Levin Schücking

Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe


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von Kraneck lachte laut über sein Stücklein, auch Bernhard mußte lächeln, aber er fand nur, daß dies Beispiel von Leichtgläubigkeit und arglosem Vertrauen einen neuen und ganz harmonischen Zug zu dem rührend kindlichen Charakter des gutmütigen Vikars füge.

      Man hatte das Dorf erreicht, und Bernhard war von dem gnädigen Herrn mit der Einladung, eine der Enten oben im Schlosse verzehren zu helfen – während der Jäger ihm die andre morgen für seine Mutter zustellen solle – verabschiedet worden. Margret war noch auf; sie könne doch nicht viel schlafen, sagte sie. Auch Bernhard, der im höchsten Grade durch das Gespräch mit dem Scherenschleifer aufgeregt war, floh lange der Schlaf, als er in den Federn lag; endlich siegte die Ermüdung und seine Augen schlossen sich.

      Fast eine Stunde später wurde die Klinke seiner Tür leise aufgehoben; dann bekam diese einen kurzen und heftigen Stoß, so daß sie ganz geräuschlos halb offen schnellte, und von einem Oellämpchen angeflimmert, vor dem sie bedeckend die Hand hielt, trat Lene in das Zimmer. Sie stellte das Lämpchen auf den Tisch, dann ein Buch vom größten Formate davor und näherte sich sacht dem Lager Bernhards. Dann schlug sie die Arme über der Brust zusammen, stand unbeweglich wie eine Statue und schien mit der größten Spannung seinem Atemholen zu lauschen. Endlich durchfuhr sie ein krampfhaftes Zucken oder eine innere heftige Bewegung; sie warf sich über das Bett, ihren linken Arm sacht über seine Brust und den Kopf neben dem seinen auf das Kissen legend, daß beider Atem sich vermischte. Bernhard flüsterte im Traume einen Namen.

      Lene fuhr zurück und wieder empor; ihre Glieder zitterten; sie ging und nahm die Lampe wieder, wobei das Buch umfiel; der Schein drang jetzt ungehindert und voll bis zu den Wimpern des Schläfers.

      »Ha, was ist? Wer ist da? Du?« fuhr er auf.

      Lene stellte ruhig das Licht wieder hin und kniete auf den kleinen Teppich vor dem Bette nieder, indem sie Brust und Arme daran legte.

      »Ich muß mit Euch reden,« sagte sie leise: »nehmt es nicht übel, ich mußte es, diese Nacht noch. Ihr habt mit ihm gesprochen?«

      »Mit ihm? – Ach ja, mit dem Wendels!«

      »Habt Ihr mir nichts zu sagen?«

      »Nein, Lene, als daß du mit dem Gesindel dich nicht abgeben sollst.«

      Bernhard war jetzt erst so vollständig erwacht, daß er mit Überlegung und Besinnung sprechen konnte; darum schwieg er eine Weile. Mahnte er das Mädchen zu eifrig ab, mit dem wilden Waldgesellen je wieder in Verkehr zu treten, so konnte er Hoffnungen in ihr erwecken, deren Aufkeimen ihm im höchsten Grade unangenehm gewesen wäre; tat er es nicht, so war sie imstande, der Versuchung nachzugeben, welche sie in die unstete und schweifende Lebensart zurücklockte, und vielleicht an einem innern, angeborenen Triebe ihres Blutes einen mächtigen Verbündeten hatte.

      »Höre, Lene,« sagte er, »du bist ein ordentliches und verständiges Mädchen; was sollte ich dir zu sagen haben? Du weißt, was du als Christin geworden bist und wirst dir nicht einfallen lassen, mit dem Heidenvolk davonzulaufen und dich ins Verderben zu stürzen.«

      »Was für einen Namen habt Ihr eben im Traume ausgesprochen?«

      »Ich? Im Traume? Hab' ich gesprochen? Was hast du denn zu horchen?«

      »Liebt Ihr sie?«

      Bernhard fuhr mit der Hand über die Stirn.

      »Es kommen einem allerhand Gedanken im Traume,« sagte er; »ich weiß nicht, was du meinst.«

      »Es ist gut,« sagte Lene mit einer tonlosen Stimme; »ich hab' es wohl gedacht. Es ist gut; ich weiß, woran ich bin.«

      »Hör', Lene, geh' jetzt, es schickt sich nicht, daß du hier bist.«

      »Wir sind noch nicht zu Ende, Herr,« sagte Lene und schlug ihre Hände vor's Gesicht; ein Strom von Tränen quoll hindurch und tröpfelte auf die Kissen. Sie legte den Kopf darauf.

      »Um Gottes willen, was hast du, Mädchen? Was fehlt dir?«

      »Ein Wort! O nur ein Wort – ob Ihr das Fräulein liebt?!«

      »Das Fräulein? Lene, ich bin nicht viel reicher und vornehmer als du!«

      »Ist das der einzige Grund, daß Ihr nicht an sie denkt?«

      »Nun ja.«

      Lene drückte ihren Kopf tiefer in die Kissen.

