Levin Schücking

Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe


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wurde er nach einiger Zeit wieder erweckt – wie er glaubte durch den Schlag der Uhr in dem nahen Torturme, auf den er in den letzten Tagen zu achten gelernt hatte; sie schlug zwölf grell nachhallende Schläge durch die Nacht. Als er die Augen öffnete, fiel ihm auf, daß das Zimmer erhellt war ... in der vorigen Nacht hatte Baptist für gut gefunden, ihm das Nachtlicht als überflüssig zu entziehen – hatte er es heute nachträglich gebracht? Hubert schlug den Bettvorhang zurück, hob den Kopf, um sich davon zu vergewissern, und – fuhr plötzlich erschrocken zurück.

      Der Anblick, der sich ihm dargeboten, als er in dem dämmerig erleuchteten Räume die Augen umhergeworfen, war allerdings höchst überraschender Art.

      Baptist hatte keineswegs ein Nachtlicht angezündet. Das Licht, welches das Zimmer erhellte, kam, ohne daß die Quelle desselben wahrzunehmen gewesen wäre, lediglich hinter einer ganz eigentümlichen Gestalt her, die hoch aufgerichtet, leise mit dem Kopfe nickend, in einem der altfränkischen schwarzen Rohrsessel vor dem hohen Kachelofen saß.

      Die Gestalt war die eines himmellangen, magern Mannes in rotgeblümtem Schlafrock und mit einer hohen Zipfelmütze auf dem Haupte. Er saß kerzengerade aufrecht vor dem Ofen, die Arme auf die beiden Seitenlehnen des Sessels stützend; und das Licht, welches Hubert diese Gestalt in allen Umrissen sichtbar, so deutlich sichtbar wie seine eigene Hand machte, umfloß dieselbe, zeichnete sie klar und scharf gegen die hinter ihr liegende dunkle Wand ab, und dann verdämmerte es allmählich abnehmend in dem weiten Räume. Nachdem Hubert eine Weile vor Überraschung seinen Atem stocken gefühlt, dann die Augen geschlossen, dann sie wieder geöffnet und nun aufs neue ganz dieselbe Erscheinung wahrgenommen hatte, sagte er, sich leise auf seinen Arm stützend, halblaut zu sich selbst: Entweder bin ich in meine Phantasien zurückgefallen, oder dies ist wirklich ein Gespenst, das sich durch meine Anwesenheit nicht abhalten lassen will, seine spukhaften Ansprüche an diese wüste alte Kammer geltend zu machen.

      Während Hubert dies sagte, bewegte sich das Gespenst plötzlich, beugte sich zu der Ofentür hinab, öffnete dieselbe, und dann schob es einige mächtige Scheite hinein; Hubert hörte das Prasseln des Feuers; das Gespenst hatte offenbar schon länger sich damit beschäftigt, die am Abend vernachlässigte Flamme neu zu beleben.

      Ein Gespenst, welches einen Ofen heizt, verliert aber, wie nicht in Zweifel gezogen werden kann, viel von seiner Furchtbarkeit; auch Hubert fühlte sich bei diesem Anblick um vieles beruhigter, hob sich höher in seinem Bett auf und räusperte sich, wie um die Anwesenheit noch eines zweiten lebenden Wesens in diesem Räume anzudeuten.

      »Ist man wach?« sagte jetzt das Gespenst mit einer eigentümlich hohen, fast weibisch lautenden Diskantstimme, während es sich ganz wie früher wieder steif in dem Sessel aufrichtete.

      Hubert säumte nicht zu antworten. Es war kein Grund da, einem Gespenst, welches in anständiger Weise eine Frage stellte und dadurch andeutete, daß es eine vielleicht sehr belehrend werdende Unterhaltung wünschte, nicht freundlich zu antworten.

      »Man ist wach!« erwiderte der Student.

      Das Gespenst erhob sich: es band den Gürtel seines Schlafrockes fester um seine unglaublich dünne Taille; es beugte sich nieder, um einen Leuchter mit brennender Kerze aufzunehmen, der hinter ihm auf dem Boden gestanden und den eigentümlichen Lichteffekt hervorgebracht hatte, als ob das Licht die Gestalt umfließe; und dann kam das Gespenst auf das Bett Huberts zugeschritten, und die himmellange, dünne Gestalt mit dem langen Gesicht, den eingefallenen Wangen, dem weißen, sehr vernachlässigten Stoppelbart, der dräuend nickenden weißen Zipfelmütze, beugte sich über den Kranken und leuchtete ihm ins Gesicht, während ein Paar erstaunlich großer runder Augen in seine Züge spähte.

      »Wer sind Sie? Was wollen Sie?« fragte Hubert jetzt, dem etwas von seiner früheren Beklommenheit zurückkehrte, bei diesem kuriosen Betragen des Mannes ... obwohl er sich eingestehen mußte, daß es mit dem gewöhnlichen Betragen von Gespenstern in ganz beruhigender Übereinstimmung war.

