Stunden und drohendsten Gefahren, als freue sie sich dankbar eines schönen treuen Gesellen in ihrer Brust, des holden Genius, der ihr innewohnte. Nachdem sie den größten Schmerz ihres Lebens erfahren, ihr Kind verloren hatte, las sie einmal, daß im Homer die Worte vorkommen sollten: Die Herzen der Guten sind heilbar, und bat ihren Mann, ob er nicht die Stelle für sie aufsuchen wolle. »Denn im Homer«, schrieb sie, »habe ich das niemals gefunden, bloß in meinem eigenen Herzen.«
Das Athenäum.
Der Buchstab' ist der echte Zauberstab.
Friedr. Schlegel.
In dem lieblichen Thale der Schwarza hatte sich im Sommer 1799 der junge Norweger Steffens, Studirender der Naturwissenschaft, der Philosophie, der Literatur und alles Neuen und Schönen, gelagert und las Fichte's Wissenschaftslehre und das Schlegel'sche Athenäum. Daß Fichte und Goethe die Brennpunkte der neuen Zeit seien, hatte er im Athenäum gelesen; Goethe war der Genius seiner Jugend gewesen, Fichte aber ihm bis dahin unbekannt geblieben. Nun vertiefte er sich in die Kunst des abstrakten Denkens, was ihm auch nach einiger Bemühung so wohl gelang, daß er sich im Bannkreise des sich selbst setzenden Ich ziemlich heimisch fühlte. Aber seltsam war es ihm doch, wenn er aufblickte, das Gebirge, die Bäume, die Vögel und die Sonne in ihrem strahlenden unwiderleglichen Dasein zu sehen. Nichts erwähnt er von einem solchen Gegensatz der Natur zum Athenäum, wiewohl es durchaus ein Geschöpf des bewußten Geistes ist: das riß ihn hin und zwar, wie er sagt, durch den mächtigen Geist der Einheit des ganzen Daseins, der wie ein frischer Lebensstrom darin wehe und alle Wissenschaften in eine zusammenzufassen suche.
»Der Bildung Strahlen all' in Eins zu fassen,
Vom Kranken ganz zu scheiden das Gesunde,
Bestrebten wir uns treu im freien Bunde«
sagte Friedrich Schlegel in dem Gedichte, das er das Athenäum betitelte; zum Beweise, daß die Leidenschaft zur Einheit wie die Seele der ganzen Romantik so auch die des Athenäums war oder sein sollte.
Wer die vergilbten, altfränkischen Bände des Athenäums aus einer Bibliothek sich holt und von außen betrachtet, kann es sich kaum vorstellen, daß ein Jüngling, im kühlen, sommerlichen Walde sitzend, sich aus diesen Blättern einen Rausch der Begeisterung las; daß sie einmal so modern und aufsehenerregend waren wie jetzt etwa die »Jugend«, nein, viel mehr: eine Fahne der Revolution, von jungen, wagemuthigen, hoffenden Menschen unter Lachen und Jubel geschwungen. Das sollte mit einem Male eine Lücke reißen in die Mauern der Philisterburg! Und dann wollten sie hinterdrein stürmen und sich erobernd in die dämm'rige, dumpfe Höhle werfen. Wie Feuerbrände sollten die phantastischen Einfälle in die steifen, breitspurigen Gassen fliegen und zünden.
Wer das ausgeheckt hatte unter unzähligen andern Entwürfen, das war natürlich Friedrich, während er in Berlin nach langem Darben der ersten Jugend in Freundschaft und Liebe schwelgte. Von seinem faulen Freunde in Kopenhagen, für den die bequemste Stellung ein Studium war, erzählt Steffens, daß er der geistig Angeregteste unter ihnen Allen gewesen sei; aus seiner körperlichen Unbeweglichkeit heraus habe er stets die ganze Gesellschaft in Athem gehalten. Ebenso verhielt es sich mit Friedrich; damals aber namentlich war er durch und durch von Begeisterung beseelt, von einer gründlichen, nachdrücklichen, massenhaften Begeisterung. Mitten in seiner philosophisch-ästhetischen Abhandlung über das Studium der griechischen Poesie und in einem Aufsatz über Lessing steckend, erübrigte er Zeit, den Plan für die neue Zeitschrift zu entwerfen und einen Namen zu ersinnen für die herrliche Waffe, die sie schmieden wollten. Herkules sollte sie heißen, sei es wegen der Schlangen, die der Heros in der Wiege erwürgt oder weil er den Augiasstall gereinigt hatte, dann wieder schlug er Dioskuren vor oder Schlegeleum; denn der verbrüderte Geist von Wilhelm und Friedrich sollte das Ganze regieren. Aber großherzig entsagungsvoll, wie man ist, wenn es sich um die Verwirklichung einer Lieblingsidee handelt, gab er nach und ließ sich das Athenäum gefallen.