      »Willst du jetzt gehen und ruhiger sein? Denk' an Gott, Mädchen, das ist das Beste.«

      »Der hilft viel!« sagte sie, sich aufrichtend und ihre Augen mit der Schürze trocknend; ihre Stimme war fester geworden und etwas Zorniges, Verbissenes in ihrem Tone.

      »Aber Euch kann ich helfen,« fuhr sie fort. »Ich bin ein armes Mädchen, das niemand hat, der sich um es kümmert.«

      »Sprich nicht so; hast du an uns nicht Freunde?«

      Lene sah schweigend in sein Gesicht. – Ich wollte, Ihr wäret es; ja, ich habe es zuweilen gehofft; wir hätten glücklich und ruhig zusammen sein können, und wir wären beide so geblieben, wie man uns aufgezogen hat, und das ist das Beste. Jetzt werden unsre Wege weit auseinander laufen; Ihr werdet über ein oder über zwei Jahre Euch schämen oder tun, als wäret Ihr nicht zu Hause, wenn man Euch sagt, die arme Lene sei da und wolle mit Euch sprechen. Es macht nichts; ich werde vielleicht doch gerächt sein, es sieht aus wie Glück, was, ich Euch geben will und ist vielleicht doch keines. Freilich, wenn Ihr sie liebt – ja, dann ist es eines. –: O Gott! –« sie drückte wieder schluchzend ihr Gesicht in die Kissen.

      »Lene, Lene, armes Mädchen – ich weiß nicht, was ich dir sagen soll – aber wahrhaftig, du mußt jetzt gehen.«

      »Sogleich,« sagte sie, »hört erst: in der Nacht, bevor wir von Bechenburg fortgezogen und Ihr mich in dem Koffer Eurer Mutter kramend fandet, habe ich wirklich, wie ich lange ahnte, etwas darin gefunden, das Euch betrifft. Ihr hörtet Papiere rispeln; als Ihr aufsaht, steckten sie in meiner Tasche. Ich las sie draußen in der Küche, ich durchflog sie, meine Sinne nicht recht mächtig, und deshalb weiß ich nur noch, daß damit bewiesen war, Ihr seiet der Sohn eines verstorbenen Barons aus dem Bergischen; Ihr heißt eigentlich von – ja, das war ein wunderliches Wort, das ich eigentlich nicht lesen konnte; aber Ihr seid in Paris geboren. Wie es weiter eigentlich zusammenhängt, weiß ich nicht, aber Margret ist Eure Mutter nicht, Eure Mutter ist auch eine Adlige von – von – der Name steht in den Papieren, ich weiß ihn nicht mehr; ich war zu sehr in Hast und Angst; auch weiß ich nicht recht, wie Margret es angefangen hat, Euch zu stehlen.«

      »Mein Gott – aber wo sind die Papiere – wo hast du sie?«

      »Sie sind gut aufgehoben. Ich dachte so: Margret wird sich hüten, sie Euch zu geben, weil sie zugleich gestehen muß, daß sie Euch Euren rechten Eltern nicht wiedergegeben oder wenigstens Euch Euren Namen vorenthalten hat, wenn Ihr auch von Euren Eltern ihr übergeben seid; bei ihr sind sie nicht sieher. Ich schlich mich sacht über die Stiegen in den großen Saal auf Bechenburg; dort ist hinter der Kaminecke links eine Füllung der Lambris, die sich verschieben läßt, und dahinter ein leerer Kasten, von dem niemand weiß. Ich habe sie hineingelegt und Ihr möget dort nur suchen lassen.«

      »Um Gottes willen, weshalb sagtest du dem Wendels davon, Unvorsichtige? Warum gabst du mir nicht gleich die Papiere? Das war schlecht von dir, Lene!«

      »Schlecht? sagt Ihr, schlecht? Ich dachte, wenn – o sagt nicht so, Herr, daß ich schlecht gegen Euch gewesen wäre.«

      »Nun, was dachtest du denn?«

      »Ich dachte, es könne vielleicht – einst – für uns beide viel, viel besser sein, wenn Ihr nie etwas von dem, was da geschrieben stände, erführet; ich hätte dann still die Schriften liegen lassen, wo sie jetzt liegen, und niemand auf Erden hätte davon eine Ahnung bekommen. Jetzt aber, nun Ihr – nun Ihr sie –« Lene stockte und weinte wieder heftiger; dann hob sie ihr feuchtes, gerötetes Gesicht empor und sagte: »Herr, das eine versprecht mir, daß Ihr nie in Eurem Leben vergessen wollt, daß ich es bin, welche jetzt Euch ein Glück gibt, das Euch freilich gehört, das Ihr aber ohne mich nie zu sehen