      Das Gespenst stellte sein Licht auf den Nachttisch zu Häupten des Bettes, rückte den Sessel, der zu den Füßen desselben stand, näher heran, und nachdem es bequem darin Platz genommen, zog es ein Spiel Karten aus der Tasche seines Schlafrocks und sagte: »Spielen Sie Karten?«

      »Allerdings ... wenn ich weiß ...«

      »Rabuge?«

      »Auch Rabuge, wenn ich weiß, mit wem ich die Ehre habe zu spielen ...«

      »Mit wem? Kennen Sie mich nicht?«

      Hubert schüttelte den Kopf.

      »Ich bin der Reichsfreiherr Lactantius von Averdonk zu Dudenrode.«

      »Der Reichsfreiherr Lactantius von Averdonk zu Dudenrode?« wiederholte Hubert, dem wieder auf einen Augenblick zumute war, als phantasiere oder träume er.

      »Aber,« sagte er dann, »wenn Sie die Frage nicht übelnehmen, ich darf doch voraussetzen ...«

      »Nun was?«

      »Daß Sie diesem unserm Säculo und nicht etwa einem etwas weiter hinter uns liegenden ...«

      »Ich weiß nicht, was Sie sagen wollen,« bemerkte der Mann, als Hubert nicht fortfuhr, sondern ihn nur verwundert anstarrte, »ich bin der Freiherr von Averdonk.« »Sind Sie denn,« fuhr Hubert nun fort, »sind Sie denn der Herr dieses alten Eulennestes von Kastell, worin man mich gefangen hält?«

      Der Freiherr Lactantius legte die Karten auf das Bett Huberts, fixierte den Studenten eine Weile und dann sagte er:

      »Allerdings bin ich der Herr in meinem Schloß Dudenrode. Aber weshalb sagen Sie: gefangen hält? Man hält Sie nicht gefangen, man verpflegt Sie nur, weil Sie krank sind.«

      »So, hat man mich etwa nicht gegen meinen Willen hierher geschleppt?«

      Der Reichsfreiherr Lactantius von Averdonk schaute auf den Studenten mit Blicken, welche nichts anderes zu sagen schienen als: Dieser junge Mensch ist allem Anscheine nach wahnsinnig!

      Augenscheinlich ist dieses lange Gespenst verrückt! dachte unterdes der Student, während er den Ausdruck der großen vortretenden wasserblauen Augen beobachtete, die auf sein Gesicht starrten.

      »Sie waren wider Ihren Willen hierher geschleppt, wie Sie sich ausdrücken?« Hub der Freiherr nach einer Pause wieder an.

      »Nun, sicherlich! Wie wäre ich sonst hier?«

      »Aber weshalb, zu welchem Ende sollte ...«

      »Das möchte ich eben von Ihnen wissen, der Sie sagen, daß Sie der Herr hier im Hause sind!«

      »Ja so!« sagte der Freiherr, indem er mit der Fläche seiner großen magern Hand über sein Gesicht fuhr. »Aber«, fuhr er fort, »bleiben wir bei der Sache stehen. Sagen Sie mir erst, wo hat man Sie denn eigentlich aufgefunden?«

      »Nun, in Köln.«

      »In Köln? ..., also nicht in einem Graben am Wege, wo Sie krank niedergesunken waren?«

      »In Köln, sage ich Ihnen, in dem verwünschten alten Hause, wo man mich erst durch eine infame Bestie von Hund hetzte und halb ermorden ließ ...« Die Augen des Freiherrn, Lactantius von Averdonk wurden während dieser Worte immer größer. »Fahren Sie fort, fahren Sie fort!« sagte er jetzt mit augenscheinlich großer Spannung.

      Hubert Bender fuhr jedoch nicht fort. Schweigend beobachtete er das Gesicht des alten Mannes, und die unverkennbaren Symptome, daß dieser gerade ebenso gespannt auf seine, Huberts, Geschichte war, wie er, der Student selber, auf eine Aufklärung über seine Umgebung und seine Lage, entgingen ihm keineswegs.

      Hubert Bender beschloß augenblicklich, aus diesem Umstände Vorteil zu ziehen.

      »Mein gnädiger Reichsfreiherr,« sagte ei, »ich meine, es wäre zunächst an mir, Aufklärung über die Behandlung, die ich erfahren habe, zu verlangen. Beantworten Sie zunächst mir einige Fragen, dann will ich Ihnen erzählen.«

      »Ich Ihnen Fragen beantworten? Nein, nein, nein, das ist meine Sache nicht«, versetzte der Reichsfreiherr wie erschrocken. »Was wollen Sie von mir erfahren? Ich weiß