Nun aber galt es, den eigenen Enthusiasmus dem Bruder einzuflößen, der dem fremden Plane gegenüber gar nicht so rührig war, wie er sonst zu sein pflegte, auch vielleicht ein nicht unbegründetes Mißtrauen gegen Friedrich's Entwurfsfieber hatte. Etwas Neues und Gründliches über Lessing war Friedrich selbst im Begriff zu schreiben; ein entscheidendes Wort sollte über Goethe gesagt werden; Wieland hinzurichten sollte Wilhelm übernehmen. Aber vor allen Dingen eine Fülle von Ideen! Wir sind jetzt gewohnt, in jeder Tages-, Wochen- und Monatszeitung eine Fülle von Aphorismen zu finden, meistens Lückenbüßer, die einen allgemeinen, wohlbekannten Gedanken nett zugespitzt ausdrücken und so, vertraut und doch überraschend, bequem eingehen. Damals war das etwas Neues und Friedrich glaubte, die Anmaßung, die darin zu liegen schien, entschuldigen zu müssen. Ganze Werke zu schreiben, sagte er, sei freilich ungleich bescheidener, weil sie ja wohl bloß aus andern Werken zusammengesetzt sein könnten, und weil den Gedanken im schlimmsten Fall die Zuflucht bliebe, der Sache den Vorrang zu lassen und sich demüthig in den Winkel zu stellen. Aber Gedanken, einzelne Gedanken seien gezwungen, einen Werth für sich haben zu wollen und müßten Anspruch darauf machen, eigen und gedacht zu sein.
Eigen und gedacht waren seine Ideen wirklich, die »Feuerluft aus Friedrich Schlegel's Laboratorium«, wie Goethe einmal sagte; keine angeflogene, schillernde Einfälle, sondern hartschalige Nüsse, die man oft mühsam aufknacken und abschälen mußte, eh' man sie genießen konnte. Sie waren das Ergebniß langen, gründlichen, philosophischen Nachdenkens und ohne energisches Mitdenken des Lesers durchaus nicht zu verstehen. Darin liegt ihr Reiz. Man sieht, es hat sich da ein Denker, um sich den Vorrath seines Bewußtseins klar und übersichtlich zu machen, eine Reihe von Ausdrücken geschaffen, die man, durch gründliches Studium oder besser durch eine gewisse Verwandtschaft der Anschauung, in sich erleben muß, wenn man sie ganz würdigen will.
Es ist auffallend, wie das Fragment die für Friedrich geeignete Form zu sein scheint. Man kann sagen, die Fülle seiner Ideen sei zu schwer gewesen, oder seine Gestaltungskraft habe nicht ausgereicht, eine größere Masse zu formen. Denkfaul war er keineswegs; aber es war ihm bequem, sein bloßes Denken, roh, unverbunden, wieder zu geben, nebeneinander gestellte Steine, damit wer Lust habe, sich ein Haus daraus baue. Wegen dieses Hanges, sich fragmentarisch auszudrücken, liebte er den Vergleich mit Lessing; Lessing'sches Salz sollten seine Ideen sein gegen die geistige Fäulniß – Randglossen zum Texte des Zeitalters. Aber Lessing's Fragmente waren Splitter, die bei einer Riesenarbeit abfielen; Friedrich's Fragmente sind Schnitzeleien, auf die er sein höchstes Können verwendete. Das setzt freilich die Fragmente selbst nicht herab; als eigen gedachte Gedanken haben sie ihre Unsterblichkeit.
Von der umgebenden Welt ganz abgesondert und in sich selbst vollendet wie ein Igel sollten die Fragmente sein, sagte Friedrich und charakterisirte damit allerliebst seine berüchtigten Paradoxen. Man muß jedes als ein Reich für sich nehmen, voll Stacheln, aber inwendig schön ausgestattet, sauber und wohnlich. Wilhelm und Karoline gingen beim Frühstück die vielen Hunderte Friedrich'scher Ideen durch, die er ihnen zur Einsicht schickte, und hielten es für nöthig, wenn ihnen etwas gar zu paradox, stachelig oder schwerverdaulich schien, das Veto einzulegen, zu dem die beiden Gründer berechtigt waren. Er hat die Vetoscheu, sagten sie, als er bald darauf über Kranksein klagte. Bei aller Ehrlichkeit und Unerschrockenheit im Kampf hielt Wilhelm, als Professor in Jena, eine gewisse Vorsicht und Rücksicht doch für geboten; Karoline war ohnehin nie für das Extreme. Friedrich war empfindlich und entrüstet; wenn man eine Meinung habe, solle man sie unterdrücken, weil man nicht sicher sei, ob Goethe lächeln oder die Stirn runzeln werde? Indessen versprach er um des Gelingens Willen schließlich Alles: es sollte gewissenhaft vermieden werden, was »an Schiller grenzte«, nicht einmal über Agnes von Lilien, den Roman seiner Schwägerin, sollte ein Wort fallen. Dagegen mußte Karoline alle seine früheren Briefe durchlesen, um »sittliche Fragmente« zu suchen, woran es noch mangelte, ebenso ihre eigenen und die seines Bruders. Denn nichts lag Friedrich ferner, als etwa das Athenäum mit seinem Geist allein beherrschen zu wollen: es sollte eine große Symphonie verwandter Geister sein. Ob er selbst einsah, daß, wie Wilhelm und Karoline sagten, der Frédéric tout pur unverdaulich wäre, jedenfalls war er der erste, der auf esprit