immer die Kluft zwischen Armen und Reichen, zwischen dem Regimentsfähigen und dem Untertan war, die Stadtluft war doch ein Element der Freiheit für alle, für das neu entstehende Volk der Wohlhabenden und Gebildeten. Wenn die Fremden damals und künftig die Herrlichkeit des Reiches priesen, so dachten sie dabei hauptsächlich an die Städte, von denen jede ihr besonderes Antlitz, ihre besondere Schönheit, ihre besondere Anziehungskraft hatte. Nicht nur die Kaiser, auch die Fürsten, weltliche wie geistliche, hielten sich gern in den großen Städten auf, besaßen dort womöglich ein Absteigequartier. Dort entwickelte sich eine neue Art von Frömmigkeit, die von der Kirchlichkeit unabhängig war, sich sogar mit Feindseligkeit gegen die Kirche vertrug. Sie war nicht mehr nur Magie, sondern sie wurde Lebensdeutung, Durchdringung des Lebens mit sittlichen Gedanken. Der Goldgrund des Drüben löste sich langsam auf, wurde dünner und dünner und ließ die blendende Wirklichkeit hindurchstrahlen; auf die greifbaren Ziele des tätigen Menschen richtete sich der Blick.
Die Juden
Es ist kein Blatt in der Geschichte der Menschheit so tragisch und geheimnisvoll wie die Geschichte der Juden. Einzig ihre Stellung unter den Völkern als das auserwählte, aus welchem der hervorging, der für das Abendland den Mittelpunkt und die Grenzscheide der Völker bildet, dessen Name und Wort das Höchste, das Verehrungswürdigste bezeichnet; einzig zugleich als das verfluchte, das ihn ans Kreuz schlug. Waren sie auserwählt, weil in keinem anderen Volke eine so leidenschaftliche Spannung zwischen dem Guten und dem Bösen bestand? Und warum konnten sie, nachdem der Gottmensch in ihrer Mitte Fleisch geworden war, nachdem sie aufgelöst und in alle Teile der Erde zerstreut waren, nicht untergehen? Sollte ihnen die irdische Unsterblichkeit zuteil werden, weil sie an die jenseitige nicht glauben wollten? Sollte das Götter- und Sünderblut erhalten bleiben als ein Tropfen bald heilsamen, bald tödlichen Giftes für seine Nachbarn?
Eine sagenhafte Überlieferung erzählt, der Frankenkönig Karl habe den König von Babel gebeten, ihm einen weisen Juden zu schicken, worauf der Rabbi Machir, ein Mann voll ungewöhnlicher Weisheit, nach dem Westen gekommen sei. Aus Liebe zu ihm habe Karl ihm den dritten Teil der damals eroberten Stadt Narbonne und den Adel verliehen, dazu Privilegien für die dort wohnenden Juden. Gewiß ist, daß die Juden im karolingischen Reiche unbelästigt, nicht selten sogar begünstigt lebten, so daß die Christen über ihre ungerechte Bevorzugung klagten. Die stolze Welfin Judith, Ludwigs des Frommen Frau, soll eine entschiedene Vorliebe für sie gehabt haben. Wahrscheinlich haben Juden fortdauernd während der unruhig bewegten Jahrhunderte der Völkerwanderung in den halb zerstörten, verfallenen Städten des Römischen Reiches gewohnt. In Worms wurde zur Erklärung dafür, daß die Juden dort besonders gut gestellt waren, angeführt, sie seien schon vor Christi Geburt hingekommen, trügen also keine Schuld am Tode Christi. Ein Vorfahr der Kämmerer von Worms, deren Name und Güter später auf die Dalberg übergingen, sollte zur Zeit des Augustus römischer Hauptmann in Palästina gewesen und später nach der Provinz Germanien versetzt sein, wohin er Juden mitgenommen habe. Diese Familie rühmte sich der Verwandtschaft mit der Mutter des Erlösers. Zwar war den Juden erlaubt, Land zu besitzen, aber da sie keine christlichen Sklaven halten durften, konnten sie größere Güter nicht bewirtschaften. Dem Handwerk haben sich Juden in verschiedenen Ländern mit Glück gewidmet, aber im Römischen Reiche beschäftigten sie sich hauptsächlich mit Fernhandel, und das war es wohl auch, weswegen sie im allgemeinen gern gesehen und von den Königen oft gebraucht wurden. Unermüdlich durchwanderten sie die alten Handelsstraßen nach dem Osten und wieder nach dem Westen, erwarben in Byzanz kostbare Stoffe und Gewürze, auch die Pelze, die von Rußland dem großen Stapelplatz am Schwarzen Meer zugeführt und am Hofe der fränkischen Könige sehr begehrt wurden, kauften Sklaven in Böhmen und brachten sie nach Spanien. Da sie über die ganze Erde zerstreut waren, hatten sie überall gute Beziehungen, auch beherrschten sie verschiedene Sprachen und besaßen die Warenkenntnis, die für Handeltreibende nötig ist. Ihre Vertrautheit mit fremden Ländern war die Ursache, daß die Könige sie bei Gesandtschaften verwendeten. Karl der Große gab zwei Gesandten, die dem Kalifen Harun al Raschid Geschenke überbringen und vielleicht auch Handelsbeziehungen anknüpfen sollten, den Juden Isaak mit, der, da die beiden Franken unterwegs starben, als Haupt