Reiche Recht, Gerechtigkeit und Frieden walten zu lassen, ein Verteidiger der Kirche, ein Schirmer der Witwen und Waisen zu sein. Daran schloß er die Bitte der Kirche um Gnade für alle, die sich gegen den König verfehlt hätten. Vor der Weihe erschienen mehrere Bittsteller vor dem Könige, ein Bauer der Mainzer Kirche, ein Waisenkind, eine Witwe, ein Verbannter. Als einige Fürsten den König zur Eile mahnten, damit der feierliche Akt nicht verzögert werde, antwortete Konrad, ihm scheine es wichtiger, seine Pflicht zu tun, als Reden darüber anzuhören. Es mag sein, daß die Bittsteller als herkömmliche Requisiten der Königskrönung anzutreten hatten; aber auch als Symbole zeigten