der Ambassade die Gegengeschenke Haruns zurückführte. Es war ein Elefant darunter, der in Italien überwintern mußte, weil man ihm nicht zumuten konnte, die verschneiten Alpen zu übersteigen. Von einem anderen Juden wird erzählt, daß er auf den Wunsch des Kaisers einem Bischof, dem er einen Schabernack spielen wollte, eine mit Wohlgerüchen und Essenzen hergerichtete Maus als ein seltenes, in Judäa aufgefundenes Tier anbot und den Leichtgläubigen dahin brachte, einen Scheffel Silber dafür zu zahlen. Die jüdischen Kaufleute hatten Schutzbriefe mit Geltung für das ganze Reich und waren vom Heerbann und von anderen persönlichen Dienstleistungen befreit. Die ersten Privilegien, die die sächsischen Könige den einheimischen Kaufleuten für den Besuch ihrer Märkte erteilten, waren immer zugleich mit an die Juden gerichtet, oft so, daß die Juden den Kaufleuten vorangestellt wurden. Im übrigen galten für die Juden die kanonischen Bestimmungen, die Gregor der Große festgesetzt hatte. Dieser hervorragende Papst hat Richtlinien für die Art, wie die Juden behandelt werden sollten, gegeben, die jahrhundertelang von seinen Nachfolgern beobachtet wurden. Allerdings hielt er sich dabei an die Gesetze, die vor ihm, im fünften Jahrhundert, von den Kaisern in bezug auf die Juden erlassen waren: sie wurden dadurch von allen Ämtern und Würden im Staate ausgeschlossen, damit sie in die höheren Gesellschaftsklassen nicht aufsteigen könnten, Mischehen mit Christen einzugehen wurde ihnen verboten, und Todesstrafe wurde jedem angedroht, der Christen zum Übertritt verleitete. Gregor als Vertreter der christlichen Ideen hatte wohl manchen Anreiz, die Juden als Glaubensgenossenschaft anzugreifen, ihren Gottesdienst ebenso wie den heidnischen zu verbieten, allein er bewährte sich als Nachfolger der Kaiser ohne Fanatismus. Wie der Gotenkönig Theoderich es abgelehnt hatte, den Juden das christliche Bekenntnis aufzuzwingen, weil niemand wider seinen Willen zum Glauben gelange, so erlaubte ihnen auch Gregor die ungestörte Ausübung ihrer Religion. Neue Synagogen zu erbauen verwehrte er ihnen allerdings, wie die Kaiser getan hatten, nicht aber, die alten, baufälligen zu erneuern. An Hand dieser Bestimmungen fanden die Juden bei den Päpsten Schutz, wenn sie ihres Glaubens wegen angegriffen wurden, ebenso im fränkischen Reiche bei Karl dem Großen und seinen Nachfolgern. Sie genossen ein hohes Wergeld und brauchten sich dem Gottesurteil nicht zu unterwerfen, es kam sogar vor, daß sie christliche Sklaven hielten. Karl der Kahle hatte einen jüdischen Leibarzt; die schöne Begabung der Juden für die Heilkunst, die sowohl mit ihrem Scharfblick und ihrer Gabe der Einfühlung wie mit ihrer warmherzigen Neigung zu helfen zusammenhängen mag, bewirkte jederzeit, daß einzelnen Bevorzugten Vertrauensstellungen eingeräumt wurden. Der berühmte Abt von Fulda, Hrabanus Maurus, unter dessen schroffer Rechtgläubigkeit der unglückliche Mönch Gottschalk so bitter zu leiden hatte, verschmähte es nicht, sich von einem im Gesetz erfahrenen Juden über die Auslegung biblischer Bücher nach der mosaischen Tradition unterrichten zu lassen. Die Bestimmung einer Synode, wonach jeder, der aus Haß oder Habgier einen Heiden erschlage, als Mörder betrachtet werden und Kirchenbuße leisten solle, wurde von dem Abt Regino von Prüm auf die Juden ausgedehnt. Ebenso nahm Bischof Burkhard von Worms Bestimmungen zum Schutze der Juden in seine berühmte Gesetzessammlung auf. Man betrachtete die Juden nicht nur als das Volk, das Christus gekreuzigt hatte, sondern ebensowohl als das, dessen Geschichte im Alten Testament auch für die Christen die Heilige Geschichte war und dem man, in Hinblick auf seine großen Propheten und Lehrer, eine besondere Weisheit zuschrieb. Dieselbe unbefangene Duldsamkeit wie das karolingische Zeitalter charakterisiert das der Ottonen. Der Freund, der Kaiser Otto II. nach der unglücklichen Schlacht bei Cotrone in Süditalien sein eigenes Pferd zur Flucht gab, der voll Sorge dem Fliehenden nachblickte und den, da die Schiffer sich weigerten, den flüchtigen Kaiser aufzunehmen, der Zurückbleibende traurig fragte, was nun aus ihm werden solle, war ein Jude, namens Calonymus, der in Mainz zu Hause war und als ein weiser Rabbi hoch in Ehren stand. Eine andere Überlieferung erzählt, der Jude habe dem Kaiser, dessen Pferd störrisch gewesen sei, sein eigenes angeboten mit den Worten: »Wenn sie mich töten, denke an meine Kinder.« Tatsächlich gab es sowohl in Mainz wie in Lucca eine jüdische Familie namens Calonymus.
Abgesehen von einer einmaligen Vertreibung aus Mainz durch Heinrich II., haben die Juden unter